Günther Grewe
„Straßenverkehrsdelinquenz und Marginalität“
Untersuchungen zur institutionellen Regelung von Verhalten
– Überarbeitet 2022 –
PETER LANG
Frankfurt am Main • Bern • Las Vegas
1978
(Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien, Bd. 4)
ISBN 3-261-02625-1
Abstract
Am Beispiel des Straßenverkehrs untersucht der Autor Möglichkeiten und Grenzen der institutionellen Regelung von Verhalten. Es geht um die Ausgrenzung, das Phänomen der Marginalität und der Marginalisierung. Fast mit Verwunderung stellt der Autor fest, dass alle sozialen Gruppierungen „Rand“-Positionen haben und aus ihnen ihr Selbstverständnis beziehen. Das Phänomen der Marginalität und der Marginalisierung ist damit das Phänomen der Allgegenwärtigkeit oder Ubiquität, der Seltenheit oder Rarität sowie der Bezüglichkeit oder Relativität von „Rand“-Positionen in sozialen Gruppierungen, bei den Betbrüdern aber auch bei den Räubern.
Ausgehend von dem Postulat einer sozialen Konstruktion der sozialen Wirklichkeit ist die Grundüberlegung der Arbeit, dass der „gesunde Menschenverstand“ zwar ein Leben in der sozialen Wirklichkeit ermöglicht, aber eben auch aus diesem Grund eine Analyse der Konstruktion der sozialen Wirklichkeit erschwert. Basierend auf dieser phänomenologischen Position wird der Versuch gemacht, eine Wirklichkeitskonstruktion zweiten Grades zu schaffen, d.h. eine Konstruktion von Konstruktionen der sozialen Wirklichkeit durch die Handelnden im sozialen Handlungsraum.
Die bestehende Verkehrsregelung versteht sich vor allem als Regelung menschlichen Versagens. Ein solcher Ansatz begründet ein einfaktorielles Postulat der Ursächlichkeit der unerwünschten Erfolge, nämlich der Straßenverkehrsunfälle. Eine kriminalsoziologische Betrachtungsweise der Verkehrsregelung lässt eine grundlegendere Kritik an dem Ansatzpunkt der bei der Straßenverkehrsordnung explizit genannten, in anderen Gesetzen implizit enthaltenen Überlegungen zur Regelung des menschlichen Verhaltens zu.
Dazu werden zwei Thesen aufgestellt und entwickelt, die sich von der herkömmlichen Betrachtungsweise des Verkehrs und der Verkehrsregelung unterscheiden: Zum einen geht es um die These vom Automobilverkehr als System von Person-Objekt Interaktionen, das Leitsysteme statt Sanktionen erforderlich macht. In der zweiten These geht es um die Grenzen und Möglichkeiten institutioneller Regelung von Verhalten durch das Phänomen der Marginalität und der Marginalisierung. Der institutionellen Regelung von Verhalten im Straßenverkehr werden Grenzen insbesondere deshalb gesetzt, weil Marginalpositionen in sozialen Gruppierungen nicht nur durch Ubiquität und Relativität, sondern auch durch Seltenheit („Rarität“) gekennzeichnet sind. Aus dieser These ergibt sich, dass begriffsimmanent nur Minderheiten marginalisiert werden können und bei dem Versuch einer Marginalisierung einer Mehrheit Sanktionen verpuffen.
Mit der vorliegenden Arbeit promovierte der Autor 1978 in Rechtswissenschaften an der Universität Frankfurt. Grundlage der Promotion in Sozialpsychologie an der University of California, Berkeley, im Jahr 1975 war die Arbeit „Games for Criminal Status – Justice as Order through Structured Social Inequality“.
Dr. Günther Grewe – New York – München – www.WP-RA-usa.de
Grewe, Günther – Straßenverkehrsdelinquenz und Marginalität: Untersuchungen zur institutionellen Regelung von Verhalten – Frankfurt am Main, Bern, Las Vegas: Lang, 1978 – (Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien, Bd. 4) – ISBN 3-261-02625-1
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1. EINLEITUNG: DAS PROBLEM DES „GESUNDEN MENSCHENVERSTANDES“
2. DER GEGENSTAND DER UNTERSUCHUNG: VERKEHR, VERKEHRSVERHALTEN UND VERKEHRSREGELUNG
2. 1 Zwei Aspekte des Automobilverkehrs
21. 1 Leben und Freiheit
21. 2 Tod, Schädigung und Behinderung
2.2 Zum Zielkonflikt: Verkehrssicherheit – Verkehrsfluss
3. THESE I: VERKEHRSVERHALTEN ALS SYSTEM VON PERSON-OBJEKT INTERAKTIONEN
3.1 Die Person – Objekt Interaktion
3.2 Zur Beurteilungsschwierigkeit von Verkehrsverhalten
32. 1 Die MILGRAM Experimente
32. 2 Weitere Studien über Deindividuation
32. 3 Diskussion
3.3 Perzeption und Entscheidung im Verkehr
33. 1 Fußgängerverkehr in der Großstadt
33. 2 Perzeption im Automobilverkehr
33. 3 Entscheidung im Automobilverkehr
3.4 Die Interaktionssituation im Automobilverkehr: Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen
34. 1 Verhaltensnormen und Verhaltenskontrolle
34. 2 Soziale Kontrolle im Automobilverkehr
34. 3 Verhalten im Automobilverkehr
4. THESE II: DAS PHÄNOMEN DER MARGINALITÄT
4.1 Das Problem
4.2 Die traditionelle Problemlösung
42. 1 Die Verbindlichkeit von Normen
42. 2 Maßnahmen zur Steigerung der Verbindlichkeit
42. 3 Zusammenfassende Erörterung der traditionellen Problemlösung
4. 3 Das Phänomen der Marginalität
43. 1 Kriminalität als Status
43. 2 Zur Ubiquität, Rarität und Relativität von Systempositionen
43. 3 Krimineller Status als Marginalstatus
4.4 Die Grenzen institutioneller Sanktionen
44. 1 Ubiquität, Rarität und Relativität von Marginalpositionen
44. 2 Ein Modell vom Wirken und der Wirklichkeit sozialer Normen
44. 3 Alternativen einer Verkehrsrechtspolitik
5. DIE KONSEQUENZ: RÜCKÜBERTRAGUNG STAATLICHER AUFGABEN AUF DIE SOZIALEN GEMEINSCHAFTEN
5.1 Rationalität rechtspolitischer Entscheidungen: Handlungsrationalität und Systemrationalität
51. 1 Zur rationalen Rechtsgütersicherung
51. 2 Zur rationalen Verkehrsrechtspolitik
5. 2 Leitsysteme als mögliche Ansätze zur gewillkürten Regelung des Verkehrsverhaltens
52. 1 Leitsysteme im Straßenverkehr
52. 2 Internalisierbarkeit von Leitsystemen
6. AUSBLICK: DAS PARADOXON DER FREIHEIT
Das geltende Verkehrsrecht begreift Verkehrsregelung als Regelung menschlichen Versagens. So heißt es etwa in der Begründung der Straßenverkehrsordnung vom 16. November 1970: „Verkehrsunfälle werden überwiegend durch menschliches Versagen verursacht. Dieses Versagen besteht im Wesentlichen in vermeidbaren Verstößen gegen wenige Grundregeln des Verkehrs.“[1] Mit diesem Ansatz folgt der Verordnungsgeber dem Postulat der Versicherungsjuristen MEYER und JACOBI in ihrer Arbeit über „Typische Unfallursachen im Straßenverkehr“, demgemäß Verkehrsunfälle im Wesentlichen durch fahrlässige und vorsätzliche Verstöße gegen die einfachsten Verkehrsregeln verursacht werden,[2] und „keinen Beitrag zur Unfallbekämpfung leisten … (kann), …, wer die Unfallursachen nach der Devise: ‚Tout comprendre c’est tout pardonner‘ betrachtet.[3]
Ein solcher Ansatz entspricht dem herkömmlichen Denken zur Verhaltensregelung, dem „gesunden Menschenverstand“.[4] Zugrunde liegt die Vorstellung, hinreichende Legitimation zur Verhaltensregelung sei die Tatsache, dass man erstens am sozialen Leben (und als Verkehrsteilnehmer: am Straßenverkehr) teilnehme und zweitens einen Kopf besitze.
Ob und wieweit der Anspruch berechtigt ist, dass Verhaltensregelung vorwiegend die Regelung menschlichen Versagens ist, soll Gegenstand der Arbeit sein. Am Beispiel der Verkehrsregelung werden wir zeigen, dass der „gesunde Menschenverstand“ keine hinreichende Grundlage für die institutionelle Regelung menschlichen Verhaltens ist, sondern 1. dass jede Rege-jung eine über das „Offensichtliche“ hinausgehende Analyse der Dynamik des zu regelnden Lebenszusammenhangs voraussetzt und weiterhin 2. dass jeder institutionellen Regelung Grenzen gesetzt sind.[5]
Dazu werden in dieser Arbeit zwei Thesen aufgestellt und entwickelt, die sich von der herkömmlichen Betrachtungsweise des Verkehrs und der Verkehrsregelung unterscheiden: Einmal die These vom Automobilverkehr als System von Person-Objekt Interaktionen, zum anderen die These von der Begrenzung institutioneller Regelung durch das Phänomen der Marginalität, d. h. dem Phänomen der Ubiquität, Rarität und Relativität von „Rand“- Positionen in sozialen Gruppierungen.
Der Grundgedanke der ersten These, die Notwendigkeit der Analyse des zu regelnden sozialen Lebenssachverhalts über das Offensichtliche hinaus, gilt entsprechend für andere Sachzusammenhänge, wo, wie beim Straßenverkehr, institutionelle Regelungen bisher eingestandenermaßen erfolglos waren gemessen an dem gesetzten Ziel. Beispiele dafür sind etwa Wohlstands-, Begehrungs- und Wirtschaftskriminalität, d. h. Fälle der Jedermannskriminalität [6] („white-collar“-Kriminalität), die im Ansatz immer noch weitgehend vom Erfolg: Vermögensbeschädigung, nicht aber von ihrer sozialen Dynamik her verstanden werden.[7]
Die zweite These, das Paradigma der Marginalität, hat demgegenüber direkte Bedeutung für jede institutionelle Regelung menschlichen Verhaltens. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass soziale Gruppierungen durch marginale Systempositionen charakterisierbar sind, diese jedoch nur in begrenztem Maße zur Verfügung stehen und deshalb die Effektivität institutioneller Normen eine kurvilineare Funktion der Häufigkeit der Sanktionen ist. Vereinfacht kann diese Funktion folgendermaßen dargestellt werden:
Diese zwei Thesen sollen im Folgenden anhand einer Analyse des Automobilverkehrs und seiner Regelung untersucht und dargestellt werden. Der Automobilverkehr und seine Regelung eignet sich dazu in besonderem Maße, denn einerseits greifen „Normen auf keinem anderem Gebiet in das Leben selbst so unmittelbar ein … wie Verkehrsvorschriften“,[8] andererseits erscheint angesichts der Technizität der Verkehrsregelung auf diesem Gebiet eine Erörterung der institutionellen Regelung menschlichen Verhaltens unverschleiert von Emotionalität am ehesten möglich.[9] Das Straßenverkehrsrecht und die von ihm beabsichtigte Regelung menschlichen Verhaltens durch Sanktionen ist deshalb ein Prüfstein für eine soziologisch-kriminologische Zergliederung des Sinns, Zwecks und der Grenzen der Wirkungskraft von institutionellen Normen und Sanktionen zur Beeinflussung von Verhalten.[10]
Die bestehende Verkehrsregelung, die sich vor allem als Regelung menschlichen Versagens versteht, wurde bisher vor allem unter dem Gesichtspunkt angegriffen, ein solcher Ansatz begründe ein einfaktorielles Postulat der Ursächlichkeit der unerwünschten Erfolge, nämlich der Straßenverkehrsunfälle.[11] Eine kriminalsoziologische Betrachtungsweise der Verkehrsregelung lässt jedoch eine grundlegendere Kritik an dem Ansatzpunkt der bei der Straßenverkehrsordnung explizit genannten, in anderen Gesetzen implizit enthaltenen Überlegungen zur Regelung des menschlichen Versagens zu. Ausgehend von dem Postulat einer sozialen Konstruktion der sozialen Wirklichkeit [12] ist die Grundüberlegung dieser Arbeit, dass der „gesunde Menschenverstand“ [13] zwar ein Leben in der sozialen Wirklichkeit ermöglicht, aber eben durch diese Tatsache die Analyse der Konstruktion der sozialen Wirklichkeit erschwert. Auf der Grundlage dieser phänomenologischen – und damit letztlich auf den philosophischen Idealismus zurückführbaren – Position wird in dieser Arbeit deshalb der Versuch gemacht, eine Wirklichkeitskonstruktion zweiten Grades, d. h. eine Konstruktion von Konstruktionen der sozialen Wirklichkeit durch die Handelnden auf der sozialen Szene [14] zu schaffen. Bei dieser Aufgabe soll uns die Soziologie – von den Juristen manchmal abgelehnt als Wissenschaft der Übergriffe, die überall hineinredet, allgemein oft belastet mit dem Vorwurf, sie habe eine Art von Esoterik entwickelt, die niemandem sonst etwas anzugehen scheine, ein Werkeln mit Kategorien und Problemen eigener Art [15] – helfen, die vertraute Alltagswelt des „gesunden Menschenverstands“ als problematisch anzusehen, sie als fremde neu zu entdecken und herauszufinden, „was jedermann weiß“ – oder doch zu wissen glaubt. [16] Als Alltagswelt, die es zu entdecken gilt, soll jedoch in dieser Arbeit nicht nur die „allgemeine“ alltägliche Welt, der „Alltag“, verstanden werden, sondern auch die Alltagswelt der Rechtswissenschaften [17] und damit auch des Strafrechts. Angesprochen ist damit besonders die Alltagswelt, die herkömmlicherweise unter dem Begriff „Kriminologie“ zusammengefasst wird. [18]
Kriminologie wurde und wird heute oft noch als Wissenschaft vom Bemerkenswerten oder sogar Skurrilen verstanden. Der „Verbrecher“ war der Sonderbare, der Außenseiter der Gesellschaft. Vom Strafrechtssystem als Verbrecher definiert, war das Augenmerk der Kriminologie auf ihn und seine Tat gerichtet. Erst vor kurzer Zeit warf der in Deutschland unter Umbenennung der Kriminologie in „Kriminalsoziologie“ [19] vor allem von Fritz SACK eingeführte „labeling approach“ [20] einen Schatten des Zweifels auf eine solche Selbstbeschränkung der Kriminologie. Aber auch die vom „labeling approach“ geforderte Einbeziehung des Definitionsprozesses durch das Strafrechtssystem in das Untersuchungsgebiet der Kriminologie ändert noch nichts an der Ausrichtung kriminologischer Forschung auf das „Bemerkenswerte“. [21]
So ist es denn das Anliegen dieser Arbeit, durch eine kritische Haltung gegenüber der Ausrichtung der Kriminologie auf das Bemerkenswerte die Bedeutung des Alltäglichen hervorzuheben [22] und damit auch auf einen möglichen Beitrag der Kriminologie und des Strafrechts im Rahmen der Gesellschaftswissenschaften hinzuweisen. Versteht man nämlich Wissenschaft als einen Sonderfall der allgemeinen Problemlage, die mit der Formel „Erfassung und Reduktion von Komplexität“ [23] begriffen werden kann, so ergibt sich geradezu als logische Folge, dass abweichendes Verhalten besonders durch die Untersuchung von konformen Verhalten, also des Alltäglichen, verstanden werden kann; denn „ein Verhalten ist abweichendes Verhalten, wenn es von den in einer Interaktionsbeziehung erwarteten Formen abweicht. Umgekehrt stimmt nicht- abweichendes oder konformes Verhalten mit den Handlungsnormen, die das soziale System seinen Rollenträgern auferlegt, überein.“ [24] In diesem Sinne umfasst eine Arbeit über abweichendes Verhalten zumindest implizit auch eine Analyse des konformen Verhaltens.
Für unsere Untersuchung bedeuten diese Überlegungen sowie die vorangegangenen zur Fraglichkeit des „Selbstverständlichen“ im Alltag, dass wir, um eine Aussage über das menschliche Versagen im Straßenverkehr und, auf ihrer Grundlage, über die Regelung dieses Versagens machen zu können, von der Untersuchung desjenigen Verhaltens im Straßenverkehr auszugehen haben, das nicht als Versagen bezeichnet werden kann, also von der Untersuchung des „normalen“ Verkehrsverhaltens. [25] Dabei müssen wir als besondere Gefahr für die beabsichtigten Konstruktionen zweiten Grades im Auge behalten, dass gerade beim „Alltäglichen“ fest gefügte Konstruktionen der sozialen Wirklichkeit durch den „gesunden Menschenverstand“,
d.h. Konstruktionen ersten Grades, bestehen, dass wir aber diese nicht übernehmen dürfen, sondern ihren Konstruktionsprozess zu untersuchen haben.
Nach einer Würdigung des Untersuchungsgegenstandes, des Verkehrsverhaltens und der Verkehrsregelung, werden wir deshalb im ersten Hauptteil der Arbeit die Inkonsistenzen des gegenwärtigen Verständnisses des Verkehrsverhaltens als System von Person-Objekt Interaktionen darzustellen suchen. In dem zweiten Hauptteil wenden wir uns dann dem Problem der Kontrolle menschlichen Verhaltens zu. Dort werden wir am Beispiel der Verkehrsregelung zu zeigen versuchen, ob, wie und wieweit menschliches Verhalten institutionell geregelt werden kann. Dieser Teil der Arbeit umfasst die Darstellung unserer zweiten These, der These von der Marginalität, auf die indirekt in neuester Zeit besonders POPITZ [26] hingewiesen hat.
Zunächst aber soll der Gegenstand der Untersuchung gewürdigt werden: Verkehr, Verkehrsverhalten und Verkehrsregelung.
Institutionelle Regelung von Verhalten steht unter dem Dilemma, das in seiner allgemeinen Form in Artikel 2 des Grundgesetzes seinen Niederschlag gefunden hat: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.”
Bei der Regelung des Straßenverkehrs tritt uns dieses Dilemma besonders prononciert entgegen. Einerseits wird durch die Verkehrsvorschriften das Verhalten in einem Lebensbereich in einem Maße geregelt, wie es sonst nicht-institutionellen Normen vorbehalten ist. Andererseits stehen sich im Straßenverkehr die Regelungsaspekte „Leben und Freiheit“ sowie „Tod, Schädigung und Behinderung“ unmittelbarer gegenüber, als wir es von anderen Lebensbereichen gewohnt sind. Bevor wir zur Analyse des Verkehrsverhaltens und zur Erörterung der Möglichkeiten und Grenzen seiner institutionellen Regelung übergehen, wollen wir zunächst diese widersprüchlichen Gesichter des Straßenverkehrs darstellen.
2.1 Zwei Aspekte des Automobilverkehrs
21.1 Leben und Freiheit
In welchem Maße Autofahren, d. h. Verhalten im Straßenverkehr, Teil unseres Alltagslebens geworden ist, lässt sich schon aus der täglich im Auto verbrachten Zeit erkennen. Nach vorsichtiger Schätzung verbringt der typische Autofahrer im Durchschnitt etwa zwei Stunden pro Tag im Auto.[27] Das heißt, die Zeit, die wir am Lenkrad verbringen, macht etwa ein Drittel der am Arbeitsplatz zugebrachten Zeit aus.[28]
Dieser immense Zeitaufwand zugunsten einer Beschäftigung, des Autofahrens, ist gleichzeitig eine Präferenz-Entscheidung zulasten anderer Tätigkeiten, da die Ressource Zeit individuell nur begrenzt zur Verfügung steht. Die Entscheidung des Individuums Autofahrer lässt sich zum einen damit erklären, dass das Auto den Aktionsradius des Menschen vergrößert, den verfügbaren Raum und die verfügbare Zeit erweitert,[29] zum anderen damit, dass neben dieser Funktion des Autos als „Werkzeug, also als Verkehrsmaschine“,[30] der „symbolische Freiheitsgehalt des Autos“[31] steht: „Seine Funktion als Konsumgut, also als Vermittler von Luxus und Lustempfinden, seine Funktion als Machtsymbol, also als Demonstration gesellschaftlicher Überlegenheit des Individuums.“[32]
Auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wirken sich die täglichen „Zwei Stunden Leben“ im Auto aus. Das Autofahren hat das Leben und den Lebensstil, das sozio-ökologische Verhaltensmuster, einschneidend umgestaltet. So wurden mit dem Vordringen des Autos die Anknüpfung und Erhaltung von engen interpersonalen Beziehungen zwischen Menschen, die auf einem weiten Gebiet leben, möglich. Enge Freundschaften sind nicht mehr auf Menschen in der Nachbarschaft beschränkt,[33] ebenso ist die Wahl des Ehepartners durch den vergrößerten Aktionsradius gegenüber früher verändert.[34]
Das Automobil hat jedoch nicht nur den interpersonalen Raum des Individuums ausgedehnt, sondern auch direkt gestaltend in die physische Umwelt eingegriffen. Es hat Suburbia und den suburbanen Lebensstil geschaffen,[35] ebenso wie Millionen von Arbeitsplätzen in ungezählten Industrien.[36] Diese Industrien, manchmal zu eng gesehen als „die Autoindustrie“,[37] wirken auf das politische Leben ein. Bis zu einem gewissen Grad bestimmen sie, wie und durch wen wir regiert werden. Und über den Umweg über die Werbung bestimmen sie, wie und wo wir unsere Bedürfnisse nach sexueller Anerkennung, nach Identität, nach Wertschätzung durch andere erfüllen können.[38]
21.2 Tod, Schädigung und Behinderung
Während sich durch die Entwicklung des Automobilverkehrs viele Träume der Menschheit verwirklichten und das Automobil heute unsere Kultur bestimmt, tritt in wachsendem Masse auch die Kehrseite dieser Entwicklung in den Vordergrund. Der Automobilverkehr bedeutet nicht nur zwei Stunden Leben und Freiheit, sondern bedroht auch in zunehmendem Maße diese zwei höchsten Werte unserer Kultur.
Der Verkehrsteilnehmer, der sich mit Hilfe seines „Freiheitsmediums“ Automobil[39] in den Verkehr begibt, unterwirft sich einem System, „das wohl heute zu den Systemen mit dem stärksten Zwangscharakter gehört“.[40] Er wird „unter ständigem Fremdeinfluss gehalten, häufig indirekt oder bei großen Verkehrsstauungen sogar direkt ‚gefangen‘.”[41] Gesamtgesellschaftlich tritt uns hier das Dilemma der Mobilität des Einzelnen entgegen: „Je mehr private Kraftfahrzeuge vorhanden sind, um so mehr behindern sie sich gegenseitig. Je mehr Menschen Freizügigkeit zu erhalten trachten, umso geringer wird die Freizügigkeit jedes einzelnen.“[42] Der Straßenbau, der dem wachsenden Verkehrsaufkommen Rechnung tragen will und mit Straßen und Autobahnen Stadt und Land überzieht, hat zur Folge, dass mehr Menschen der Enge der Stadt entfliehen können,[43] aber auch, dass durch sie die Landschaft zersiedelt wird, dass mehr Menschen das Automobil benutzen können, aber auch, dass eine ständig wachsende Anzahl das Automobil über wachsende Entfernung benutzt. Das Verkehrsaufkommen zieht so dem Straßenbau gleich oder überholt ihn.[44] Mit dem Anwachsen des Automobilverkehrs tauchen neue, bisher nicht gekannte Probleme auf: die Verödung der Städte, die Luftverschmutzung[45] und Geräuschbelästigung. So macht das Automobil die Städte unbewohnbar,[46] und schafft sich Ungeheuerlichkeiten wie die Autostadt Los Angeles,[47] wo ein Leben ohne das eigene Automobil fast undenkbar ist, wo ständig eine gelblich-braune Lage von Smog wie Nebel die Sonne verdeckt und die Stadt einhüllt.
Von den Verkehrsteilnehmern treibt der Moloch Straßenverkehr seinen anscheinend unvermeidlichen Blutzoll bei. Inzwischen sind in den Altersklassen bis 35 Jahren Verkehrsunfälle sogar die häufigste Todesursache. Und auf den Autobahnen und Straßen sind ramponierte Automobile, verstörte Opfer und zuckende Blaulichter fatal vertraute Bilder.
2.2 Zum Zielkonflikt: Verkehrssicherheit – Verkehrsfluss
Angesichts der zwei widersprüchlichen Gesichter des Automobilverkehrs steht eine institutionelle Verkehrsregelung vor dem Dilemma: Zum Schutz von Leib, Leben und Eigentum, zur Beseitigung von Behinderungen und Belästigungen bedarf es der Regelung; eine solche Regelung beeinträchtigt aber gleichzeitig auch die positiven Aspekte des Automobilverkehrs, die täglichen „Zwei Stunden Leben und Freiheit“.
Der Auftrag der Verfassung an den Gesetzgeber in Artikel 2 Grundgesetz verlangt eine Abwägung der Maßnahmen. Einmal gilt es, den Freiheitsgrundsatz, d. h. in concreto den Verkehrsfluss, zu gewährleisten, zum anderen findet aber die Freiheit des Einzelnen ihre Grenze an der Freiheit des Anderen.
Im Strafrecht wird dieses Dilemma durch das Verbot von Handlungen unter Strafandrohung gelöst. Was der Einzelne zu tun hat, d. h. eine positive Verhaltensvorschrift, gibt das Strafrecht grundsätzlich nicht. Das Gebot von Handlungen wird vielmehr durch die allgemeinen Gesetze in Form von meist dispositiven Rahmenvorschriften geregelt. Im „Nebenstrafrecht“, insbesondere aber im Verkehrsrecht, tritt uns das Dilemma dagegen schärfer entgegen. Dort finden wir eine Kombination von negativen und positiven Verhaltensvorschriften. Ordnendes Recht und strafendes Recht sind dort unmittelbar miteinander verknüpft, und der Freiheitsraum des rechtlich zulässigen Verhaltens ist in der konkreten Verkehrssituation minimal.
Oberste Gesichtspunkte bei der Lösung dieses Dilemmas durch die Verkehrsregelung sind einerseits die Verkehrssicherheit, andererseits der Verkehrsfluss als ordnende Aspekte der Hierarchie der Problemgesichtspunkte. Wie problematisch und schwer zu fassen die Ordnung der Problemgesichtspunkte unter den Aspekten der Verkehrssicherheit und des Verkehrsflusses sind, lässt sich aber schon aus der Grundüberlegung ableiten, dass absolute „Verkehrssicherheit“ im Automobilverkehr durch dessen Abschaffung erreicht werden könnte, andererseits freilich jede graduelle Lockerung eines solchen Verbots eine Steigerung von Blut- und Blechopfern zur Folge hat. Als Konsequenz dieser Grundüberlegung können wir deshalb festhalten, dass jede Verkehrsregelung auch eine abstrakte Regelung der Opfergrenze im Straßenverkehr bedeutet.
Wo diese Grenze gezogen werden sollte, d. h. wie diese Regelung erfolgen soll, ist ein Entscheidungsproblem, das sich in zwei Teile zergliedern lässt: 1. den Entscheidungsmaßstab und 2. die Entscheidungsgrundlage.[48] Der eine Teil des Entscheidungsproblems, der Entscheidungsmaßstab, ist die wertende Ordnung der Problemgesichtspunkte.[49] Zu hoffen, darüber zu einer endgültigen Einigung zu kommen, wäre, wie es für jede Wertordnung typisch ist, utopisch. Einigkeit besteht nur insoweit, als Verkehrssicherheit zurzeit nicht durch Abschaffung des Automobilverkehrs, sondern durch Verkehrsregelung erfolgen soll.
Wir werden uns deshalb in unserer Arbeit fast ausschließlich mit dem anderen Teil des Entscheidungsproblems, der Entscheidungsgrundlage, beschäftigen, da diese einer intersubjektiven Untersuchung grundsätzlich zugänglich ist.[50] Die Entscheidungsgrundlage kann ihrerseits wiederum in zwei Unteraspekte unterteilt werden. Diese sind einmal
- das Wissen über das Phänomen Automobilverkehr, insoweit durch das Verkehrsrecht positive Verhaltensregelungen getroffen werden sollen, und zum anderen
- das Wissen um das Wirken und die Wirklichkeit von institutionellen Verhaltensregelungen durch negative Sanktionen.
Die Untersuchung dieser beiden Unteraspekte der Entscheidungsgrundlage für eine Verkehrsregelung werden wir jeweils in den beiden Hauptteilen der Arbeit behandeln.
3.1 Die Person – Objekt Interaktion
Besonders in der verkehrspsychologischen und in der rechtswissenschaftlichen Literatur ist der dominante Gesichtspunkt, unter dem Verkehrsverhalten abgehandelt wird, der des aggressiven Verhaltens.[51] Unausgesprochener gemeinsamer Bedeutungshintergrund ist dabei die Annahme, dass, da sich Menschen im Verkehr begegnen, sie sich auch als solche perzipieren – und deshalb als Menschen miteinander interagieren, also eine Person-Person Interaktion zwischen ihnen stattfindet.[52]
Bei einem solchen Vorverständnis ist es konsequent, auf das Verkehrsverhalten die gleichen Denkschemata anzuwenden, die bei der Analyse des alltäglichen Verhaltens zur Erklärung dienen. Das Ergebnis der Analyse: Verkehrsverhalten ist „persönlichkeitsfremd“ und gekennzeichnet durch „Aggressivität“[53] sollte jedoch zu denken geben; denn, wenn wir uns an die Ausführungen oben zu 21.1 erinnern, lautete das Ergebnis in vollständiger Form: „Zwei Stunden täglich – oder: ein Achtel der wach verbrachten Zeit, – verhält sich der autofahrende Mensch persönlichkeitsfremd und aggressiv.”
Dieses Ergebnis wird umso fragwürdiger, wenn wir bedenken, dass Autofahren nicht der einzige Lebensbereich ist, in dem das Verhalten durch Aggressivität zu erklären gesucht wird. Konsequent weitergedacht führt dieser Erklärungsversuch menschlichen Verhaltens deshalb zu dem Paradoxon, dass Menschen sich teils persönlichkeitsfremd, teils persönlichkeitskonform verhalten, und zwar jeweils davon abhängig, in welchem Lebensbereich sie sich bewegen.
Das lässt den Verdacht aufkommen, dass Erklärungsversuche menschlichen Verhaltens durch Aggressivität auf eine Pseudoerklärung hinauslaufen, wo, ähnlich der Lehre von den Bedürfnissen und Trieben in den Anfängen der Sozialpsychologie,[54] das Nicht-Erklären-Können durch ein Schlagwort ersetzt und verdeckt wird.[55] Ausgehend von dieser Grundüberlegung schlagen wir deshalb vor, der These von der Aggressivität im Verkehr die These vom Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen gegenüberzustellen, und dadurch die Populärtheorie vom aggressiven Verhalten zumindest für den Lebensbereich Straßenverkehr in Frage zu stellen.
Die These vom Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen bedeutet die Hinwendung zur Situationsanalyse und gleichzeitig die Absage an die Personenanalyse der traditionellen Verkehrswissenschaften.[56] Ein Ansatz dazu findet sich schon bei KOB (1966):
„Die Bedeutung so genannter sozialer Zeichen, die es erlauben, den anderen in das eigene Handlungssystem einzuordnen, auch wenn er fremd bleibt oder einem gar nur indirekt über Scheinwerfer und Blinkzeichen entgegentritt, die es ermöglichen, von ihm ein bestimmtes Verhalten zu erwarten und ihm auch gleichzeitig ein bestimmtes eigenes Verhalten zuzumuten, die Bedeutung dieser sozialen Zeichen ist im Autoverkehr geradezu zum Fundament optimaler Verhaltensformen geworden. Es wäre reizvoll und sicherlich von besonderem Wert für die Kennzeichnung einer eigenartig versachlichten Moral in hoch entwickelten Gesellschaften, diese Kommunikationszeichen in ihrer Gestalt und Wirkungsweise am Beispiel des Autofahrers und des Straßenverkehrs eingehend zu beschreiben.“[57]
Die Herausstellung „sozialer Zeichen“ und der „eigenartig versachlichten Moral“ machen darauf aufmerksam, dass die Interaktionssituation im Automobilverkehr grundlegend anders ist als in der alltäglichen Person-Person Interaktion.
Wir können uns das verdeutlichen, indem wir uns verschiedene Stufen sozialer Nähe der Interaktionspartner vorstellen und z. B. an die Interaktion mit einem Fremden oder mit einem Abwesenden denken. Aus der Interaktionsforschung, aber auch aus unserem täglichen Leben, wissen wir, dass das Verhalten in Person-Person Situationen mit einem „Bekannten“ sich von dem Verhalten gegenüber einem „Fremden“ unterscheidet.[58] Beispielsweise werden wir den „Fremden“ grundsätzlich mit „Sie“ anreden und grundsätzlich bei ihm eher dazu neigen, ihn zu stereotypisieren. Noch grundlegender wird der Unterschied bei einem nur passiv bzw. imaginär vorhandenen Interaktionspartner, einem „Abwesenden“: „When members of a team go backstage where the audience cannot see or hear them, they very regularly derogate the audience in a way that is inconsistent with the face-to-face treatment that is given to the audience. . . . there are very few friend-ship relationships in which there is not some occasion when attitudes ex-pressed about the friend behind the back are grossly incompatible with the ones expressed about him to his face.“[59]
Im Automobilverkehr nun findet die Interaktion weder mit einem Fremden noch mit einem Abwesenden statt, sondern der Andere wird durch die Schale Automobil so umschlossen, dass er kaum mehr als Mensch und Individuum wahrgenommen werden kann. Zwar weiß man, dass der Andere ein Mensch ist, aber in der Perzeption steht er näher dem Gegenstand Automobil, das ihn birgt. Dann jedoch liegt es nahe, bei einer wissenschaftlichen Untersuchung des Verkehrsverhaltens nicht von dem Vorverständnis der Person-Person Interaktion anzusetzen, sondern als Grundparadigma, das es darzustellen und zu qualifizieren gilt, von einer Person-Objekt Interaktion auszugehen. Das soll in dieser Arbeit versucht werden.
Über die Annahme dieses Paradigmas für die Untersuchung des Verkehrsverhaltens hinaus soll jedoch seine Bedeutung für die Sozialwissenschaften im Allgemeinen nicht aus den Augen verloren werden. Denn die Annahme einer von der Person-Person Interaktion verschiedenen Interaktionsart ermöglicht nicht nur ein Neuverständnis von Verhalten in phänomenologisch gleichgearteten Situationen, z. B. von Verhalten in Uniform und gegenüber „Uniformen“, sondern das, was wir über diese Verhaltensweisen wissen, kann ergänzend zur Interpretation und zur Analyse des Verkehrsverhaltens herangezogen werden.
Zur Darstellung unserer These vom Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen werden wir uns in diesem Kapitel zunächst mit der Beurteilungsschwierigkeit von Verkehrsverhalten befassen und dazu im nächsten Abschnitt einige sozialpsychologische Experimente darstellen.
3.2 Zur Beurteilungsschwierigkeit von Verkehrsverhalten
Der Automobilverkehr kann als eine Abfolge von Situationen verstanden werden, wo „individuals are not seen or paid attention to as individuals. . . . (They) do not feel that they stand out as individuals. Others are not singling a person out for attention nor is the person singling out others.“[60] Einen solchen Zustand haben FESTINGER u. a.[61] als „Deindividuation“ bezeichnet.[62]
In der sozialpsychologischen Literatur gibt es nun einige Abhandlungen, die deutlich machen, wie sehr sich das Verhalten in Situationen der Deindividuation vom Verhalten in mehr „alltäglichen“ Situationen unterscheidet. Hervorzuheben sind vor allem die MILGRAM Experimente und die Experimente von ZIMBARDO.[63]
Die eindrucksvollste Illustration des Verhaltens im Zustand der Deindividuation gab MILGRAM[64] in seiner Studie zum Gehorsam gegenüber Autorität. Vordringliches Anliegen MILGRAMs ist es dabei, die Andersartigkeit des Verhaltens von Menschen in Situationen aufzuzeigen, in denen ein Handeln befohlen wird. Vor allem unter diesem Aspekt ist die MILGRAM Studie bekannt geworden.[65]
Die MILGRAM Experimente haben jedoch noch einen weiteren Aspekt, der hier herausgestellt werden soll. MILGRAM misst und erörtert nicht nur Verhalten unter Autorität, sondern auch die Unterschiede im Verhalten in Abhängigkeit von dem Grad der Deindividuation und er zeigt uns in einem erschreckenden Beispiel, wie Experten für Alltagsverhalten mit ihren Voraussagen für ein Verhalten, das im Zustand der Deindividuation beobachtet werden kann, völlig falsch liegen.
Der Versuchsaufbau ist einfach: Ein „Lehrer“, die Versuchsperson, gibt auf Anweisung des Versuchsleiters einem „Schüler“, der in den Versuchsablauf eingeweiht ist und von einem Schauspieler dargestellt wird, elektrische Schocks mit jeweils wachsender Intensität für jede falsche Antwort des „Schülers“. Der Versuchsperson wird der Versuch als lerntheoretisches Experiment dargestellt.
Im ersten Teil seines Experiments untersucht MILGRAM die Auswirkung der Nähe des anderen, des angeblichen Schülers. Festgehalten wird, wie weit die Versuchsperson auf der Bestrafungsskala zu gehen bereit ist.
Diese Serie von Experimenten besteht aus den folgenden Versuchsbedingungen:
- Remote Feedback
- Voice Feedback
- Proximity
- Touch Proximity
Bei „Remote Feedback“ ist der „Schüler“ in einem angrenzenden Raum auf einem „elektrischen Stuhl“. Seine Proteste gegen die vorgebliche Schockbehandlung und sein Flehen, den Versuch zu beenden, dringen nur schwach in den Versuchsraum. Bei „Voice Feedback“ ist die Stimme des „Schülers“ durch eine angelehnte Tür im Versuchsraum zu vernehmen; bei „Proximity“ befindet sich der „Schüler“ im Versuchsraum, und schließlich bei „Touch Proximity“ muss der „Lehrer“ sogar die Hand des „Schülers“ jeweils an die Elektrode führen. In jeder der Versuchsbedingungen wird die Interaktionsbeziehung zwischen „Lehrer“ und „Schüler“ also enger, d. h. das Opfer rückt der Versuchsperson psychologisch näher.
Wie diese psychologische Entfernung vom „Lehrer“ zum „Schüler“ empfunden wird, zeigt das Versuchsprotokoll, in dem unter anderem diese Äußerung eines „Lehrers“ protokolliert ist: „It’s funny how you really begin to forget that there’s a guy there, even though you can hear him. For a long time I just concentrated on pressing the switches and reading the words“.[66]
Wie vorauszusehen, bestätigen die Versuchsdaten die Erwartung:
Der Gehorsam des „Lehrers“ gegenüber den Anweisungen des Versuchsleiters war signifikant geringer, je näher sich der „Schüler“, das Opfer, aufhielt. Je größer die psychologische Distanz zwischen Versuchsperson und Opfer war, desto mehr Versuchspersonen gaben dem Opfer elektrische Schläge.
Gehen wir davon aus, dass die Einwirkungen auf die Versuchspersonen in den vier Versuchsbedingungen jeweils konstant gehalten werden konnten, dann zeigt dieser Teil von MILGRAMs Studie die Abhängigkeit deindividuierten Verhaltens von der psychologischen Distanz zwischen Ego und Alter. Scheinbar handelt es sich dabei um eine „Selbstverständlichkeit“, zu deren Feststellung es eines sozialpsychologischen Experiments nicht bedurft hätte, sondern für die schon das „Alltagswissen“ gereicht hätte. Eine solche Sicht würde jedoch verkennen, dass durch MILGRAMs Experimente die Struktur dieses Wissens herausgearbeitet wurde. Die Struktur, die sich bietet, besteht in der Abhängigkeit zwischen empfundener Nähe und Verhalten gegenüber Alter. Die von Ego gegenüber Alter empfundene Nähe wiederum lässt sich, wenn man etwa an die oben erwähnte Äußerung eines „Lehrers“ zurückdenkt, als Versächlichung von Personen, also als Deindividuation verstehen. Dann aber lässt sich aus den Ergebnissen von MILGRAMs Experimenten weiterhin ableiten, dass es Grade von Deindividuation gibt, also Person- Person Interaktion und Person-Objekt Interaktion Interaktionssituationen sind, die sich nicht streng voneinander trennen lassen, sondern ineinander überfließen und die Unterscheidung zwischen beiden Interaktionssituationen letztlich nur idealtypischer Natur ist.
Transponieren wir die MILGRAM Experimente auf den Straßenverkehr, so können wir zunächst einmal vermuten, dass qualitativ gleichartige Interaktionssituationen auch im Straßenverkehr bestehen. Beispielsweise ist die empfundene Nähe zwischen Ego und Alter verschieden je nachdem, ob sich Ego und Alter im ruhenden Verkehr etwa an einer Ampel oder im Autobahnverkehr, im gleichlaufenden Verkehr oder im Gegenverkehr, beim Fahren in der Nachbarschaft der Wohnung in der Vorstadt oder beim Fahren in der Innenstadt einer City, beim Fahren in der Nacht oder am Tage begegnen. Aber auch bezüglich des bei den Begegnungen gezeigten Verhaltens bestehen qualitativ gleichartige Unterschiede je nach empfundener Nähe: Das Verhalten ist mehr oder weniger „rücksichtslos“ und „aggressiv“.
Auch bei den MILGRAM Experimenten hätte das Verhalten der Versuchspersonen so charakterisiert werden können. Hier sind wir jedoch darauf gestoßen, dass eine solche Charakterisierung von Verhalten gleichzeitig eine Erklärung dieses Verhaltens darstellt und weiterhin, dass zumindest gleichwertig, jedenfalls dort, eine andere Erklärungsmöglichkeit besteht, nämlich die Möglichkeit der Erklärung des Verhaltens von der Interaktionssituation her. Ebenso wie bei den MILGRAM Experimenten lässt sich deshalb Verkehrsverhalten auch als Verhalten in deindividuierten Situationen verstehen, also als eine besondere Art von Verhalten. Akzeptieren wir eine solche Interpretation für das Verhalten in der Laborsituation, so gilt dies auch für das Verhalten im Straßenverkehr. Dann aber haben wir durch unsere Überlegungen zu den MILGRAM Experimenten eine erste Stütze für unsere These vom Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktion gefunden.
321.2 Die Prognose von Verhalten
Es gibt jedoch noch eine weitere Parallele zum Straßenverkehr in der MILGRAM Studie, die unsere These von der Andersartigkeit – und damit verbunden: von der Beurteilungsschwierigkeit – bei Person-Objekt Interaktion stützt: Das Verhalten von Menschen in Person-Objekt Interaktionen lässt sich nicht voraussagen, wenn man die Prognose auf die alltäglichen Erfahrungen stützt.
MILGRAM bat in seiner Studie vierzig Psychiater einer führenden amerikanischen Medical School, den Ausgang seines Experimentes vorauszusagen. Dabei erhielt er die folgenden Werte:
Die Psychiater sagten voraus, dass in der Versuchsbedingung „Voice Feed-back“ die meisten Versuchspersonen nicht über das zehnte Schockniveau (d. i. 150 Volt; zu diesem Zeitpunkt verlangt das Opfer ausdrücklich, den Versuch abzubrechen und freigelassen zu werden) hinausgehen würden. Sie sagten ferner voraus, dass beim zwanzigsten Schockniveau (d. i. 300 Volt; zu diesem Zeitpunkt verweigert das Opfer jede Antwort auf die Fragen und besteht darauf, er nehme nicht mehr weiter am Versuch teil und müsse freigelassen werden) nur 3,73 % der Versuchspersonen noch den Anweisungen des Versuchsleiters folgen würden, und dass nur ein Zehntel eines Prozents der Versuchspersonen auch den höchstmöglichen Schock des Instrumentenbretts (d. i. 450 Volt; dieser elektrische Schock war auf der Skala kenntlich gemacht als „Danger : Severe Shock“) anwenden würden.
Wie sich aus der Figur 3 oben ergibt, verhielten sich die Versuchspersonen anders als vorausgesagt. Nicht 0, 125 % sondern zweiundsechzig Prozent der Versuchspersonen gehorchten den Anweisungen des Versuchsleiters und verabreichten ihrem „Schüler“ auch den höchsten vorgesehenen Schock von 450 Volt. Die Erklärung (und damit gleichzeitig die Stütze für unsere These) für diese schwere Unterschätzung des Versuchsergebnisses durch die Psychiater liegt in der Fehleinschätzung des sozialen Zusammenhangs, in dem das Verhalten erfolgte. Die Experten transponierten die Verhaltenserwartung, die sie durch die Beobachtung „normalen“ Interaktionsverhaltens erworben hatten, auf die Situation der Deindividuation, in der Interaktionspartner nicht mehr so sehr als Person, sondern als Objekt perzipiert werden. In solchen Situationen aber folgt das Verhalten anderen Regelmäßigkeiten als den gewohnten.
In den Verkehrswissenschaften ist dieselbe Einstellung bei manchen Experten zu finden. Ihre Grundannahme ist, dass „Menschen so fahren wie sie leben“,[67] und ausgehend von dieser Grundannahme suchen sie Regelmäßigkeiten in der falschen Richtung. Wie MILGRAMs Experiment zeigt, ist aber eine Unterscheidung von Persönlichkeitsmerkmalen und eine Einteilung in Klassen wie Geschlecht, Alter, soziale Schichtzugehörigkeit usw., die hilft, normales Interaktionsverhalten zu verstehen, nicht primär relevant für ein Verständnis von deindividuierten Verhalten.
Die MILGRAM Experimente sind die eindrucksvollsten und auch die erschreckendsten der Versuche in der Sozialpsychologie, die sich mit der Deindividuation befassen. MILGRAM selbst gebraucht den Ausdruck Deindividuation nicht. Seine Ergebnisse sind die Nebenfolgen einer Studie, die sich vor allem aus der Analyse des Gehorsams gegenüber Autorität ergeben.
Das erste Experiment, das sich spezifisch mit dem Verhalten im Zustand der Deindividuation befasst, wurde von FESTINGER, PEPITONE und NEW-COMB [68] durchgeführt. Diese Autoren beschreiben und definieren Deindividuation als einen Zustand innerhalb einer sozialen Gruppe, bei dem Gruppenmitglieder andere nicht als Individuen betrachten und dementsprechend auch nicht das Gefühl haben, von anderen als solche gesehen zu werden. Sie stellen die These auf, dass ein solcher Zustand zu einer Abschwächung innerer Hemmungen führt und dass sich daher die Gruppenmitglieder freier fühlen, Verhaltensweisen zu zeigen, die sie als Einzelne nicht an den Tag legen würden. Diese Zusammenhänge glauben sie in einem Experiment nachzuweisen, in dem sie Gruppenmitglieder über ihre negativen Einstellungen zu ihren Eltern diskutieren lassen und eine positive Korrelation zwischen der Häufigkeit der negativen Äußerungen und dem Erinnerungsvermögen an die Sprecher finden.
Erst mehr als eine Dekade später kam es zu einer weiteren empirischen Studie durch SINGER, BRUSH und LUBLIN.[69] Diese Autoren betonen den Verlust des Eigenbewusstseins (selfconsciousness) sowie die Verringerung des Gefühls der Eigenständigkeit und der Unterscheidbarkeit von anderen als wesentlich für den Zustand der Deindividuation. Im Gegensatz zu FESTINGER u. a.[70] stellen sie heraus, dass Deindividuation nur in dem Maße ein Gruppenphänomen ist, als die Gruppensituation eine geeignete Umgebung sowie Modelle für Verhaltensimitation bereitstellt. Den Schlüssel für das Verhalten in Situationen der Deindividuation sehen sie in dem Belohnungs-Hemmungs-Quotienten des Einzelnen für im allgemeinen unerwünschte Handlungsweisen.[71] Für die Deindividuation bedürfe es auch nicht des Verlusts der eigenen Identität, vielmehr befinde sich jemand im Zustand der Deindividuation, wenn er im Sinne von GOFFMANs Begriff des „impression-management“[72] nicht die im Alltagsleben üblichen Techniken der Selbstdarstellung anwenden muss. Zum empirischen Nachweis dieser Thesen beobachteten SINGER u. a. Gruppendiskussionen, wobei die Identifikationsmöglichkeiten der Gruppenmitglieder manipuliert waren. Diskussionsthemen waren sexuelle Tabus. Entsprechend ihren Erwartungen fanden die Autoren signifikante Unterschiede im Gebrauch von obszönen Worten.
Eine dritte Studie ist ZILLERs[73] theoretische Analyse der Deindividuation. ZILLERs Arbeit ist der Versuch einer Theorie der individuellen Assimilation in großen Organisationen. Die Ursprünge des Bedürfnisses nach Unabhängigkeit-Abhängigkeit im sozialen Handlungsraum werden von ihm in Hinblick auf das seiner Meinung nach grundlegendere Bedürfnis nach Ich-Identität[74] überprüft. Deindividuation wird hier gesehen als eine subjektive Differenzierung des Selbst von anderen sozialen Objekten im sozialen Handlungsraum: „… the greater the number of bits of information required to locate the person, the greater the degree of deindividuation.“[75] ZILLERs These lautet: „individuation is desirable within a supportive social climate but anonymity is sought as a defense against a threatening environment.”[76] Als Ergebnis seiner Untersuchung stellt er fest, dass grundsätzlich im westlichen Kulturkreis die soziale Umgebung um das Selbst herum strukturiert ist. Jedoch bestünde zwischen individuellen Bedürfnissen und Gruppenbedürfnissen unweigerlich zu einem gewissen Maße ein Konflikt. Deshalb könne durch den Spannungsraum zwischen Ich- und Gruppenidentität der soziale Lebensraum des Einzelnen beschrieben werden.
Die umfassendste und gründlichste Studie über Deindividuation hat ZIMBARDO[77] vorgelegt. Während bei den bisher erwähnten Arbeiten mit Ausnahme der von MILGRAM[78] Deindividuation vor allem als Gruppenphänomen dargestellt und untersucht wurde, löst sich ZIMBARDO von dieser einengenden Betrachtungsweise und folgt damit einem Hinweis bei SINGER: “ . . . deindividuation . . . is a group phenomenon only to the extent that the group provides an appropriate environment for behavioral imitation and contagion. „[79] Unter Deindividuation versteht er einen komplexen hypothetischen Prozess, bei dem eine Serie von antezedierenden sozialen Umständen zu der Veränderung in der Perzeption des Selbst und der Anderen derart führt, dass die Hemmungsschwelle gegenüber normalerweise nicht gezeigten Verhaltensweisen herabgesetzt ist. Unter geeigneten Umständen komme es dann zum „Ausbruch“ von Verhaltensweisen, die etablierte Normen über Angemessenheit verletzen. ZIMBARDO betont dabei jedoch, dass unter solchen Umständen nicht nur antisoziale Verhaltensweisen zum Vorschein kommen können, etwa charakterisierbar als selbstsüchtig, gierig, machthungrig, feindselig, lüstern und destruktiv. Vielmehr erlauben die Umstände auch eine Reihe von „positiven“ Verhaltensweisen, die normalerweise nicht offen zum Ausdruck kommen, etwa intensive Gefühle der Glücklichkeit oder Angst und der offen gezeigten Zuneigung zu anderen. Insgesamt also würden Emotionen und Impulse, die normalerweise unter kognitiver Kontrolle stehen, eher ausgedrückt, wenn die Input-Bedingungen die Selbstbeobachtung und Selbstbewertung sowie die Besorgnis über die Bewertung durch andere immunisieren.
ZIMBARDO unterscheidet (a) die Umstände und Bedingungen für Deindividuation, d. h. die Umstände, die Deindividuation stimulieren, (b) das Gefühl oder den Zustand der Deindividuation, d. h. den experimentellen Aspekt der Input-Variablen im Zusammenhang mit den angenommenen subjektiven Veränderungen bei Ego und schließlich (c) das deindividuierte Verhalten, das durch verschiedene spezifische Verhaltensformen charakterisiert ist. Als Deindividuation bezeichnet er den gesamten Prozess und sieht darin ein eigenständiges psychologisches Phänomen.
Den Deindividuationsprozeß stellt er in dem folgenden schematischen Modell zusammen:
Im Gegensatz zu den anderen Autoren bezeichnet ZIMBARDO sein Modell nicht als eine Theorie, sondern er bleibt ausdrücklich im Rahmen des „Entdeckungszusammenhangs“ (context of discovery). [80]
Die in seinem Modell aufgezeigten Zusammenhänge stellt er mit Hilfe von mehreren Experimenten und Beobachtungen über das Verhältnis von Anonymität und Aggressivität dar. In einem dieser Experimente z. B. variiert er den Grad der Anonymität der Versuchspersonen. Wie MILGRAM lässt er dort die Versuchspersonen anderen elektrische Schocks verabreichen, allerdings von gleichbleibender Stärke, und misst die Dauer der verabreichten Schocks. Wie MILGRAM stellt er signifikante Unterschiede im Verhalten der Versuchspersonen fest: In der deindividuierten Situation werden bedeutend längere Schocks verabreicht als in Situationen, in denen die Individualität und Identifikationsmöglichkeit der Versuchspersonen betont wird. An diesem Ergebnis änderte sich auch dann nichts, nachdem er die Perzeption der Opfer als sympathisch bzw. unsympathisch manipuliert hatte. Aufgrund dieser Experimente postuliert ZIMBARDO, Deindividuation rufe Aggressivität hervor.
Entsprechende Beobachtungen macht ZIMBARDO auch bei einem Feld-Experiment. Er stellt ein älteres Automobil ohne Nummernschilder und mit offener Motorhaube auf eine Straße gegenüber dem Bronx-Campus der New York University und beobachtet das Fahrzeug ununterbrochen 64 Stunden lang. Die Input-Variable Anonymität sah er durch die Großstadtumgebung gewährleistet. Obwohl er das Fahrzeug in Erwartung deindividuierten Verhaltens bereitgestellt hatte, war ZIMBARDO doch über die Ergebnisse seines Experiments überrascht. In der Folge sein Bericht:
„Innerhalb von 10 Minuten kamen zu dem Fahrzeug die ersten Auto-Stripper – Vater, Mutter mit achtjährigem Sohn. Die Mutter stand anscheinend Schmiere, während der Sohn dem Vater bei der Durchsuchung des Kofferraums, Handschuhfachs und Motors half. Er reichte seinem Vater die notwendigen Werkzeuge, um Batterie und Kühler auszubauen. Die Gesamtzeit des destruktiven Kontakts: sieben Minuten. Am Ende der ersten 26 Stunden hatte eine ununterbrochene Parade von Auto-Strippern die folgenden Teile entfernt: Batterie, Kühler, Luftfilter, Radioantenne, Scheibenwischer, einen Chromstreifen auf der rechten Seite, Radkappen, ein Paar Anlasserkabel, einen Benzinkanister, eine Dose Autowachs und den rechten Hinterreifen (die anderen Reifen waren zu abgefahren, um noch von Interesse zu sein). Neun Stunden später begann die willkürliche Zerstörung des Fahrzeuges als zwei lachende Teenager den Außenspiegel abrissen und ihn gegen die Vorderlampen und die Windschutzscheibe warfen. Etwas später benutzten 5 Achtjährige den Wagen als ihren Privatspielplatz, krochen hinein und heraus und zerschlugen die Scheiben. Einer der letzten Besucher war ein Mann im gesetzten Alter im Kamelhaarmantel und dazu passendem Hut, der ein Baby im Kinderwagen spazieren fuhr. Er hielt, durchsuchte den Kofferraum, nahm daraus ein unidentifiziertes Teil, legte es in den Kinderwagen und ging weiter. In weniger als drei Tagen war der Wagen ein Schrotthaufen, das Ergebnis von 23 Fällen destruktiven Kontakts. Der Vandalismus wurde fast immer von einem oder mehreren der Vorbeigehenden beobachtet. Diese blieben gelegentlich sogar stehen und unterhielten sich mit den Plünderern. Der größte Teil der Zerstörung geschah bei Tageslicht und nicht bei Nacht (wie wir erwartet hatten), und Diebstähle durch Erwachsene gingen klar dem Scheibeneinschmeißen und Reifenzerstechen durch Jugendliche voraus. Die Erwachsenen waren durchwegs gutangezogene, adrette Weiße, die man unter anderen Umständen für reife, verantwortungsbewusste Bürger hätte halten können, welche nach mehr Recht und Ordnung verlangen.“[81]
MILGRAMs Experimentente wie auch die anderen oben dargestellten Experimente und Studien haben gezeigt, dass es Lebenssituationen gibt, in denen die Erfahrungssätze des Alltags über das zu erwartende Verhalten keine Prognose zulassen. Auch der „ordentliche“ Bürger, der sonst mit dem Gesetz nicht in Konflikt kommt, zeigt in diesen Interaktionssituationen ein Verhalten, das strafrechtlich relevant sein kann.
Ausgangspunkt der ersten Studien war die Untersuchung eines Gruppenphänomens, das von FESTINGER u. a.[82] Deindividuation genannt wurde. Die späteren Studien, insbesondere auch ZIMBARDOs Arbeit,[83] machten deutlich, dass dieses Phänomen nicht auf Verhalten in Gruppen beschränkt ist. ZIMBARDOs heuristisches Modell des Deindividuationsprozesses scheint der vorläufige Abschluss und die Zusammenfassung dieser Studien zu sein. Es scheint, als ließe sich unter der Annahme, dass ZIMBARDOs Input- Variablen eine adäquate Beschreibung der Input-Variablen des Deindividuationsprozesses darstellen, einer Lösung des Kausalproblems der Deindividuation näherkommen, wenn man nur das Gemeinsame aller dieser Variablen herausisoliert.
Übersehen würde dabei, dass ZIMBARDOs Bedeutungshintergrund der Gedanke der Aggressivität des beobachteten Verhaltens ist. Er betont dies bei der Diskussion der Ergebnisse bzw. bei der Einführung in die oben dargestellten Experimente.[84] Wie oben schon einmal angedeutet, handelt es sich bei einer Beschreibung eines Verhaltens als aggressiv nur scheinbar um eine Beschreibung. Im Vordergrund steht dabei vielmehr der Versuch, die gezeigten Verhaltensweisen zu erklären. Wenngleich deshalb insbesondere ZIMBARDOs Arbeit nur beschränkt verwertbar ist, konnte auch durch diese Studie die Andersartigkeit sowie die Beurteilungsschwierigkeit von Verhalten im Zustand der Deindividuation herausgestellt werden. Gemeinsam ist allen Input-Variablen, die ZIMBARDO in seinem Modell erwähnt, dass sie unter verschiedenen Gesichtspunkten den Zustand beschreiben, wo eines oder mehrere der sozialen Kontrollsysteme annulliert, geschwächt oder verändert ist. Festhalten lässt sich deshalb jedenfalls, dass das Nicht-Funktionieren von Kontrollen den Zustand der Deindividuation charakterisiert.
An diesem Punkt brauchen wir jedoch nicht stehen zu bleiben. Bisher haben wir zwar an dem Begriff Deindividuation, wie er von FESTINGER[85] geprägt wurde, festgehalten. An diesem Begriff lässt sich jedoch insofern Kritik üben, als er sich auf einen handelnden Ego aus der Perspektive eines Tertius bezieht.[86] Um aber den handelnden Ego zu verstehen – und um über diese Betrachtungsweise keine Missverständnisse aufkommen zu lassen -, erscheint es angebracht, statt der Perspektive eines unbeteiligten, „objektiven“ Dritten die Perspektive eines Egos heranzuziehen,[87] also dem Postulat des symbolischen Interaktionismus zu folgen. Dann aber ist Alter die Person, die von Ego aus gesehen seine Individualität verloren hat und der Begriff „Deindividuation“ könnte irreführend sein.
Ein Schritt in die von uns vorgeschlagene Richtung wird schon von MILGRAM getan, wenn er aufgrund seiner Studie die Notwendigkeit einer sozialpsychologischen Theorie der Situationen erkennt.[88] Nach MILGRAMs Vorstellung sollte eine solche Theorie zunächst eine Sprachregelung finden, mit der Situationen definiert werden können, sodann eine Typologie der Situationen aufstellen und schließlich herausarbeiten, wie definierbare Eigenschaften von Situationen im Individuum in psychologische Kräfte umgesetzt werden. Milgram selbst beschränkt sich darauf, auf die phänomenale Einheit von Handlungsakten hinzuweisen:
„In the remote conditions, it is more difficult for the subject to gain a sense of relatedness between his own actions and the consequences of these actions for the victim. There is a physical and spatial separation of the act and its consequences. The subject depresses a lever in one room, and protests and cries are heard from another. The two events are in correlation, yet they lack a compelling phenomenological unity. The structure of a meaningful act – I am hurting a man – breaks down because of the spatial arrangements . . . “[89]
Wir möchten in der Folge diese Richtung weiterverfolgen. Die Diskussion und die Darstellung der Experimente bezüglich des Phänomens der Deindividuation dienten uns deshalb in erster Linie dazu, um darzulegen, dass es Parallelen zwischen den Situationen im Straßenverkehr und den Situationen in den sozialpsychologischen Experimenten zur „Deindividuation“ gibt. Gezeigt haben uns dann die Experimente, insbesondere auch die völlig danebenliegenden Verhaltensprognosen der Psychiater bei MILGRAM,[90] dass unser Wissen und Verständnis von Interaktionen nicht notwendigerweise ausreichen, um die Interaktionssituation und das Verhalten im Straßenverkehr zu verstehen. Unsere These vom Verkehrsverhalten als Person-Objekt Interaktion, die wir an die Stelle des in den obigen Untersuchungen gebrauchten Begriffs der „Deindividuation“ zu setzen vorgeschlagen haben, wurde insoweit bestätigt.
Haben wir somit festgestellt, dass ein Verständnis des Systems des Straßenverkehrs und des Handelns der Straßenverkehrsteilnehmer nicht aufgrund des Vorverständnisses von Interaktionsbeziehungen im Allgemeinen erreicht werden kann, bedarf es einer Neuanalyse dieses Lebensbereichs. Diese soll im Folgenden versucht werden.
3.3 Perzeption und Entscheidung im Verkehr
In diesem Abschnitt wenden wir uns zunächst dem „kleinen Bruder“ des Automobilverkehrs zu, dem Fußgängerverkehr in der Großstadt. Unter Zuhilfenahme der Ergebnisse dieser Überlegungen können wir dann auf die Perzeption und Entscheidung im Automobilverkehr eingehen.
Beim Fußgängerverkehr in der Großstadt scheinen uns Probleme ähnlich denen im Automobilverkehr entgegenzutreten. Gemeinsam ist sowohl dem Automobilverkehr wie dem Fußgängerverkehr, dass sich Menschen bewegen, sich physisch nahekommen, ohne eine andauernde interpersonale Beziehung miteinander anzuknüpfen.[91] In beiden Fällen kennen die Menschen einander nicht, und sind sicher, dass sie einander nicht mehr begegnen werden.[92] Die Ergebnisse der Untersuchung des Fußgängerverkehrs in der Großstadt können uns deshalb bei der Untersuchung des Verkehrsverhaltens im Automobilverkehr behilflich sein.
TIME MAGAZIN[93] beschreibt eine Pilotstudie von Fußgängerverhalten, die von Michael WOLFF am Graduate Center of the City University of New York durchgeführt wurde. WOLFF machte seine Beobachtungen in Manhattan auf der 42. Straße zwischen Fifth und Sixth Avenue und fand dabei eine erstaunliche Menge von Interaktionen zwischen Fußgängern in der Großstadt.
Die meisten der beobachteten Fußgänger bemühten sich offensichtlich in gewisser Kooperation mit den anderen Fußgängern einen Zusammenstoß zu vermeiden. Ein beliebtes Manöver im dichten Verkehr ist, was WOLFF den „Step-and-Slide“ genannt hat: eine leichte Drehung des Körpers, ein Herumschieben der Schulter und ein fast unmerklicher Seitschritt, jeweils spiegelbildlich erwidert von dem begegnenden Fußgänger.
Um die Richtigkeit seiner Beobachtungen zu testen, dass es einen gewissen Grad von Interaktion zwischen Fußgängern gibt, entwarf WOLFF ein Experiment, in dem er sich selbst auf Kollisionskurs mit anderen Fußgängern setzte und ihre Reaktion beobachtete. Diese Episoden wurden von einem Fenster im zwölften Stock gefilmt.
Was die Kamera nicht aufnahm, waren die Bemerkungen der angerempelten Fußgänger gegenüber dem Psychologen: “ Whats a madda? Ya blind? Whyn’t ya look where ya goin‘? Ya crazy or sum ’n? “ Nach Anschauung von WOLFF indizieren diese und ähnliche Bemerkungen, dass New Yorker, obschon unempfindlich gegenüber manchen anderen Ungelegenheiten des Großstadtverkehrs, keine Toleranz gegenüber dem zufälligen Anrempeln im Fußgängerverkehr aufbringen; sie erwarten einen gewissen Grad von Kooperation von den anderen Fußgängern, um Kollisionen zu vermeiden.
Die Beobachtungen und das Experiment zeigen, dass es gewisse ungeschriebene Gesetze auch für den dichten Fußgängerverkehr in der Großstadt gibt, deren Verletzung durch sofortige Reaktion bestraft wird. Die Interaktion zwischen den Fußgängern ist, soweit sie stattfindet, funktional auf das Minimum beschränkt, das zur Vermeidung von Zusammenstößen reicht.
Diese Art der rudimentären Interaktion kann auch bei Fußgängern beobachtet werden, die in dieselbe Richtung gehen. Das Verhaltensmuster dort ist die Bildung einer Formation der Art, dass der Fußgänger dem Vorausgehenden über die Schulter schauen kann. Wenn jemand in der Menschenmenge seine Position ändert, verändern sie auch die hinter ihm gehenden und passen sich so an das neue „Über-die-Schulter-Verhältnis“ an. Das Gehen hinter jemandem ist normalerweise für den Fall des verstopften Bürgersteigs reserviert, wo dann der Vorangehende als eine Art Bollwerk benutzt wird.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auffällige Charakteristika des Fußgängerverhaltens im Gedränge der Großstadt Rücksichtnahme und Kooperation sind. Sie werden aufrechterhalten durch eine funktionale Interaktion, d. h. eine Interaktion, bei der der Andere, wenn auch stereotypisiert, als Person wahrgenommen wird.[94] Nicht-Interaktion oder missglückte Interaktion, die zu „Unfällen“ führt, wird sofort durch eine Reaktion bestraft, die höchstens verbaler Art ist.
Obwohl die Interaktionsbeziehungen auf ein Minimum beschränkt sind, besteht nach WOLFFs Studie also kein signifikanter Unterschied zwischen dem Verhalten im Fußgängerverkehr und dem Verhalten in anderen Situationen des täglichen Lebens, in denen wir anderen Menschen „von Angesicht zu Angesicht“ begegnen. Deshalb könnte man, soweit auch im Automobilverkehr eine zumindest funktionale Interaktion, d. h. eine Interaktion, bei der die Partner sich als Personen wahrnehmen und sie sich so begegnen, nachgewiesen werden kann, ein Verhaltensmuster erwarten, das den alltäglichen Interaktionsbeziehungen entspricht.
Um zu einem Verständnis des Verhaltens im Automobilverkehr zu gelangen, werden wir deshalb unser Hauptaugenmerk darauf richten, wie Autofahrer einander wahrnehmen.
Die Untersuchung der Perzeption im Automobilverkehr ist von zwei Perspektiven her möglich: einmal von der Perspektive des handelnden Ego, zum anderen von der Perspektive eines unbeteiligten Dritten, eines Tertius, der, weder Ego noch Alter, eine ihm unbekannte Situation betrachtet und unfähig oder unwillig ist, die Rolle des Ego oder des Alter zu usurpieren.[95] Bei der Perspektive des Ego kann weiterhin nach Objekten der Perzeption unterschieden werden: der Selbstperzeption und der Perzeption von Alter. Bei der Selbstperzeption kann wiederum zwischen Ego als Handelndem sowie Ego als Objekt von Alters Aktionen differenziert werden. Aus dieser Unterteilung der Perzeption im Automobilverkehr ergibt sich der Aufbau der Untersuchung im folgenden Abschnitt. Wir wenden uns zunächst der Perspektive eines Tertius zu und versuchen mit seinen Augen das Verhalten im Straßenverkehr zu sehen.
332.1 Die Perspektive von Tertius
Aus der Perspektive des Tertius sehen wir im Straßenverkehr eine recht wundersame und befremdliche Welt. Das herausstechende Charakteristikum bei einer solchen Beobachtung ist, dass sich Menschen in einer Schale umherbewegen, also physisch getrennt von ihrer Umgebung durch Stahl, Glas und Gummi. Wir alle haben schon dieses Erlebnis der Perspektive des Tertius gehabt, als wir auf einem Berg standen und unten im Tal in einem Gewimmel wie auf einer Ameisenstraße Schalen, nämlich die Autos, herumkriechen sahen.
Aus der Perspektive eines Tertius sind diese Schalen strukturell gleichartig, jedoch lassen sich verschiedene Modelle beobachten. Das Nummernschild, das eine Möglichkeit der Individualisierung bietet, ist als solches nur einer institutionellen Kontrollorganisation erkenntlich.
Diese Schalen versehen Menschen mit der Möglichkeit, sich schnell von einem Ort zum anderen zu bewegen. Solange ein Mensch sich in ihnen aufhält, ersetzen sie die Beine durch Motor und Räder, die Stimme und Gesten durch mechanische Signale.
Der Mensch sitzt in dieser Schale. Sein Leib und seine Beine sind fast vollständig von ihr verdeckt und nur der Oberkörper ist hinter dem Glas der Fensterscheiben vage erkennbar. Was immer auch der Mensch innerhalb der Schale mit seinen Armen und Beinen tut, wird wirksam nur durch die Vermittlung mechanischer Werkzeuge, die seine Kraft vervielfältigen. So ist die Fähigkeit des Menschen sich auszudrücken, soweit es das Werkzeug zulässt, ins Gewaltige gesteigert: durch die Hupe ist seine Stimme verstärkt, wenn auch jetzt eintönig beschränkt auf einen Misston, und durch die Scheinwerfer vermag er seine Umgebung anzufunkeln, wenn auch nicht mehr mit den Nuancen des Mienenspiels. Aufgrund seiner Abschirmung durch die Schale sind dem Menschen viele Ausdrucksmöglichkeiten verloren gegangen, mit denen er sich sonst grundsätzlich effektiv verständigt, nämlich die Sprache und die vielfachen Schattierungen seiner Mimik und Gestik. Ähnlich dem Menschen in der Ritterrüstung ist der Mensch in der Schale Automobil in seiner Kommunikation beschränkt. Er hat sie aufgeopfert zugunsten anderer Fähigkeiten, nämlich mit der Schale Auto sich schneller fortbewegen zu können und durch sie gegen Außeneinwirkungen weitgehend geschützt zu sein. Von der Perspektive eines Tertius lässt sich deshalb der Mensch im Auto in Analogie zum Schalen-Tier als „Schalen-Mensch“ charakterisieren.
In der verkehrswissenschaftlichen Literatur scheint diese Charakterisierung des autofahrenden Menschen die Suche nach einem Verständnis des Verkehrsverhaltens zu bestimmen. Wie aber schon aus unserer Apostrophierung dieser Perspektive als der des Tertius hervorgeht, kann eine solche Problemsicht nicht zu einem Verständnis von Verkehrsverhalten führen, da sie gleichsam verständnislos dem sinnhaften Handeln des Egos gegenübertritt und Ego als ein statisches Objekt behandelt, das es zu beschreiben gilt. Notwendig ist vielmehr zum Verständnis von Handeln, dass man in die Rolle des zu Beobachtenden schlüpft und mit seinen Augen und vor allem mit seinen Vorurteilen die Welt um ihn herum sieht. Diese, von der Position des symbolischen Interaktionismus her verständliche Methode[96] werden wir im Folgenden anwenden.
Wie einführend oben schon erwähnt, lässt sich bei der Perspektive von Ego zwischen Selbstperzeption und Perzeption von Alter unterscheiden. Wir wenden uns zunächst der Selbstperzeption des autofahrenden Ego zu und unterscheiden dort seine Perzeption als Handelnder und seine Perzeption als Empfänger von Stimuli.
Wie jedes Werkzeug, das der Mensch benutzt, und das mag die Brille, eine Krücke, ein Gipsbein oder sogar ein Hammer sein, perzipiert der Mensch die Schale, das Auto, nach einer Zeit der Anpassung als Teil seiner selbst. Die Schale ist dann ein Teil des Körpers, eine Organfortsetzung, ebenso wie die Arme oder die Beine. Wie diese Körperteile ist sie Ausführungshilfe zur Betätigung des Willens.[97] Spricht der Autofahrer über seinen Wagen, so trennt er nicht zwischen seinen Leistungen und denen der Maschine. Er, nicht aber die Maschine, hat die Schnelligkeit. Er, und nicht die Maschine, hat die Pferdestärken. Wenn er auf die Hupe drückt, ist er es, der jemanden anbrüllt. Und wenn er den Lichtschalter betätigt, dann blitzt er jemanden an.
Diese Identifikation mit dem Automobil dauert jedoch nur so lange, wie es funktionstüchtig ist.[98] Treten Schwierigkeiten auf, wird das Auto als selbständiger Gegenstand entdeckt und ein Dissoziationsprozess setzt ein.[99] Die Situation ist nicht unähnlich der, die eintritt, wenn man sich etwa die Hand bricht oder sonst erkrankt. Auch hier wird man sich der Beschränkungen menschlichen Handelns nur bewusst, wenn die Körperorgane ihre Funktion verweigern. Erst nach Dissoziation z. B. der Fingerfertigkeit vom „Sich-Selbst“ kommt das Selbstbild wieder in die Waage. Zwar steht man noch hilflos „vor“ der reparaturbedürftigen Organfortsetzung, sei es Auto, sei es Hand, aber die Organfortsetzung hat schon ein Eigenleben begonnen, sie ist zur Sache geworden, mit der man „selbst“ natürlich nicht identisch ist. Gerade dieser Prozess der Dissoziation bei Versagen und der Assoziation bei Erfolg deutet auf die Identifizierung des Autofahrers mit seiner Schale, dem Fahrzeug.
Durch die Perzeption des Autos als Organergänzung „wird zugleich die bloße Werkzeugfunktion überstiegen. Da man seinen eigenen Sensibilitätskreis auf die Dimensionen des Automobils (ausdehnt) . . . bedeutet die Identifikation mit dem Werkzeug, dass dieses – und zwar allein von seinen technischen Zwängen her – mehr bedeuten muss als eine bloße Maschine. Wir treffen hier auf die Nahtstelle zwischen der Funktion des bloßen Werkzeugs und der des Konsumgutes“ und der des Machtsymbols,[100] denn „das Auto (verschafft auch) durch seine Form, seinen Glanz, durch das Glücksgefühl des Fahrens, das sich bis zum Rausch steigern kann, ein emotionales Erlebnis eigener Art. „[101]
Werbung und Automobildesign haben diese emotionale Funktionen des Autos längst erkannt und benutzen die Tatsache, dass das Automobil ein Symbol der Identität geworden ist, dass Persönlichkeit ge- und verkauft werden kann.[102] Unter dem Vorwand der aerodynamischen Notwendigkeit haben sie aus dem Fahrzeug einen zur Schau getragenen Penis gemacht, der den neu eroberten Freiheitsraum durchdringt;[103] denn im Automobil „versucht der Mensch, dem in der Hektik unserer Zeit das Leben unter den Händen verrinnt, auf Ersatzwegen zum Erlebnis eines erfüllten Augenblicks zu kommen. „[104] Die Geschwindigkeit seiner Organfortsetzung Automobil erfüllt seinen Wunsch nach Leistung, da sie perzeptionell von ihm selbst erbracht wird.
Ego, der Fahrer, nimmt sich selbst, soweit er agiert, als eine Art von modernem Zentauren wahr. Er ist teils Automobil, teils Mensch, wenn er sich in den Straßenverkehr begibt.
Selbstbeobachtung und Beobachtung von anderen sagt uns, dass Ego sich selbst nur so lange als modernen Zentaur perzipiert, als er handelt. Ist er das Objekt Handlungen anderer, dann verklingt die kognitive Einheit Egos mit seinem Fahrzeug. Jetzt sieht er sich als menschlich, verwundbar, als der Rücksichtnahme bedürftig und würdig. „Er sieht sein Vehikel als friedfertige Wohnung, die zu seiner eigenen Sicherheit nach außen abgeschirmt und die von den Fahrzeugen der anderen umgeben ist: von ‚ Panzerwagen‘, die seine Freiheit und Freizügigkeit beschränken. Er klagt darüber, dass es zu viele Autos gibt – und übersieht, dass auch sein eigenes darunter ist. „[105]
In der Form von Flüchen, Beschimpfungen und scheinbar rationaler Kritik an dem Verhalten anderer Straßenverkehrsteilnehmer drückt er diese Erwartungen mehr oder weniger verständlich gegenüber seinen Mitfahrern und sich selbst aus. Nur wenn Ego daran erinnert wird, z. B. durch den Beobachter, wird er sich der Tatsache wieder bewusst, dass er sich nur vor einer Minute noch ganz eins mit dem Fahrzeug gefühlt hatte, durchaus nicht menschlich, sondern als eine Art von Zentauren, und dass die Situation sich inzwischen nur insofern geändert hat, als er jetzt das Objekt von Handlungen anderer ist, die sich ebenfalls als Zentauren perzipieren.
Der Autofahrer Ego kann deshalb als janusgesichtig in seiner Selbstperzeption beschrieben werden. Handelt er selbst, perzipiert er sich als mächtigen Maschinen-Menschen; ist er das Objekt der Handlungen anderer, sieht er sich als menschlich und erwartet von anderen die Rücksichtnahme, die er selbst bei seinen Handlungen hat vermissen lassen.
Ego weiß, dass in dem Automobil, das ihm begegnet, der Mensch Alter der Fahrer ist. Auf Befragen wird er das jedem Zweifler überzeugend bestätigen. Es fragt sich jedoch, ob er Alter auch als Menschen und nicht als Quasi-Objekt perzipiert, solange er nicht darüber nachdenkt, sondern handelt.
Das damit aufgeworfene Problem kann in zwei Problemgesichtspunkte aufgegliedert werden, deren Durchdringung auf die Problemlösung hinführt. Und zwar können wir uns die folgenden Fragen stellen:
- Wo liegen die physischen Grenzen der Perzeption im Automobilverkehr?
- Und weiterhin: Wo liegen die psychischen Grenzen der Perzeption?
Diese Fragen werden wir in dem folgenden Abschnitt zu beantworten suchen.
Um die physischen Grenzen der Perzeptibilität von Alter zu illustrieren, wollen wir ein hypothetisches Experiment unternehmen. Wir wollen annehmen, dass Ego – und zwar ohne sein Automobil – an einem bestimmten Punkt steht, und ein Alter, den Ego nicht kennt, sich nähert und schließlich an Ego vorbeigeht. Die postulierte Situation unseres Experimentes ist also die jedem geläufige Situation eines Fußgängers, der einem anderen begegnet. Von dieser Grundsituation ausgehend wollen wir die Perzeptibilität von Alter durch Ego untersuchen.
Zunächst können wir feststellen, dass bei größerer Entfernung Ego den Alter nur in seinen Konturen erkennen kann. Ego sieht die Art der Kleidung, die Alter trägt. Er kann vielleicht jetzt wahrnehmen, ob Alter ein Mann, eine Frau oder ein Kind ist. Interaktionen auf diese Entfernung sind jedoch selten. Werden sie versucht, bestehen sie im Winken oder in Schreien. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Mittel bleibt also jede Interaktion rudimentär in Bezug auf Ausdrucksmöglichkeiten und deren Wahrnehmung.
Nähert sich dann Alter dem wartenden Ego weiter, so werden die für Alter charakteristischen Arten der Bewegung erkennbar. Mehr und mehr Details in Alters Erscheinung werden augenfällig. Der Zustand und die Qualität seiner Kleidung sowie die Gesichtszüge und die Haartracht können ausgemacht werden. Der Beobachter kann Alter sprechen hören. Und schließlich ist Alter so nahe, dass ein Augenkontakt geschlossen werden kann und in eine vokale oder nichtvokale Interaktion eingetreten werden kann. In der oben unter 33.1 erwähnten Studie von WOLFF über Fußgängerverhalten in der Großstadt ist das der Moment, in dem der „Step-and-Slide“, der fast unmerkliche Seitschritt, eingeleitet wird, jeweils erwidert von dem begegnenden Fußgänger.
Um nun in dieser geläufigen Grundsituation die temporale Perspektive Egos zu verändern und sie schließlich der Perspektive des Autofahrers Ego gegenüber dem Autofahrer Alter anzunähern, wollen wir nun zusätzlich annehmen, dass Egos Beobachtung der Näherung Alters auf Film aufgenommen wurde. Diese Änderung der Grundsituation setzt uns in die Lage, durch ein (hypothetisches) schnelleres Abspulen desselben Films die Perzeptibilität Alters ausschließlich temporal zu verändern.
Nehmen wir an, Alter nähert sich Ego mit einer Geschwindigkeit von 6 km/h und wir beginnen unsere Filmaufnahmen, wenn Alter noch 200 Meter entfernt ist. Dann wissen wir, dass er in zwei Minuten Egos Beobachtungspunkt passieren wird. Bei dieser Entfernung sind Alters Konturen noch unbestimmt. Manchmal kann man noch nicht einmal erkennen, ob Alter ein Mann oder eine Frau ist. Ist Alter auf 100 Meter herangekommen, wird er also Ego in einer Minute passieren, dann ist sein Umriss so deutlich, dass eine rudimentäre Interaktion möglich ist. Bei der Entfernung von 50 Metern (30 Sekunden) schließlich, werden Alters Züge erkennbar, seine Stimme ist schon vernehmbar. Erst auf den letzten 25 Metern, d. h. in den letzten 15 Sekunden der Begegnung, ist jedoch frühestens ein Augenkontakt möglich und eine nicht-vokale, differenzierte Interaktion kann beginnen. In diesen 15 Sekunden müssen alle „Probleme“, die etwa aus der Begegnung entstehen, durch gegenseitige Verständigung gelöst werden. Sonst besteht die Möglichkeit, dass Alter, gleich einem Blinden,[106] Ego anrempelt.
Betrachten wir jetzt unseren hypothetischen Film über das hypothetische Treffen zwischen Ego und Alter, so lässt sich sicherlich nicht sagen, dass Alter von Ego nicht als Person wahrgenommen wurde, oder dass etwa Schwierigkeiten bestanden hätten, die eine mindest funktionale Interaktion zwischen Ego und Alter ausschließen würden. Es scheint bald, als brauchten wir unser Experiment nicht mehr weiterzuführen, so offensichtlich sind die dort gezeigten Sachzusammenhänge; denn Alter ist eine Person und wird als solche von Ego perzipiert.
Entgegen dieser Überlegung, anscheinend vertreten von der traditionellen Verkehrswissenschaft, wollen wir aber unser Experiment weiterspielen und wie vorgesehen unseren hypothetischen Zwei-Minuten-Film von der Begegnung so beschleunigen, dass er nur noch eine Minute dauert. Alter nähert sich jetzt Ego in derselben Geschwindigkeit, als ob Ego ihm entgegenginge. Die kritische Zeit für eine deutliche Wahrnehmung und für eine funktionale Interaktion verringert sich jetzt auf 7,5 Sekunden. Von WOLFFs Studie wissen wir, dass auch hier keine Probleme für eine Interaktion auftauchen.
Beschleunigen wir unseren Film jetzt so, dass der Eindruck entsteht, als begegneten sich Ego und Alter mit einer jeweiligen Eigengeschwindigkeit von 30 km/h, dann verringert sich unsere kritische Zeit für eine deutliche Wahrnehmung und für eine Interaktion auf 1,5 Sekunden, denn wir zeigen den Film mit einer Geschwindigkeit, die 10-mal größer ist als bei der Aufnahme.
Alter nähert sich nun Ego ähnlich einer Figur aus einem Charlie-Chaplin Film, zappelnd und strampelnd. Sein Gesicht taucht auf und ist auch gleich schon wieder verschwunden. Für eine Interaktion mit ihm bleibt keine Zeit mehr.
Die im Film gezeigte Geschwindigkeit der Begegnung entspricht jedoch in der Dauer einer normalen Begegnung der Autofahrer Ego und Alter im Stadtverkehr. Auch dort ist 1,5 Sekunden die Zeit, die für Perzeption und Interaktion bleiben. Wie Selbstbeobachtung und Beobachtung anderer zeigen, ist diese Zeit aber zu kurz für Perzeption und Interaktion, zumindest wenn Alter dem Ego bis dahin unbekannt war. Wir können deshalb schon hier sagen, dass die Perzeptibilität selbst bei unserer vereinfachten Verkehrsbegegnung in Frage gestellt ist.
Jedoch bisher haben wir nur die temporale Perspektive Egos verändert. In der wirklichen Verkehrssituation gibt es weitere Umstände, die die Möglichkeit der Perzeption von Alter verringern. So gilt z. B.:
- Ego selbst bewegt sich. Von seiner Sicht her gesehen bedeutet das, dass er mannigfache Stimuli von einer sich ständig ändernden Umgebung empfängt, die seine Aufmerksamkeit von Alter ablenken.
- Ego trifft nicht nur Alter, sondern hintereinander oder zur selben Zeit auch Alter1, Alter2, Alter3 … Altern. Diese Tatsache lenkt seine Aufmerksamkeit von dem individuellen Alter ab. „Die anderen werden zu dem”[107]
- Anders als in unserem hypothetischen Experiment ist der begegnende Alter im Automobilverkehr nur von seiner Schulter an sichtbar – soweit er überhaupt hinter der spiegelnden Windschutzscheibe im Schatten seines Wagens erkennbar ist.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint es fraglich, ob Alter als Person wahrgenommen werden kann; jedenfalls lässt sich mit Sicherheit ausschließen, dass er in eine Interaktion der Art eintreten kann, wie wir sie oben beim Fußgängerverkehr gezeigt haben. Was wir hier für eine recht einfache Verkehrssituation gezeigt haben, nämlich dem sich begegnenden Verkehr bei Tage bei geringer Geschwindigkeit, muss besonders für schwierige Situationen im Automobilverkehr gelten.
Wir können deshalb aufgrund unserer Analyse festhalten, dass Individualpersonen im Automobilverkehr als solche nicht perzipierbar sind, da dies schon physisch nicht möglich ist. Es bleibt jedoch die Möglichkeit, dass Ego, obwohl er Alter nicht als Individuum wahrnehmen kann, er diesen doch zumindest als stereotypisierte Person kognitiv erfasst und dass deshalb, entgegen unserer These vom Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen, eine Interaktion zwischen Personen über das Objekt Automobil stattfindet. Zu untersuchen bleiben also die psychischen Grenzen der Wahrnehmung im Automobilverkehr.
Ego weiß natürlich, dass ein Automobil gewöhnlich sich nicht ohne einen Fahrer umherbewegt. Er weiß, dass eine Person, nämlich Alter, der Fahrer des Wagens ist, der ihm begegnet. Das Wissen, dass Alter eine Person ist, darf uns jedoch nicht zu dem Schluss verleiten, dass Ego ihn als solche auch perzipiert; denn wie wir bei der Analyse der physischen Grenzen der Wahrnehmung im Automobilverkehr im vorigen Abschnitt festgestellt haben, sieht Ego von Alter nur die Schale, das Fahrzeug. Er sieht den Volkswagen, den Mercedes, den Opel, also Masken, die den dahinter sitzenden Menschen einerseits verbergen, andererseits aber auch, wie etwa die Masken im Karneval, ihm ein neues Gesicht geben.[108]
Zwischen diesen Masken kommt es zu „‚Machtproben‘ in Form von Überholkämpfen, Abschneiden der Vorfahrt und dgl. Auch ‚Markenkämpfe‘ sind beliebt: man ‚zeigt‘ . . . einer anderen Marke, was sie eigentlich wert ist: Wer einen ‚triefäugigen‘ Mercedes fährt, wird leicht feststellen, wie schnell man ihm auf der Autobahn Platz macht, wer mit einem Mittelklassewagen oder einem ausländischen Wagen überholen will, muss ‚erst mal warten‘, im zweiten Fall wird Macht gegenüber nicht arrivierten Typen erprobt. Eine andere typische Machtsituation: der Fahrer eines schweren Wagens wird überholt, ‚kann‘ sich das aber ’nicht gefallen lassen‘ und verhindert das Überholtwerden durch Gasgeben“.[109]
Beobachten wir uns selbst nach einer dieser ‚Machtproben‘ oder führen wir ein Tiefeninterview während des Fahrens bei einem anderen durch, so stellen wir fest, dass der Fahrer Ego den anderen Fahrer Alter psychisch nicht als Person wahrgenommen hat.[110]
Alter ist im Verkehr depersonifiziert. Er wird als Schale, als Quasi-Objekt wahrgenommen, nicht mehr als Person in der Schale.
Eine erstaunliche Transformation findet statt, nachdem ein Unfall passiert ist. Wenn der hässliche Knall von knirschendem Blech verklungen ist, nimmt Ego Alter noch für einen Augenblick lang als Schale wahr; dann öffnet sich die Tür, und aus Alters Wagen tritt eine Person. Alter wird „Gestalt“ in Egos Perzeption. Von einem Moment zum anderen wandelt er sich von der unpersönlichen Schale seines Wagens, von einem Objekt, in ein Individuum: die verschreckte Hausfrau, die den Familienwagen fuhr, der zerstreute Geschäftsmann, der eben noch den nächsten Tag plante, das hübsche Mädchen aus der Mensa, das Ego immer schon einmal ansprechen wollte.
Erst jetzt nimmt Ego die Person Alter wahr. Nach eigener Erfahrung und nach der Erfahrung anderer geschieht diese Metamorphose so abrupt, dass Ego sie fast wie einen Schock erlebt, denn Alter wurde im Verkehr eben noch als Nicht-Person, als Maske, erlebt.
Unsere Überlegungen zur Perzeption im Automobilverkehr führen uns zu folgenden Ergebnissen:
Aus der Perspektive von Tertius erscheinen Ego und Alter als Schalenmenschen. Diese Perspektive, die implizit den traditionellen verkehrswissenschaftlichen Abhandlungen unterliegt, ist jedoch für ein Verständnis untauglich, da sie sich einer Soll- mehr als einer Ist-Betrachtung annähert; vielmehr bedarf es für ein Verständnis des Verkehrsverhaltens der Perspektive des Egos im Automobilverkehr.
Versetzen wir uns in die Rolle von Ego, so stellen wir fest, dass er in seiner Selbstperzeption janusgesichtig und fast autistisch ist. Soweit er handelt, nimmt er sich als moderner Zentaur, als mächtigen Maschinenmenschen wahr. Dann ist das Auto für ihn Teil seines Körpers. Ist er jedoch der Empfänger von Stimuli, d. h., ist er das Objekt Handlungen anderer, dann perzipiert er sich als Mensch aus Fleisch und Blut, der Rücksichtnahme verlangen kann. Alter dagegen wird von Ego als Schale, als Maske, als Quasi-Objekt wahrgenommen. Ego weiß zwar, dass in dieser Schale die Person Alter der Fahrer ist, aber solange er fährt, ist er sich dessen nicht bewusst.
Auf dieser perzeptionellen Bühne spielen die Handlungen im Automobilverkehr. Medium für die Handlungen ist die Schale, die Maschine. Ihre Ausdrucksmöglichkeiten sind verglichen mit der menschlichen Mimik und Gestik äußerst beschränkt. Intentionsbewegungen erschöpfen sich in horizontalen Bewegungen und es gibt nur eine bestimmte Anzahl von Signalen, die für Interaktionen benutzt werden können. Objekte der Handlungen sind Maschinen.
Durch unsere Überlegungen zur Perzeption im Automobilverkehr haben wir unsere These vom Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen insoweit belegt, als wir nachweisen konnten, dass Interaktionspartner im Straßenverkehr einmal Ego als Person zum anderen Alter als Quasi-Objekt sind. Bevor wir diese Überlegungen weiter zum Handlungsmosaik der Interaktion zusammenfügen und eine Theorie des Verhaltens im Automobilverkehr aufzustellen versuchen, wenden wir uns noch einem anderen Element des Verhaltens im Automobilverkehr zu, der Entscheidungssituation.
Die Entscheidung Egos im Automobilverkehr hängt grundsätzlich davon ab, was das Automobil für ihn bedeutet. Es kann für ihn die Funktion eines Werkzeugs, eines Konsumguts und die eines Machtsymbols haben.[111]
Auf dem Hintergrund dieser idiosynkratischen Vorentscheidung trifft Ego die Entscheidung in der konkreten Verkehrssituation, indem er Schnelligkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Handlungsalter-nativen abwägt und sich nach Einschätzung der Risiken der Alternativen unter Berücksichtigung seiner Präferenzen für eine dieser Alternativen entscheidet.[112]
In der Literatur werden zwei Arten von Risiken unterschieden: Die „Risiken bestehen im Wesentlichen darin, 1. Personen zu verletzen sowie bewegliche und unbewegliche Sachen zu beschädigen, ferner am eigenen Leibe und am eigenen Fahrzeug Schäden zu erleiden, 2. für Fehlleistungen mit negativen Sanktionen belegt zu werden durch Strafe, Entzug der Fahrerlaubnis, Verlust des Freibetrages in der Haftpflichtversicherung, Auferlegung eines Malus-Betrages, Disziplinarverfahren usw. „.[113]
Im Anschluss an KAISER wollen wir das Risiko der ersten Art das Unfallrisiko nennen, das der zweiten Art das Strafrisiko. Beide Arten von Risiken hängen eng miteinander zusammen, so dass man, wie im Folgenden ausgeführt wird, das Strafrisiko auch als einen Unterfall des Unfallrisikos ansehen könnte. Es fragt sich, inwieweit die aus der Perspektive des Tertius also objektiv bestehende Risiken auch subjektiv als solche angesehen werden, d. h. eine Rolle bei der Entscheidung eines Ego in einer konkreten Verkehrssituation spielen.[114]
Wenden wir uns zunächst dem Unfallrisiko im weiteren Sinne zu, dann können wir aufbauend auf unsere Analyse der Perzeption im vorangegangenen Abschnitt feststellen, dass nur aus der Perspektive des Tertius, nicht aber der des Ego, der Gesichtspunkt der Personenverletzung in die Risikoabwägung im Verkehr einfließen kann; denn Ego perzipiert Alter im Automobilverkehr als Quasi-Objekt. Eine Unterscheidung zwischen Personenverletzung und Sachbeschädigung als zwei selbständige Risikogesichtspunkte erscheint deshalb wenig sinnvoll. Da jede Beschädigung eines anderen Fahrzeugs im Automobilverkehr typischerweise auch die Beschädigung des eigenen Fahrzeuges oder sogar der eigenen Person bedeutet, können wir uns weiterhin fragen, ob die Unterscheidung zwischen der Beschädigung eines anderen Fahrzeugs und der Selbstbeschädigung aufrechterhalten werden kann. Die Antwort darauf lässt sich nicht ohne die gleichzeitige Untersuchung der zweiten Risikoart, des Strafrisikos, geben.
Zunächst lässt sich feststellen, dass bei der Person-Person Interaktion eine Sanktionierung von Fehlverhalten, sei es durch den Anderen, sei es durch die Anderen (unmittelbare soziale Kontrolle), sei es durch den nur vorgestellten Anderen (mittelbare soziale Kontrolle), d. h. z. B. in der Terminologie der Psychoanalyse durch das Über-Ich, nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Art der Interaktion, wie wir sie aus dem Alltagsleben kennen, entfiele. Zum Beweis dafür sei auf die Milgram-Experimente verwiesen.
Typisch für den Automobilverkehr ist, dass zwar soziale Sanktionen[115] erfolgen können und auch erfolgen, dass aber für diese Sanktionen einerseits nicht das feine Instrument der Mimik, Gestik und Sprache zur Verfügung steht, andererseits jede Begegnung im Automobilverkehr kurz und nicht wiederkehrend ist, also die Möglichkeit einer Nachfolge-Sanktion nicht besteht.[116]
Diese für den Automobilverkehr so typische Lage hat zur Folge, dass der Stellenwert etwaiger sozialer Sanktionen bei weitem geringer ist als in anderen Situationen des Alltagslebens. Die Bedeutung der erfolgten Sanktion wird subjektiv weiter gemindert als sie von einem Quasi-Objekt kommend perzipiert wird.
Dann aber kann angenommen werden, dass der Sanktionsgeber so weit in den Hintergrund tritt, wie es etwa auch sonst bei einem heranstürmenden Objekt der Fall ist. Beherrschend im Vordergrund und damit primär die Risikoabwägung bestimmend, ist die potenzielle Eigenbeschädigung. Dieses Ergebnis lässt sich durch kritische Selbstbeobachtung sowie durch Beobachtungen und Befragung anderer Fahrer leicht bestätigen.
Unsere oben gestellte Frage, ob bei der Abwägung des Unfallrisikos zwischen Beschädigung eines anderen Fahrzeugs und der Selbstbeschädigung unterschieden werden sollte, kann deshalb verneint werden.
Führen wir die bisher inzidenter angestellten Überlegungen zum Strafrisiko fort, so stellen wir fest, dass das für Person-Person Interaktionen bestimmende Risiko sozialer Sanktionen im Automobilverkehr praktisch nur eine geringe Rolle spielt.[117] Erheblich bleibt deshalb für das Strafrisiko nur die Wahrscheinlichkeit der Bestrafung mittels institutioneller Sanktionen gewichtet durch ihre Art.[118]
Da die Wahrscheinlichkeit institutioneller Sanktionen aufgrund der Kapazitätsbeschränkung der Verfolgungsorgane grundsätzlich erst bei erheblichen und gleichzeitig auch leicht feststellbaren Normabweichungen eine[119] brauchbare Größe annimmt, sonst aber nicht vom Risiko („risk“), sondern von Ungewissheit („uncertainty“) gesprochen werden kann, ist das Strafrisiko einer Handlungsalternative in einer konkreten Verkehrssituation eine vom Unfallrisiko abhängige Erwägung. Wegen ihrer Abhängigkeit entweder von einem Unfall oder von staatlichen Sanktionen gilt diese Überlegung auch für das von KAISER[120] erwähnte Risiko des Verlustes des Freibetrages in der Haftpflichtversicherung, der Auferlegung eines Malus-Betrages, eines Disziplinarverfahrens usw. Entsprechend lässt sich deshalb zum Strafrisiko schon aus der Perspektive des Tertius, d. h., objektiv, feststellen: „Fährt jemand regelwidrig, und es geschieht ihm nichts, so wird er im Allgemeinen auch nicht bestraft, d. h., der Fahrer kann generell sein Unfallrisiko unter Umständen erheblich erhöhen und hat dennoch keine Strafe zu befürchten. Die Tatsache der exemplarischen oder selektiven Bestrafung beeinflusst also das riskante Verhalten. … Führt jedoch ein überhöhtes Risiko zu einem Unfall, so wächst für den Fahrer die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung erheblich. Allerdings bestimmen auch rein ‚zufällige‘ Sachverhalte, namentlich der ‚Erfolg‘, das Strafmaß mit. (LAUM, 1960: 107). So wird der schuldige Fahrer für einen Unfall, bei dem Personen verletzt wurden, in der Regel schwerer bestraft als für einen Unfall ohne Körperverletzung. Je größer die Wahrscheinlichkeit ist, als Verkehrstäter identifiziert zu werden, desto schärfer ist im Allgemeinen auch die Sanktion, jedenfalls in gewissen Grenzen. Führt ein regelwidriges Verhalten zu einem schweren Unfall, so wird dieses Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit erfasst und auch entsprechend schwer geahndet. (HOYOS, 1964: 24 f) „.[121]
Was KAISER für das Strafrisiko aus der Perspektive von Tertius ausführt, lässt sich auch aus der Perspektive Egos aufrechterhalten. Für Ego ist die Möglichkeit, wegen eines regelwidrigen Verhaltens bestraft zu werden, kognitiv ein Teil des Unfallrisikos. Dieses wird grundsätzlich in Egos Sicht davon bestimmt, welche Chancen er hat, dem Quasi-Objekt Alter zu entkommen. Zusammenfassend können wir deshalb feststellen, dass der Quasi-Objekt Charakter Alters die Entscheidung Egos für eine Handlungsalternative in einer konkreten Verkehrssituation bestimmt. Ego trifft seine Entscheidung ohne Rücksicht auf die Person Alter, auf die Beschädigung der Sache Alters oder auf die Möglichkeit, wegen regelwidrigen Verhaltens, sei es mit sozialen, sei es mit institutionellen Sanktionen, belegt zu werden. Beherrschend ist vielmehr der Gedanke, eine eigene Verletzung, sei es seines Fahrzeugs, sei es seiner selbst, nach Möglichkeit zu vermeiden.
Die Parallelen dieser Entscheidungssituation zu der in den Studien zur Deindividuation ist augenscheinlich. Hier wie dort ist der Mensch allein. Er vergisst that there’s a guy out there“.[122] In beiden Fällen erscheint das beobachtbare Verhalten rücksichtslos, egoistisch und „persönlichkeitsfremd“.
Nachdem wir bisher die einzelnen Elemente der Situation im Verkehr behandelt haben, wollen wir im folgenden Abschnitt darangehen, diese Elemente zusammenzubauen und die Regelmäßigkeiten des Verhaltens im Verkehr aufzuweisen.
3.4 Die Interaktionssituation im Automobilverkehr : Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen
Gemäß unseren bisherigen Überlegungen haben wir gesehen, dass der Mensch im Automobilverkehr sich in einem Zustand der „Deindividuation“ befindet.
Er perzipiert Alter nicht länger als Menschen, sondern als Maschine und sich selbst als ein mächtiger Zentaur, als einen Maschinen-Menschen. Dementsprechend fällt Ego seine Entscheidungen in der konkreten Verkehrssituation: Ego verhält sich gegenüber Alter wie gegenüber einer Maschine; er achtet auf die Informationen, die diese Maschine aussendet, um seine eigene Integrität zu bewahren; für die Maschine selbst kennt er darüberhinausgehend keine Rücksichtnahme.
Die fehlende Rücksichtnahme ist uns schon oben bei der Darstellung der Deindividuationsstudien aufgefallen. Dort haben wir als charakteristisch herausgestellt, dass Kontrollsysteme, die gewöhnlich menschliches Verhalten bestimmen, annulliert, geschwächt oder geändert waren. Diesen Gedanken wollen wir weiterverfolgen.
Im Folgenden werden wir zunächst die Verhaltensnormen und die Verhaltenskontrolle im sozialen Leben aufskizzieren und dann die Unterschiede zwischen der Situation, die der Person-Person Interaktion zugrunde liegen, herausstellen und der Situation, in der der Interaktionspartner, wie z. B. im Automobilverkehr nicht eine Person, sondern ein Quasi-Objekt ist. Schließlich werden wir unsere Überlegungen zu einer Verhaltenstheorie im Automobilverkehr als Beispiel für Verhalten bei Person-Objekt Interaktionssituationen zusammenfassen.
Das Alltagsverhalten des Individuums Ego gegenüber dem Individuum Alter lässt sich als Rollenverhalten verstehen. Dem Individuum Ego sind eine Vielzahl von Rollen zugeschrieben. So hat etwa ein 45-jähriger, verheirateter deutscher Professor mit Kindern u. a. die Rollen: Vater, Professor, Deutscher, Ehemann, 45-Jähriger. Von ihm wird erwartet, dass er sich nicht grob abweichend von den Rollenstereotypen verhält, die seine soziale Umgebung hegt. Tut er es dennoch, so treffen ihn eine Vielzahl von Sanktionen,[123] deren Stärke jeweils von dem Grad der perzipierten Abweichung abhängt.[124] Im Allgemeinen wird er sich deshalb an die Rollenerwartungen seiner sozialen Gruppe halten und sich so verhalten, wie es sich für seine Position in dieser Gruppe „geziemt“. Wir können dieses Rollenverhalten Egos weiter aufgliedern, indem wir die Position Egos in seiner sozialen Gruppe als Schnittpunkt diverser, für ihn geltender Normensysteme verstehen.[125] Dabei bestimmen die Einzelnormen den für Ego geltenden Rahmen, innerhalb dessen er sich für Handlungsalternativen entscheiden darf; die Wirklichkeit der Verhaltensnormen besteht in der Möglichkeit, dass etwaiges abweichendes Verhalten sanktioniert wird.
Wir können bei den Verhaltensnormen zwischen formellen und informellen Normen unterscheiden, bei den Sanktionen zwischen solchen internalisierten und externen Kontrollsystemen und bei den letzteren wiederum zwischen formellen und informellen Sanktionen.[126]
Ein Beispiel für ein formelles Normensystem ist das „Recht“, in dem Sinne, wie es etwa Juristen verstehen und anwenden. Ein Beispiel für informelle Normen ist die „Etiquette“ oder „pecking-order“, wie sie sich etwa in einem bestimmten Lebenskreis, z. B. im Büro der X-Firma, herausgebildet hat.
Der Bestand dieser Normensysteme wird durch eine Vielfalt von Verhaltenskontrollsystemen aufrechterhalten.
Internalisierte Kontrolle wird ausgeübt durch die im Prozess der Sozialisation vom Kinde zum Erwachsenen erworbenen internalisierten Rollenerwartungen. Der Kontrollagent hat verschiedene Namen,[127] je nach Tradition und Lehrmeinung. So wird er in der psychoanalytischen Schule Freuds das „Über-Ich“ genannt;[128] andere wiederum nennen ihn das „Gewissen“. Sanktionen sind die erwarteten Reaktionen anderer auf das von der Rollenerwartung abweichende Verhalten.
Bei der externen Verhaltenskontrolle können wir zwischen formellen und informellen Sanktionen differenzieren. Sie unterscheiden sich vor allem im Grade, wobei formelle Sanktionen immer nur dann eingreifen, wenn informelle Sanktionen erfolglos erscheinen. Beispiele für informelle Sanktionen sind etwa ein anerkennender oder ein verächtlicher Blick, ein ermunterndes oder ein spöttisches Lachen, ein mitfühlendes oder ein verlegenes Schweigen. Solche scheinbar trivialen, aber doch überzeugenden Sanktionen setzen Menschen in die Lage, informell einen Teil ihrer eigenen Aktionen und Reaktionen ebenso wie die Aktionen und Reaktionen anderer zu kontrollieren. Ebenso ist aber Verhalten auch oft durch formelle Sanktionen kontrolliert, etwa durch einen Orden oder durch eine Verurteilung, durch eine Beförderung oder durch eine Kündigung, durch eine gute oder eine schlechte dienstliche Beurteilung. Die Existenz der Normensysteme, aufrechterhalten durch die Kontrollsysteme, schafft die Regelmäßigkeiten, die wir gewöhnlich „die Gesellschaft“ nennen. Mit ihrem Verständnis befassen sich die Verhaltens- und Gesellschaftswissenschaften.
Aus dieser Perspektive sind soziologische Klassifizierungen nichts anderes als die Einteilung der Bevölkerung in Gruppen, von denen die einen ein homogeneres Muster sich schneidender Normsysteme haben als andere. Die Einteilung in soziale Gruppen hat aber wie die obige Darstellung von Verhaltensnormen und Verhaltenskontrollen zur unausgesprochenen Voraussetzung, dass Menschen miteinander interagieren; nur dann kann Kontrolle von Verhalten wirksam sein.
Ähnlich verhält es sich aber auch mit den externen Kontrollsystemen. Voraussetzung der formellen Kontrolle ist das Bestehen einer informellen Kontrolle des Verhaltens. Die formelle Kontrolle kann nur dann wirksam eingreifen, wenn sie die omnipräsente internalisierte oder informelle Kontrolle unterstützt, nicht aber wenn sie sie ersetzen soll.[129]
Im Automobilverkehr treffen wir, ebenso wie in anderen Situationen der Deindividuation, auf einen Zustand, wo Ego den anderen nicht als Menschen perzipiert, sondern als potenziell für ihn gefährliches Objekt, dem es auszuweichen gilt und das er nach dieser Begegnung nicht mehr treffen wird.
Legen wir diese Situation dem oben dargestellten Schema des Rollenverhaltens zugrunde, dann stellen wir fest, dass eine informelle Kontrolle des Verhaltens von Ego nur noch rudimentär möglich ist, weil einmal die Sanktion als von einem Quasi-Objekt ausgehend gesehen wird, zum anderen weil diese Sanktionen nur kurz und typischerweise nicht durch Nachfolgesanktionen gefolgt sind, und schließlich weil wegen der „mimischen“ und „gestischen“ Starrheit des Mitteilungsmediums Automobil keine dem sonstigen sozialen Leben entsprechende Skala von Sanktionen besteht oder bestehen kann.
Die Entwicklung einer weitgehenden internalisierten Kontrolle wiederum scheitert an der dafür erforderlichen Sozialisierung durch das informelle Kontrollsystem.
Die Last der Verhaltenskontrolle im Automobilverkehr bleibt also bei dem formalen Kontrollsystem, d. h., bei der Verkehrsrechtspflege. Da ein formales Kontrollsystem seine volle Wirksamkeit typischerweise auf der Grundlage der beiden anderen Kontrollsysteme entfaltet und nur hilfsweise korrigierend eingreift,[130] nachdem das Verhalten „ein breites Gelände moralisch-bedenklichen Tuns“[131] überschritten hat, vermag es höchstens die gröbsten Exzesse zu verhindern, entwertet sich aber im Übrigen selbst durch seine Strenge im – wegen der Kapazitätsbeschränkung nur zufällig herausgegriffenen – Einzelfall.
Wir können aufgrund dieser Betrachtung konstatieren, dass es im Automobilverkehr eine soziale Verhaltenskontrolle von der Art, wie wir sie vom sozialen Leben her gewohnt sind, nicht gibt. Das heißt jedoch nicht, dass es im Automobilverkehr überhaupt keine Verhaltenskontrolle gibt.
Zwar haben die Aktionen Alters für Ego perzeptionell nicht die Qualität menschlicher Handlungen und werden deshalb nicht als soziale Sanktionen aufgefasst, jedoch bleiben sie insoweit für das Verhalten Egos relevant als dieser sie als Bewegungen eines gefährlichen Quasi-Objekts wahrnimmt, das ihn potenziell mit einer Verletzung bedroht, wenn er den aufgrund der Verkehrsnormen vorhersehbaren Lauf des Objekts hindert. Ego wird sich deshalb insoweit normgemäß verhalten als er dadurch einen möglichen Zusammenstoß mit dem Quasi-Objekt Alter vermeidet. Von der sozialen Begegnung mit der Person Alter unterscheidet sich diese Begegnung mit dem Quasi-Objekt Alter vor allem durch die Art der gezeigten Rücksichtnahme. Im ersten Fall bezieht sich die Rücksichtnahme primär auf die Person Alter, wenn auch vielleicht mit dem Gedanken, dessen negativen Sanktionen zu entgehen. Im zweiten Fall nimmt Ego primär deshalb Rücksicht, weil er nicht durch das Objekt verletzt werden möchte. Gelöst von sozialen Kontrollen ist er gleichzeitig auch losgelöst von dem Netzwerk der Normensystemen, die ihn als Mitglied der Gesellschaft definieren und ihm seine Position in dieser Gesellschaft zuweisen; denn verstößt er gegen eine Verkehrsnorm, so bedroht die Ahndung zwar vielleicht seine Person, nicht aber seine Position in der Gesellschaft.
Eine solche Sicht enthält zwei Implikationen. Einerseits ergibt sie den Grund, warum eine Studie des Verkehrsverhaltens mit Hilfe soziologisch-empirischer oder psychologischer Kategorien scheitern muss;[132] zum anderen weist sie darauf hin, in welcher Richtung wir nach Regelmäßigkeiten von Verhalten im Automobilverkehr, und entsprechend auch von Verhalten im Zustand der „Deindividuation“ bzw. bei Person-Objekt Interaktion zu suchen haben. Die erste Implikation ist, dass der psychologische und der empirisch-sozialwissenschaftliche Ansatz nicht zu einem Verständnis des Verkehrsverhaltens führen können, weil beide voraussetzen, dass das Untersuchungsobjekt, der Autofahrer, ein Rollenverhalten zeigt, das dem im sonstigen sozialen Leben entspricht. Wie wir aber oben dargetan haben, haben die sonst mehr oder weniger erfolgreichen Kategorisierungen im Automobilverkehr keine Gültigkeit, da die wichtige Voraussetzung der Existenz der für jede Rolle stereotypisierbaren Normenkontrollsysteme nicht vorhanden ist.[133]
Die zweite Implikation ist, dass die Regelmäßigkeiten des Verhaltens denen parallel laufen, die gegenüber einem gefährlichen Objekt gezeigt werden; denn die Kosten-Nutzen Abwägung, die sonst durch die soziale Position in etwa standardisiert ist, hat beim Verhalten im Automobilverkehr auf der Nutzen-Seite einmal die positiven Sanktionen für ein normgemäßes Verhalten verloren ebenso wie den Faktor negative Sanktionen auf der Kosten-Seite. An deren Stelle ist eine im sozialen Leben in dieser krassen Form sonst unbekannte Abwägung von Schnelligkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit getreten.[134]
Das Utilitätsarrangement,[135] an das wir vom Alltagsleben her gewöhnt sind, ist also umarrangiert. Welchen Effekt dies auf das Verhalten hat, hat vor allem die Milgram Studie gezeigt.
Wir können deshalb festhalten, dass die Utilitätsskala, die im sozialen Alltagsleben der Person-Person Interaktion bis zu einem gewissen Grade interpersonal ist, persönlich geworden ist, weil nach Wegfall der Dimension „Rücksichtnahme“ eine neue Dimension hinzugetreten ist, der subjektive Grad der „Deindividuation“. Insofern gleicht der Automobilfahrer deshalb dem noch nicht sozialisierten Kind, das sich und seine Vorteile als im Mittelpunkt der Welt stehend ansieht[136] und noch nicht in das soziale Leben hineingewachsen ist.[137]
Unsere Überlegungen zum Verhalten im Automobilverkehr sind nun so weit gediehen, dass wir sie als Entscheidungsgrundlage für Maßnaturen auf dem Gebiet des Straßenverkehrs benutzen können. Bevor wir uns mit der Erörterung unserer zweiten These, nämlich der .These von den Grenzen institutioneller Sanktionen, einem weiteren Teil der Entscheidungsgrundlage zuwenden, wollen wir die Ergebnisse der Diskussion des Verkehrsverhaltens zusammenfassen.
Wir haben gesehen, dass die populäre Theorie von der Aggression im Straßenverkehr eine irreführende Verkürzung des Problems Verhalten im Automobilverkehr darstellt. Das Verhalten im Straßenverkehr gehört vielmehr zu einer Verhaltensart, die regelmäßig bei Person-Objekt Interaktionssituationen zu beobachten ist. In solchen Interaktionssituationen wird der Interaktionspartner als Quasi-Objekt gesehen, das Achtsamkeit, nicht aber Achtung verlangt. Soziale Kontrollsysteme, die in Person-Person Interaktionssituationen das Verhalten bestimmen, sind faktisch außer Kraft gesetzt, da Sanktionen nicht als soziale Sanktionen perzipiert werden, sondern als Signale eines unbeseelten Objekts. Dies hat zweierlei Folgen.
Zum einen bedeutet es, dass das formelle Kontrollsystem Verkehrsrechtspflege mit einem anderen Unterbau als andere soziale Kontrollsysteme auskommen muss. Da einerseits die Zahl seiner Sanktionen verglichen mit der Anzahl der Normverstöße verschwindend gering ist und andererseits diesen Sanktionen kein „Gelände moralisch bedenklichen Tuns“[138] durch Sanktionen anderer sozialer Kontrollsysteme vorgelagert ist, haben die Sanktionen des Verkehrsrechtspflegesystems weniger den Charakter von Strafen als den von Unfällen und werden vom Autofahrer dementsprechend mehr dem allgemeinen Risiko des Autofahrens als dem speziellen Risiko eines Normverstoßes zugerechnet. Dieser Aussage aber steht die Feststellung gleich, dass die Verkehrsrechtspflege grundsätzlich weder general- noch spezialpräventive Ziele, wie sie sonst staatlichen Sanktionen zugrunde liegen, erfüllen kann.
Zum anderen bedeutet das weitgehende Fehlen sozialer Kontrollen, dass Regelmäßigkeiten des Verhaltens im Automobilverkehr nicht unter Zugrundelegung der sozialen Rolle bzw. der Persönlichkeit des individuellen Autofahrers erkannt werden können. Losgelöst von den ihn sonst bestimmenden sozialen Kontrollen steht das Individuum nicht mehr im Schnittpunkt diverser Normensysteme, die sein normales „persönlichkeitskonformes“ Rollenverhalten vorschreiben; vielmehr entspricht sein Verhalten im Automobilverkehr seinem Verhalten gegenüber gefährlichen Objekten, d. h., seiner Risikobereitschaft und seiner Fähigkeit, Risiken als solche zu erkennen.
4.1 Das Problem
Aufgrund unserer Überlegungen zum Verhalten im Automobilverkehr kämen wir, wenn wir der traditionellen kriminologischen Arbeitsweise folgten, zu dem Ergebnis, dass weitere und effektivere formelle Kontrollen des Verhaltens im Verkehr geschaffen werden müssten;[139] denn wie wir gesehen haben, reichen die bisher bestehenden formellen Kontrollen nicht, um einen spürbaren Einfluss auf das Verkehrsverhalten zu nehmen, und die informellen Kontrollsysteme des täglichen Lebens, d. h. die Kontrollsysteme, die bei Person-Person Interaktionssituationen beobachtet werden können, bleiben unwirksam, da ihre Wirksamkeitsvoraussetzungen, die Perzeption von Alter als Person und möglichen Sanktionsgeber, nicht vorliegen; eine andere Möglichkeit als die formelle Kontrolle auszuweiten, scheint aber nicht zu bestehen.[140]
Der „gesunde Menschenverstand“ sagt uns also, die formellen Kontrollen des Verkehrsverhaltens auszuweiten. Gingen wir jedoch diesen Weg, so würden wir uns, wenn auch in guter Gesellschaft mit anderen Reformern, in eine „Falle des gesunden Menschenverstandes“ begeben; denn, wie wir in unserem Eingangskapitel aufgezeigt haben, ermöglicht der „gesunde Menschenverstand“ zwar ein Leben in der sozial konstruierten Wirklichkeit, aber eben wegen dieser Tatsache erschwert sein Gebrauch auch gleichzeitig die Analyse der Konstruktion der sozialen Wirklichkeiten und damit auch deren Umkonstruktion.
Wir haben diesen Zusammenhang in unserem vorigen Kapitel zum Verkehrsverhalten aufweisen können. Dort haben wir der populären These vom aggressiven Verhalten im Straßenverkehr unsere Gegenthese vom Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktion gegenübergestellt und konnten mit ihrer Hilfe ein Verständnis des vom Standpunkt des „gesunden Menschenverstandes“ „persönlichkeitsfremden“ Verkehrsverhaltens erreichen. Ebenso wie dort wollen wir auch in diesem Kapitel eine scheinbar dem gesunden Menschenverstand widersprechende These vertreten und nachweisen, nämlich die These, dass aufgrund des bisher wenig beachteten Phänomens der Marginalität sozialpsychologische Grenzen für die Anwendung institutioneller Sanktionen bestehen und dass deshalb nicht eine Ausweitung der formellen Kontrollen im Straßenverkehr sondern eine Beschränkung und Umorientierung ihrer Anwendung eine Kontrolle des Problems der Verkehrssicherheit verspricht.
Ansatzpunkt für unsere Überlegungen ist ähnlich wie im vorigen Kapitel die Frage, warum trotz der Bemühungen so vieler Wissenschaftler das Verkehrsverhalten sich einer wirksamen Regelung bisher verschlossen hat. Und ebenso wie dort wollen wir in diesem Kapitel die Ursachen nicht in den bisher angewandten Erkenntnismethoden suchen, sondern in den als feststehend betrachteten Grundlagen dieser Erkenntnismethoden, d. h. wir wollen das „Katastrophengebiet“ Verkehrsrechtspflege, das die Verhaltensgeltung rechtlicher Normen in Frage stellt, zum Anlass nehmen, das institutionelle Strafen und seine Grenzen neu zu durchdenken. Eine Anregung auf die Neubesinnung gibt KAISER, wenn er ausführt: „Die Vielschichtigkeit des Gefahren- wie Verbrechenbegriffs zwingt keinesfalls zur Erweiterung des Kriminalisierungsbereiches, noch gewährleistet die Vorverlegung der strafrechtlichen Verteidigungslinie per se eine gesteigerte Wirksamkeit des Verkehrsrechts“.[141]
Auch der Verkehrsgesetzgeber hat scheinbar dem Grundsatz, dass institutionelle Strafen nicht unbeschränkt erfolgen können ohne ihr Wirksamkeit zu verlieren, mit der Neugestaltung des Ordnungswidrigkeitenrechts Rechnung getragen, indem er das Straßenverkehrsrecht entkriminalisierte, wenn auch unter gleichzeitiger „Vorverlegung der strafrechtlichen Verteidigungslinie“,[142] wobei „die These von dem tief greifenden qualitativen Unterschied zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit“[143] weitgehend aufgegeben wurde. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich jedoch, dass, soweit man bei dem Ordnungswidrigkeitenrecht überhaupt von einer Einschränkung staatlichen Strafens sprechen kann, dieser Schritt nicht aus grundsätzlichen Erwägungen zur Beschränkung staatlichen Strafens entsprang, sondern einen organisatorisch notwendig gewordenen Behelf darstellt, der das zu lösende Problem des Wachsens der Staatsaufgaben und der staatlichen Regelungen vor sich herschiebt bzw. es verdeckt.[144]
Schärfer gefasst wird das im Verkehrsrecht exemplarisch für andere Rechtsgebiete auftretende Problem der Grenzen institutioneller Regelungen in der Begründung der StVO: „Das Wesen des Verkehrs selbst ist es, das dem Verkehrsgesetzgeber im übrigen Zurückhaltung beim Erlass von Verkehrsregeln auferlegt. Man muss sich vor Augen halten, dass Normen auf keinem anderen Gebiet in das Leben so unmittelbar eingreifen wie Verkehrsvorschriften. „[145]
Trotz dieser klaren Problemerkenntnis findet sich aber in der StVO nicht die Ausführung dieses Gedankens. Zwar werden gegenüber der Vorgängerin in der neuen StVO die Vorschriften klarer und zurückhaltender formuliert, aber das Problem der Überwachung durch staatliche Kontrollorgane wird nicht einmal berührt.
Demgegenüber haben vor allem KAISER, und in allgemeinerer Form vor ihm POPITZ sowie BRAUNECK[146] auf die Grenzen staatlichen Strafens hingewiesen. Danach sind dem Staat sozialpsychologische Grenzen bei der Verhaltensregelung durch institutionelle Maßnahmen auferlegt; denn „ist für die Strafverfolgungsorgane, und damit für die berufenen Instanzen der Definierung, wer Verbrecher ist, jedermann bzw. jeder Kraftfahrer gleichnahe, so wird leicht die im Wege der Identifikation mit dem Täter einhergehende Bagatellisierung des kriminalisierten Vorgangs das Ergebnis sein. Gesetze erweisen sich dann als „Schläge ins Wasser“, Urteile gehen ins Leere. Ein strafrechtlicher Umwertungsprozess und eine von den Sitten weitgehend ungestützte Kriminalisierung können, wie es scheint, nur dann die angestrebten Ziele, und das heißt hier Verkehrssicherheit erreichen, wenn zuvörderst „die anderen“ betroffen sind, also eine Minderheit … „.[147]
Dieser für das Strafrecht allgemein bedeutsame Gedanke soll im Folgenden am Beispiel des „Katastrophengebietes: Verkehrspflege“ weiterverfolgt und ausgebaut werden; ebenso aber auch die Konsequenz dieses Gedankens, die von den oben genannten Autoren nicht erörtert wurde: Die Rückübertragung staatlicher Aufgaben auf nichtstaatliche, soziale Kontrollorgane.
Zum Zweck der Darstellung unserer These von den Grenzen institutioneller Sanktionen wollen wir zunächst unter Anlehnung an GEIGER[148] eine vereinfachte Version des traditionellen Modells der Verhaltensregelung durch institutionelle Sanktionen darstellen. Dort werden wir vor allem auf drei „rationale“ Ansätze, nämlich die von PACKER, KAISER und HASSEMER[149] hinweisen, die vom traditionellen Modell herkommend auf die Grenzen staatlichen Strafens aufmerksam machen. Diese Gedanken werden wir dann unter Benutzung eines allgemeinen sozialen Phänomens, das wir das Phänomen der Marginalität nennen wollen, in einem soziologischen Bezugsrahmen weiterführen. Daraus wird sich dann ergeben, dass staatlichen Maßnahmen nicht nur „rationale“, sondern auch „soziale“ Grenzen gesetzt sind, bei deren Überschreiten sozialfunktionale Maßnahmen in Disfunktionalität umschlagen.
4.2 Die traditionelle Problemlösung
Wir wollen im Folgenden eine vereinfachte Form des Modells des Juristen und Soziologen Theodor GEIGER[150] vom Wirken und der Wirkungskraft der Strafe dazu benutzen, um traditionelle Problemansätze und Problemlösungen aufzuzeigen; denn GEIGER spricht mit seinem Modell im Wesentlichen die Vorstellungen aus, die implizit der Gesetzgebungs- und Rechtspflegepraxis zugrunde liegen.
Nach GEIGER trägt „der Grundsatz der Gegenseitigkeit, der Gebarenskoordination, … die Rechtsgesellschaft. Wenngleich also die Sanktionierung nicht den Normengehorsam der einzelnen motiviert, ist sie doch die unerlässliche Voraussetzung für ein Sozialmilieu, in dem freiwilliger Normgehorsam überhaupt möglich ist“; denn „die zwangfrei und ‚von innen heraus ‚ Gehorsamen könnten nicht gehorsam sein, wenn die Norm nicht durch Sanktion und Sanktionsdrohung gegenüber den Ungehorsamen und zum Ungehorsam Geneigten behauptet würde. „[151]
Die Strafe und damit zugleich auch die Verbindlichkeit von Normen stehen also in GEIGERS Modell im Mittelpunkt der Überlegungen. Die Strafe ist nicht nur notwendige, sondern auch hinreichende Bedingung für die Wirklichkeit und Wirksamkeit von Normen und diese Normen wiederum machen das Gerüst unseres Soziallebens aus.
POPITZ folgend können wir GEIGERS Ansatz wie folgt charakterisieren: Bei GEIGER steht die Strafe „nicht im Gegensatz zu einer zwangfreien, inneren Anerkennung der Norm, sie verteidigt vielmehr die von ‚innen heraus Gehorsamen‘ gegen den Normbrecher, ja sie schafft erst den schützenden Raum, den Sicherheitsbereich, in dem freiwillige Normkonformität gedeihen kann“.[152]
Die Verbindlichkeit einer Norm kann nach GEIGER als die Funktion v=e/s ausgedrückt werden. In dieser Funktion bedeutet v die Verbindlichkeit einer Norm. s ist die Zahl der Situationen, in denen die Norm hätte erfüllt werden sollen. e schließlich steht für die Anzahl der Situationen, in denen sich die Norm als effektiv erwiesen hat, d. h., die Situationen, in denen normgemäß gehandelt wurde, sowie diejenigen, in denen zwar die Norm nicht erfüllt wurde, aber eine Reaktion auf die Normabweichung erfolgte.
s kann also auch als die Summe von e und i ausgedrückt werden, wobei i als die komplementäre Menge zu e die Anzahl der Situationen darstellt, in denen die Norm, obwohl sie darauf anwendbar war, weder erfüllt wurde noch auf die Normverletzung eine Reaktion erfolgte.
Die Verbindlichkeit einer Norm v kann deshalb in diesem Modell Werte zwischen 0 und 1 (O<v<1) annehmen. Sie ist am größten, wenn v den Wert 1 hat, also e=s ist. Andererseits ist die Verbindlichkeit einer Norm am geringsten, wenn sich e dem Werte Null nähert.
Nach diesem vereinfachten Modell gibt es deshalb grundsätzlich zwei Wege, auf denen die Verbindlichkeit einer Norm, und damit auch einer Verkehrsregel gesteigert werden kann. Einmal sind es Maßnahmen, die den absoluten Zahlenwert von e ansteigen lassen, also eine Steigerung der Zahl der Reaktionen auf Normabweichungen, zum anderen solche Maßnahmen, die den Zahlenwert von s geringer werden lassen.
Maßnahmen der zweiten Art fallen für das Gebiet des Straßenverkehrs zum Teil in die Sphäre des Verkehrsingenieurs. Dieser kann die Anzahl der Situationen, in den normgemäßes Verhalten gefordert wird, dadurch verringern, dass er, etwa durch straßenbauliche Maßnahmen, die Verkehrssituationen auf ein Minimum hält, in denen gleichzeitig eine Vielzahl von Straßenverkehrsnormen befolgt werden sollen. Stichworte, die diesen Problemkreis anreißen sind etwa „Schilderwald“,[153] technische „Leitsysteme“[154] und „Überforderung im Verkehr“.[155]
Das Hauptaugenmerk der verkehrswissenschaftlichen Literatur ist jedoch auf den Gesetzgeber und das staatliche Sanktionierungssystem gerichtet. Dies lässt sich einerseits aus der historischen Entwicklung des Verkehrs, andererseits wohl auch aus der traditionell normativen Ausrichtung der Rechtswissenschaften verstehen.
Mit steigender Dichte des Verkehrs wurde das Normensystem immer weiter ausgebaut und mit Strafsanktionen abgesichert. Kurzfristig waren diese verschärften Strafgesetze auch wirksam. Sie retteten jährlich das Leben von tausenden und die Gesundheit von zehntausenden Menschen.[156] Aber, worauf LANGE weiterhin mit Recht hinweist: „Dies vermögen sie jedoch nur dann, wenn auch nach der ersten Schockwirkung, die von ihrem Erlass und ihrer öffentlichen Erörterung ausgeht, ihre Befolgung durch die Strafverfolgungsbehörden gesichert wird.” Langfristig vermochten sie nicht, die Unfallzahlen und den „Blutzoll an den Moloch: Verkehr“ zu verringern, sondern führten dazu, dass Verkehrsstraftaten rund die Hälfte der registrierten Gesamtkriminalität stellten. So wurde denn „durchschnittlich… in jedem Jahr (bis zum neuen OWiG 1968) jeder zweite Kraftfahrer einmal wegen Verkehrswidrigkeiten bestraft, mit einer Geldbuße belegt oder gebührenpflichtig abgerügt.“[157]
Gegenüber diesem Trend der Verschärfung von Strafgesetzen, der ein vorläufiges Ende mit der Überweisung der Sanktionen gegen Verkehrsverstöße in das Ordnungswidrigkeitenrecht gefunden hat, wies bereits zu Beginn der in den sechziger Jahren einsetzenden Diskussion zur Verkehrsregelung der Psychiater und Jurist GÖPPINGER[158] darauf hin, dass schon die Bezeichnung „Verkehrsdelikt“ für alle Verstöße gegen Verkehrsgesetze unglücklich sei. Denn deren überwiegende Zahl sei nicht mit Delikten im eigentlichen strafrechtlichen Sinne vergleichbar, sondern habe den Charakter von Ordnungswidrigkeiten und sollte auch als solche behandelt werden. Selbst die Verkehrsunfallflucht stelle “ihrer Art nach . . . kein Kriminaldelikt dar, sondern eine strafrechtliche Zweckmaßnahme. „[159]
Nicht zuletzt die steigende Zahl der Verurteilungen wegen Verkehrsstraftaten bewirkte eine Neuorientierung des Strafrechts. Unter dem Eindruck, dass die „Viel- und Alles-Straferei“ die Eindruckskraft der Kriminalstrafe überhaupt schwäche, wurde unter anderem die alte Diskussion über die Fahrlässigkeit[160] wieder aufgenommen, und eine wachsende Zahl von Strafrechtlern plädierte für die Eliminierung der Grade leichter, wenn auch uneinheitlich begriffener, Fahrlässigkeit.[161]
Aber nicht nur strafrechtliche Grundbegriffe wurden aufgrund der Diskussion über das Problem Straßenverkehr in Frage gestellt, sondern, unter anderem ausgehend von der sozialwissenschaftlichen Kritik an der Komplexität, Technizität und Vielzahl der strafrechtlichen Normen auf dem Gebiet des Verkehrsrechts,[162] setzte eine Bewegung ein, die auf ein „rationales“ Strafrecht und damit auf eine Straffung des strafrechtlichen Normensystems hinarbeitet. Aus diesem Trend heraus lässt sich etwa die Neuordnung des Sexualstrafrechts verstehen, aber auch die Einführung des OWiG 1968 und der Straßenverkehrsordnung vom 16. November 1970. Grundlegende Erkenntnis dieser Bewegung ist: „Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass es dem Gesetzgeber … freistünde, zu reglementieren, was ihm am grünen Tisch zweckmäßig dünkt.“[163]
Herausragende Vertreter dieser Richtung sind PACKER, KAISER und HASSEMER.[164] Alle drei fordern eine Beschränkung strafrechtlicher Normen, wenn auch die Gründe, die sie dafür anführen, sich nicht völlig decken.
PACKERS Forderung nach einer Reduzierung strafrechtlicher Normen entspringt einem pragmatischen Ansatz. Unter Hinweis auf das Grunddilemma der Kriminalstrafe[165] untersucht er den Sinn und Zweck der Kriminalstrafe, den Prozess, in dem sie verhängt wird, sowie mögliche Alternativen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass „in our present state of comparative ignorance about the sources and control of human conduct there is no escape from the use of punishment (whether criminal or not) as a device for reducing the incidence of behavior that we consider as antisocial. „[166]
Auch ein Rückgriff auf alternative Sanktionen sei nicht ohne weiteres möglich, da „most alternatives turn out on inspection either to require the backup of the criminal sanction or themselves to be thinly disguised versions of the criminal sanctions. The real alternative in many cases will turn out to be doing nothing (as a matter of legal compulsion) or at any rate doing less. Distasteful as that alternative may sometimes seem, we need to press the inquiry whether it is not preferable to doing what we are doing. “[167]
Zu dieser Alternative des Nichts-Tuns oder des Weniger-Tuns sieht PACKER sich vor allem durch die Notwendigkeit des „due process“, also der Rechtsstaatlichkeit des Strafrechtspflegesystems, gebracht. Jede Aktion dieses Strafrechtspflegesystems, so betont er, verbrauche Mittel, sei es personeller, sei es materieller Art, die in ihrer Gesamtheit nur in endlicher Menge vorhanden sind, aber auch unter dem Gesichtspunkt des Grunddilemmas der Kriminalstrafe[168] nur in beschränkter Menge vorhanden sein dürfen. Daraus, wenn schon nicht aus anderen Gesichtspunkten, ergebe sich die Notwendigkeit, Strafgesetze, die ihre Wirksamkeit behalten wollen,[169] auf das Unumgängliche zu beschränken. Ob ein Verhalten durch ein Strafgesetz verboten werden – oder sein – sollte, richtet sich nach PACKER deshalb nach den folgenden Kriterien:
- „The conduct is prominent in most people’s view of socially threatening
behavior, and is not condoned by any significant segment of society. - Subjecting it to the criminal sanctions is not inconsistent with the goals of punishment.
- Suppressing it will not inhibit socially desirable conduct.
- It may be dealt with through even-handed and nondiscriminatory enforcement.
- Controlling it through the criminal process will not expose that process to severe qualitative and quantitative strains.
- There are no reasonable alternatives to the criminal sanction for dealing with it. „[170]
Unter Benutzung dieser Kriterien, fordert PACKER, sollte eine Art Prioritätsliste von Verhalten aufgestellt werden, für das der Gesetzgeber die Kriminalisierung erwägen könne.
PACKERs „rational-pragmatische“ Forderung nach einer Beschränkung der Strafgesetze stützt sich also vor allem auf den Gedanken der nur beschränkt vorhandenen Mittel.[171] Demgegenüber lässt sich KAISER[172] Ansatz, der im Ergebnis mit PACKER übereinstimmt, als „rational-theoretischer“ Ansatz beschreiben. Was PACKER in typisch pragmatischer Einstellung offen lässt, nämlich die Wirkungsweise der Strafe, nimmt KAISER zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen.
Am Beispiel der Regelung des Verkehrsverhaltens sucht KAISER den Begriff der Generalprävention neu zu bestimmen, um dann daraus seine Forderung nach einer Beschränkung staatlichen Strafens herzuleiten. KAISER geht von der Notwendigkeit staatlicher Verhaltenskontrolle aus. So stellt er fest: Sozialkontrolle zählt zu den Erfordernissen einer jeden Gesellschaft. Will das Gemeinwesen seine Ziele erreichen, den Menschen erhalten und entfalten, so muss es auch das Problem der Verhaltenskontrolle lösen. Nicht die Frage nach dem „Ob“, sondern nur jene nach dem „Wie“, einschließlich Art und Umfang des missbilligten Verhaltens, sind daher der Klärung bedürftig.“[173]
Während PACKERs pragmatischer Ansatz das „Ob“ und „Wie“ staatlicher Verhaltenskontrolle ineinanderfließen lässt, stehen „Ob“ und „Wie“ bei KAISER fast unvereinbar einander gegenüber. Nicht so sehr die Frage, ob und in welchem Maße es ein Verkehrsrecht geben soll, ist deshalb für KAISER zweifelhaft, als vielmehr das Problem, ob das Verkehrsrecht zugleich auch Verkehrskriminalrecht sein könne oder solle.[174]
Auf diesem Bedeutungshintergrund lässt sich denn auch der Versuch KAISERs[175] verstehen, über eine Problemanalyse und einen Problemlösungsvorschlag für das Gebiet des Straßenverkehrs zu einer umfassenden Begriffsbestimmung bzw. einer Theorie der Generalprävention zu kommen. Pole seiner Untersuchung des Wirkens und der Wirkungskraft staatlichen Strafens sind einerseits die Trivialisierung und Paralysierung des staatlichen Strafrechtspflege- und Normensystems durch Erscheinungen, wie sie am geltenden Verkehrsrecht und seiner Handhabung typisiert werden,[176] andererseits die Effektivierung des Strafrechts im Sinne einer Verbesserung der Aufklärungsquote, Verminderung des Dunkelfelds und deshalb, wirksamerer Strafen „möglichst in jedem Fall der Deliktsbegehung.“[177]
Aufgrund umfangreicher Sekundäranalyse empirischer Daten über das Verhalten im Straßenverkehr sucht er einen Weg zwischen diesen beiden extremen Punkten. Zur „Herausarbeitung von empirisch orientierten Möglichkeiten und Grenzen der Generalprävention und damit einer rationalen Verkehrskriminalpolitik“ führt er „eine Situationsanalyse der Verkehrswirklichkeit“ durch und untersucht die „Frage, wer nun wirklich als Verkehrstäter erfasst und von den dafür zuständigen Instanzen auch als solcher ‚identifiziert‘ wird.“[178] Als Ergebnis seiner Untersuchung erscheint ihm trotz der „Spannungen mit den Grundsätzen der Freiheit und Rechtssicherheit die Prävention in der Verkehrskontrolle oberstes Gebot“; denn, wie seine Studie ergab, muss „alle verkehrsrechtliche und verkehrspolitische Strategie . . . berücksichtigen, dass
- die Verkehrsdelinquenten sich in weitem Umfang aus Normalbürgern rekrutieren, obwohl um die Wirksamkeit des Verkehrsrechts willen eigentlich nur eine kleine Minderheit verkehrsstraffällig werden ‚dürfte‘, deshalb
- der Bereich des Verkehrskriminalunrechts zum Zwecke der Effektivität noch weiter eingeschränkt werden muss, und dennoch der Großteil der Verkehrswidrigkeiten nicht sanktionslos gelassen werden kann.“[179]
Dazu entwickelt er ein ebenso umfassendes wie differenziertes Konzept. Nachdem er auf Bedenken gegenüber einer Beschränkung auf die Individualprävention hingewiesen hat,[180] unternimmt er eine begriffliche Klärung von Generalprävention. Dort wendet er sich „gegen die begriffliche Verengung der Generalprävention“[181] auf die Androhungsprävention, d. h. gegen den Gedanken im Sinn der FEUERBACHschen Zwangstheorie,[182] dass „(allein) durch Schärfung von Strafdrohung, Strafzumessung und Strafvollzug die Kriminalität merklich“ zurückgedrängt werden könne.[183]
Für KAISER stellt sich deshalb „die Frage nach der Generalprävention nur so . . . , dass man untersucht, ‚welchen Einfluss . . . die jeweilige Gestaltung der Strafrechtspflege auf die Entwicklung der Straffälligkeit‘ (Dreher, 1947: 122; Exner, 1949: 103; Andenaes, 1966: 949; Stone, 1966: 757; Chambliss, 1969a: 359 ff.) hat, wobei ‚Strafrechtspflege‘ im weiten Sinne begriffen wird. Auf den Bereich der Verkehrsdelinquenz übertragen bedeutet dies, danach zu forschen, ob und wie sich die Verkehrsrechtspflege in Struktur und Tendenz der Verkehrskriminalität äußert, ob und wie sich generell die Wirksamkeit des Verkehrsrechts steigern lässt, und welche Faktoren dabei zu berücksichtigen sind, um die Zahl der Unfalldelikte und der unfallträchtigen Verkehrswidrigkeiten zu vermindern, also die Verkehrssicherheit zu erhöhen.“[184]
Da er in einer Sekundäranalyse empirischer Daten feststellen muss, dass „nach der Androhungsprävention auch die generalpräventiv motivierte Strafzumessungspraxis in ihrer Effektivität im ganzen noch unsicher“ ist, liegt es seiner Meinung „nahe, die verkehrsrechtliche Präventionskraft auf die Strafverfolgung zu stützen“.[185] Sein „rational-theoretischer“ Ansatz führt ihn deshalb zu demselben Ergebnis wie PACKERs „rational-pragmatischer“ Problemlösungsversuch: Auch KAISER sieht in der Erhöhung des Strafrisikos eine Möglichkeit der Problemlösung. Ebenso wie PACKER löst er jedoch die Zielkonflikte oder genauer, die „Hierarchie der Problemgesichtspunkte“[186] nicht kurzschlüssig und einseitig über eine Forderung nach verstärkter Strafverfolgung, sondern über eine gleichzeitige Beschränkung des Verkehrskriminalrechts zugunsten des Ordnungswidrigkeitenrechts bzw. Privathaftpflichtrechts.[187] Die Alternative des „Nichts-Tuns“, auf die PACKER hingewiesen hat, gibt es jedoch für Kaiser nicht.
Obwohl der dritte Ansatz, der von HASSEMER,[188] von der „dogmatischsten“ Seite der Strafrechtsdogmatik ausgeht, nämlich von der Rechtsgutlehre, steht er dem „rational-pragmatischen“ Ansatz von PACKER näher als dem „rational-theoretischen“ von KAISER. Auch in HASSEMERs Ansatz gibt es einen Platz für die Alternative des „Nichts-Tuns“.
HASSEMERs Arbeit ist der Versuch, das Rechtsgutverständnis um einen Wirklichkeitsbezug zu erweitern.[189] Sein Ansatz lässt sich deshalb als „sozial-rational“ charakterisieren.
Wie PACKER und KAISER strebt auch HASSEMER eine „rationale“ Hierarchisierung der Problemgesichtspunkte im staatlichen Regelungssystem an. Während PACKERs Ansatz sich noch mit pragmatischer Logik begnügt[190] und KAISER eine theoretisch vorbestimmte Konstruktion, die Generalprävention, mit an der Empirie orientierter Analyse auf Möglichkeiten und Grenzen untersucht,[191] geht HASSEMER davon aus, dass die Wirklichkeit einer Norm nicht als schlichte Faktizität verstanden werden kann, sondern Norm und (sich verändernde) Wirklichkeit in unmittelbaren Bezug gesehen werden müssen mit der Folge, dass eine „rationale“ Hierarchisierung der Problemgesichtspunkte im staatlichen Regelungssystem aus dem empirischen Wissen über die Wirklichkeit entwickelt werden müssen.[192] Wie PACKER und KAISER kommt auch HASSEMER im Ergebnis dazu, dass Wirklichkeit und Wirksamkeit strafrechtlicher Normen durch eine Reduktion der Anzahl der Normen auf ein Mindestmaß erreicht werden kann.
HASSEMERs Anliegen ist es, über einen im Inhalt und in der Wertigkeit durch die Empirie mitbestimmten[193] Rechtsgutbegriff zu einer Ebene minimaler sozialer Übereinkunft zu kommen, von der aus eine Zusammenarbeit von Juristen und Soziologen auf dem Gebiet der Kriminalpolitik möglich sein würde.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind für ihn zum einen die Definition: „Kriminell ist menschliches Verhalten dann, wenn es ein strafrechtlich geschütztes Rechtsgut verletzt,“[194] sowie die Grundannahmen, dass
- „eine Theorie zu Begriff und Funktion des Rechtsguts das materiale Substrat einer Theorie des Verbrechens ist;
- die Theorie des Verbrechens die Nahtstelle zwischen Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik markiert, an der – meist unformulierte – Ordnungs-, Freiheits- und Regelungsvorstellungen (Zielvorstellungen) wirksam werden;
- die Art und Weise, wie diese Zielvorstellungen wirksam werden, von wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen bestimmt ist;
- folglich eine Rechtsgutlehre, die ihrem Gegenstand gerecht werden will, nur über den Rückgang auf die Zielvorstellungen und ihre wissenschaftstheoretisch begründete Funktion konzipiert werden kann. „[195]
Von dieser Position her untersucht er ausführlich „die kategoriale Systematik der Rechtsgutlehren“,[196] und kommt zu dem Ergebnis, dass die Rechtswissenschaften sich einseitig als Normwissenschaften, als Wissenschaft vom Sollen, verstanden haben. „Die ‚Wirklichkeit‘ stand dem rechtlichen Sollensanspruch gegenüber, war Objekt der Beurteilung und Regelung – nicht mehr. . . . Für das Verständnis der Rechtswissenschaft führte von der Norm zur Wirklichkeit nur eine Einbahnstraße: Die Wirklichkeit erfuhr von der Norm ihre Bewertung. Die Norm erfuhr von der Wirklichkeit nichts.“[197]
Da HASSEMER im Strafrecht ein Konfliktslösungsverfahren für „Konflikte von besonderer Bedeutung“[198] sieht, geht es ihm in seiner Arbeit darum, diese Einbahnstraße vom Sollen zum Sein auch für die Gegenrichtung zu öffnen, allerdings nur zu einer Straße, auf der der bisherige Verkehr, das Sollen, Vorrang hat, denn „erst die strafrechtliche Norm macht einen Gegenstand zum Rechtsgut.“[199] So entsteht nach seiner Meinung zwar „ein Rechtsgut erst mit seiner Konstitution als Schutzobjekt einer strafgesetzlichen Norm, die Positivierung ist notwendige Bedingung des Rechtsguts, Rechtsgutverletzung ist immer auch Rechtspflichtverletzung. Es bleibt aber dabei, dass das vorstrafrechtliche Interesse, das Gut prior causa des Rechtsguts ist, dass der Strafgesetzgeber Rechtsgüter nicht aus einem gesellschaftlichen Nichts schaffen kann, sondern an die sozialen Werterfahrungen auf das, was diese jeweils als Güter herausbildet, gebunden ist. „[200]
Wie bei PACKER ist bei HASSEMER der pragmatische Gedanke der Realisierbarkeit von Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht der im Zweifel entscheidendes. So stellt sich denn die „Hierarchie der Problemgesichtspunkte“ und damit die Frage nach der Wirklichkeit und Wirksamkeit von strafrechtlichen Normen durch eine Beschränkung auf ein Mindestmaß bei HASSEMER wie folgt dar:
„Auch wenn neben dem Rechtsgüterschutz noch andere Strafrechtsziele begründet werden, kann dies nichts daran ändern, dass die Forderung nach strafrechtlichem Schutz der Rechtsgüter auf ihre tatsächliche Realisierbarkeit hin überprüft werden muss. Sollte sich herausstellen, dass das Strafrecht ein untaugliches Mittel ist, um Rechtsgüterschutz zu gewährleisten, dann müssen die Ziele des Strafrechts, wenn überhaupt möglich, neu definiert werden. Sollte sich herausstellen, dass es außerhalb des Strafrechts rechtspolitische oder gesellschaftspolitische Instrumente gibt, die einen besseren Schutz versprechen als das Strafrecht, so muss eine Theorie vom Rechtsgut diese außerstrafrechtlichen Institutionen mitverarbeiten und ihre Beziehung zum Strafrecht abklären. Sollte sich herausstellen, dass die strafrechtlichen Reaktionsmittel je verschieden gut als Bedingungen eines wirksamen Rechtsgüterschutzes geeignet sind, dann muss eine Rechtsgutlehre, welche das Strafrecht ausschließlich auf den Schutz der Rechtsgüter verpflichtet, diese Reaktionsmittel in ein Hierarchiemodell je nach dieser Eignung überführen, und eine Rechtsgutlehre, welche den Rechtsgüterschutz nur als ein Ziel des Strafrechts unter mehreren zulässt, muss ein Modell ausarbeiten, welches die Zielkonflikte zu lösen vermag, die dann notwendig entstehen.“[201]
Die drei Problemansätze und Versuche einer Problemlösung, die wir traditionell genannt haben, verdienen diese Bezeichnung nur insofern, als sie sich noch auf ein Modell von der Wirklichkeit und Wirksamkeit von Normen beziehen, das (vereinfacht dargestellt) die Verbindlichkeit in dem Quotienten aus der Zahl der Fälle sieht, in denen sich die Norm als effektiv erwiesen hat, mit der Zahl der Situationen, in denen die Norm hätte erfüllt werden sollen. Sie befinden sich jedoch in der Avantgarde der Literatur zur juristischen Kriminologie einmal insofern, als sie dem weit verbreiteten Ruf nach einer Ausdehnung der Strafandrohungen und der Strafverfolgungsmaßnahmen den Hinweis entgegensetzen, dass nach dem gängigen Modell ein „rationaler“ Ansatz mit dem selben oder vielleicht auch besserem Recht zu einer Steigerung der Verbindlichkeit von Normen über die Reduzierung ihrer Anzahl, zumindest soweit Strafrechtsnormen betroffen sind, kommen kann; sie gehören weiterhin zu der Avantgarde insofern, als sich bei allen drei Autoren eine Abwendung von der „philosophischen“ Sinngebung eines Strafrechtssystems und eine Hinwendung zu einem „sozialen“ Sinnverständnis feststellen lässt.
Bei PACKER ist dieses die Sinngebung ersetzende Sinnverständnis vorhanden, wenn er betont: „Crime is a sociopolitical artifact, not a natural phenomenon. We can have as much or as little crime as we please, depending on what we choose to count as criminal. “[202] In seiner Arbeit geht er jedoch gewissermaßen einen Schritt zurück und lässt aus pragmatischen Gesichtspunkten die Frage nach dem Sinn des Strafrechtssystems offen. Stattdessen sucht er zu einer Systemtranszendenz durch das Aufweisen von Systeminkonsistenzen zu gelangen; denn, wie er immer wieder aufweist, zwingen schon die nur beschränkt vorhandenen Mittel zur Hierarchisierung und damit zur Infragestellung des gegenwärtigen Strafrechtssystems.
Auch KAISER, dessen Ansatz wegen seiner Komplexität und Differenziertheit nur unvollkommen im Rahmen dieser Arbeit dargestellt werden konnte, stellt mit seiner Reduktion der „rational“ möglichen Strafzwecke auf die Generalprävention die Sinngebung des Strafrechtssystems zugunsten eines Sinnverständnisses in Frage. Dies tut er vor allem, indem er, unter Berufung auf POPITZ und BRAUNECK,[203] darauf hinweist, dass die Generalprävention als das nach seiner Untersuchung empirisch zu rechtfertigende Ziel der Strafverfolgung insofern nur eingeschränkt zur Anwendung kommen kann, als sie nur wirksam ist, „wenn zuvörderst ‚die anderen‘ betroffen sind, also eine Minderheit.“[204]
HASSEMER schließlich, dem es um die Interaktion von Sein und Sollen im Recht und auf diesem Wege um die Frage, „wie die sozialen Vorbedingungen eines wirksamen Rechtsgüterschutzes geschaffen und gesichert werden können“,[205] geht, sucht ausdrücklich eine Sinngebung durch ein Sinnverständnis von Normen zu ersetzen: „Die Norm ist nur die Möglichkeit vom Recht, sie wird vollgültige rechtliche Handlungsanweisung erst als von der Wirklichkeit her ausgelegte. Wirklichkeitsveränderung geht deshalb in das Normverständnis unmittelbar und notwendig mit ein.“[206]
Stellen wir mit diesen drei Problemlösungen auf ein „soziales“ Sinnverständnis von Normen statt einer „philosophischen“ Sinngebung ab, so können wir schon an dieser Stelle feststellen, dass die Verkehrswirklichkeit ein Verkehrskriminalrecht jedenfalls nicht in dem Maße erfordert, wie es vor Einführung des OWiG 1968 bestand und praktiziert wurde, und vielleicht nicht einmal in dem Maße, wie es heute existiert und gehandhabt wird; denn bei der von den Autoren PACKER, KAISER und HASSEMER vorgeschlagenen „rationalen“ Betrachtungsweise sprechen sowohl praktische (Quantität – Kapazität) wie auch theoretische (Hierarchisierung der Rechtsgüter) Gründe für eine Entkriminalisierung des Verkehrsrechts. Jedoch ist damit die Frage, ob und was an die Stelle eines Verkehrskriminalrechts treten kann und soll, noch nicht gelöst.
4.3 Das Phänomen der Marginalität
Eine weitergehende Durchdringung des Problems, wie staatliches Strafen menschliches Verhalten regelt und regeln kann, können wir erreichen, wenn wir uns darauf zurückbesinnen, dass staatliches Strafen eine soziale Maßnahme ist und sein Wesen auch sozial bestimmt werden sollte. Unter sozialer Bestimmung des Wesens staatlichen Strafens verstehen wir dabei eine Art Ortsbestimmung des staatlichen Strafens im Netzwerk des sozialen Lebens.
POPITZ, und vor ihm BRAUNECK,[207] haben schon deutlich darauf hingewiesen, dass ein Mangel des traditionellen Modells von der Wirksamkeit und Wirklichkeit des Strafens die Nicht-Berücksichtigung der „Grenzen der Leistungsfähigkeit negativer Sanktionen“, der „Grenzen ihrer ‚Funktionalität‘ für das Normensystem, für den sozialen Zusammenhalt, für den äußeren und inneren Frieden der Friedfertigen“ ist;[208] denn, schaut man sich mit POPITZ und BRAUNECK die soziale Wirklichkeit an – und sei es auch nur den Teil, der in Kriminalstatistiken dargestellt wird – so kommt man zu dem scheinbar widersinnigen Ergebnis: „Die Strafe kann ihre soziale Wirksamkeit nur bewahren, solange die Mehrheit nicht ‚bekommt, was sie verdient‘. Auch die Präventivwirkung der Strafe bleibt nur bestehen, solange die Generalprävention der Dunkelziffer erhalten bleibt.“[209] POPITZ hat auch den Weg gewiesen, den wir im Folgenden weiterzugehen versuchen: Angesichts dieser (scheinbaren) Systeminkonsistenzen geht es darum, „einen Bezugsrahmen für Erklärungsmöglichkeiten zu finden.”[210]
Schon einmal in dieser Arbeit waren wir auf Systeminkonsistenzen gestoßen, als wir feststellten, dass bei konsequenter Extrapolation des traditionellen Verständnisses des Verkehrsverhaltens ein Großteil unseres Alltagsverhaltens „persönlichkeitsfremd“ erscheint. Wie dort werden wir auch hier an liebgewordenen Denkmodellen zu rütteln suchen und nach einer „Revision des Erkannten“[211] streben. Und wie dort werden wir auch hier versuchen, das Selbstverständliche, das Alltägliche, das vom „gesunden Menschenverstand“ Erkannte von einem phänomenologischen Ansatz her in Frage zu stellen. Wie dort, schließlich, werden wir deshalb von der Grundannahme ausgehen, dass die soziale Wirklichkeit das (ständig sich ändernde) Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse ist und nur erfasst werden kann, wenn man versucht, die Konstruktionsprozesse aus der Perspektive der Konstruierenden nachzukonstruieren.
Mit dieser Methode werden wir nach einem Verständnis von „Kriminalität“ suchen. Das Ergebnis dieser Überlegungen, Kriminalität als sozialer Status statt Verhalten, wird uns dann vor ein neues Problem stellen, nämlich der Verfügbarkeit von sozialem Status in sozialen Systemen. Dieses Problem werden wir unter Aufzeigen des Phänomens der Marginalität zu klären suchen. Aus dem Verständnis von „Kriminalität“ als einer Art von sozialem Status und der beschränkten Verfügbarkeit von Statuspositionen in sozialen Systemen werden wir dann schließlich zu einem Bezugsrahmen für die u. a. von POPITZ gezeigten Systeminkonsistenzen des traditionellen Modells kommen, in dem neben Wirken von negativen Sanktionen auch deren Grenzen der Wirkungsmöglichkeit konzeptualisiert sind.
43.1 Kriminalität als Status
Über die Definition kriminellen Handelns herrscht ein alter Streit zwischen Juristen und Soziologen. Die Juristen einerseits verstehen unter kriminellem Handeln ein Handeln, das tatbestandsmäßig, rechtwidrig und schuldhaft ein Strafgesetz verletzt; demgegenüber versteht die vor allem von SELLIN und SUTHERLAND begründete[212] soziologische Position diese Definition als zu eng und, da sie von den jeweils geltenden Strafgesetzen abhängt, als für sozialwissenschaftliches Arbeiten unbrauchbar. Von SELLIN wird deshalb kriminelles Handeln als Verstoß gegen Verhaltensnormen verstanden und SUTHERLAND bezieht in den Bereich von Theorien über kriminelles Verhalten all das Verhalten ein, das gesetzlich sanktioniert und sozial schädlich ist. Diese beiden Positionen scheinen miteinander unvereinbar und erst kürzlich konnte SACK[213] zum Streitstand feststellen, dass die Soziologen gegenüber dem juristischen Verbrechensbegriff geradezu so etwas wie eine Berührungsangst entwickelt hätten, während die Juristen umgekehrt an einem strafrechtlich fixierten Verbrechensbegriff festhielten.
Eine Position zu dieser Kontroverse lässt sich dadurch finden, dass von der Frage nach dem Warum eines kriminellen Verhaltens, die den Bedeutungshintergrund dieses Streites um die Definition des kriminellen Verhaltens abgibt, die Frage nach einer Definition von Kriminalität unterschieden wird. Während die erste Frage abstrakt die Qualität eines menschlichen Handelns zu beurteilen suchte, geht es bei der Frage nach einer Definition der Kriminalität, oder anders formuliert, bei der Frage, wer ein Krimineller ist, um eine konkrete „Beurteilung“ menschlichen Handelns. Bei dieser „Beurteilung“ handelt es sich um einen Definitionsprozess, um eine soziale Konstruktion von Wirklichkeit.[214] Dies zeigt schon „die Tatsache, dass die Gesellschaft einen beträchtlichen Rechtsapparat in finanzieller, personeller und institutioneller Hinsicht aufwendet, der erst die Frage zu entscheiden hat, welches konkrete Verhalten als delinquent oder kriminell zu gelten hat.”[215] Gibt es aber in der sozialen Wirklichkeit nicht ein Verhalten, das phänomenal „kriminell“ ist, sondern bedarf es dazu, wie auch sonst im Alltag, erst der sozialen Konstruktion, dann stellt sich die Frage nach dem Warum eines kriminellen Verhaltens als eine verkürzte Problemsicht dar.
Aufgrund dieser Überlegungen betrachten wir deshalb den erwähnten Streit um die juristische und die soziologische Definition als irrelevant, und zwar irrelevant sowohl für ein Verständnis von Kriminellen und Kriminalität in der Gesellschaft wie auch für die Zwecke dieser Arbeit, also für die Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen institutioneller Regelung von Verhalten. Stattdessen begreifen wir die soziale Wirklichkeit eines Verhaltens als jeweils durch einen komplizierten und vielstufigen Prozess bestimmt, an dessen Ende jeweils eine Statusrekonstruktion steht. Für den Fall der Kriminalität bedeutet dies, dass wir sie als das Ergebnis eines institutionalisierten Prozesses einer Statusdegradation verstehen, in dem aus dem Status quo ante des Prozesses und aus einem phänomenalen Verhalten in einer Vielzahl von Interaktionen mit Personen und Institutionen die soziale Wirklichkeit des Verhaltens und des Status quo post als kriminelles Verhalten und als krimineller Status konstruiert wird. Als Folge begreifen wir die Verurteilung als die Zuweisung eines kriminellen Status und deshalb als die soziale Wirklichkeit der Strafe die Kreation einer für die soziale Konstruktion der Wirklichkeit anderen phänomenalen Verhaltens ungünstigen Ausgangsbasis.[216]
Die hier vertretene Meinung, dass es sich bei Kriminalität um einen im Wege der Sinngebung eines Verhaltens als kriminelles Verhalten konstruierten sozialen Status handelt, lässt sich schon semantisch an der jeweils geltenden Strafprozessordnung und – korrespondierend dazu – an den jeweils geltenden Ehrschutzbestimmungen ablesen. So wird z. B. nach der deutschen Strafprozessordnung (§ 157 StPO) der „Verdächtige“ zum „Beschuldigten“, wenn das Ermittlungsverfahren gegen ihn betrieben wird; der „Beschuldigte“ wird zum „Angeschuldigten“, wenn gegen ihn öffentliche Klage erhoben ist, und dann zum „Angeklagten“, wenn gegen ihn die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Zum „Verurteilten“ wird er nach dem Wortgebrauch des Gesetzes schließlich nach Rechtskraft eines verurteilenden Erkenntnisses.[217]
Entsprechendes gilt bei den Ehrenschutzbestimmungen. In § 190 Satz 1 StGB heißt es z. B.: „Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine strafbare Handlung, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist. Auch hier tritt die etwa vorliegende strafbare Handlung in den Hintergrund und eine unwiderlegbare Vermutung, begründet auf dem Status „Verurteilter“, tritt an ihre Stelle.
Wir können deshalb für unsere Zwecke festhalten, dass, wie auch sonst im sozialen Leben, mit der Konstruktion der sozialen Wirklichkeit einer konkreten „kriminellen“ Handlung eine Re-Konstruktion des sozialen Status des Handelnden stattfindet: Sein Status quo ante wird in einem formalisierten Verfahren zu dem Status quo post „Verurteilter“ oder „Krimineller“ umkonstruiert. Bei der vorgeschlagenen phänomenologischen Betrachtungsweise lässt sich also „Kriminalität“ als Status statt als „Verhalten“[218] begreifen.
Nun wäre es sicherlich interessant den Konstruktionsprozess vom Status quo ante zum Status quo post „Kriminalität“ zu untersuchen und eine solche Untersuchung würde viel zu unserem Verständnis der Kriminalität in der Gesellschaft beitragen. Jedoch ist eine solche Untersuchung im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit entbehrlich, da es uns hier um eine Grobrasterung, um ein Systemverständnis auf soziologischer und nicht auf sozial-psychologischer Ebene, geht.[219]
Die Frage, die sich uns jetzt vielmehr stellt, ist, wie sich der kriminelle Status in das Gefüge unseres sozialen Systems einpasst. Dazu müssen wir auf einige „Selbstverständlichkeiten“ in unserem Wissen über soziale Systeme eingehen, die wegen ihrer Selbstverständlichkeit jedoch sowohl im alltäglichen wie auch im sozialwissenschaftlichen Alltagsleben häufig übersehen werden.
Zunächst jedoch bedarf es einer Klärung der Frage, was „unser soziales System“ eigentlich ist. Begreifen wir als „unser soziales System“ einmal als die Bundesrepublik Deutschland, so können wir feststellen, dass „unser soziales System“ aus einer großen Zahl von Subsystemen besteht, die sich ihrerseits wieder in kleinere Systemeinheiten gliedern lassen, etc. bis hin zum kleinsten sozialen System, der Dyade, die nur aus zwei Individuen besteht. Wir nennen jede dieser Einheiten Systeme, weil in ihm mannigfache Interrelationen zwischen systembildenden Untereinheiten bestehen. Mit PARSONS und SHILS können wir den Begriff „System“ wie folgt definieren:
„The most general and fundamental property of a system is the interdependence of parts or variables. Interdependence consists in the existence of determinate relationships among parts or variables as contrasted with randomness of variability. In other words, interdependence is order in the relationship among the components which enter into a system.[220]
Gleich welcher Anschauung in der soziologischen Systemtheorie[221] man sich auch anschließt, sei es einer Anschauung, die ein Konsensus- oder Gleichgewichtsmodell vertritt, sei es einer Anschauung, die eine dynamischere Sicht von sozialen Systemen hat, immer wird man als wesentliches Charakteristikum eines sozialen Systems eine Ordnung oder Struktur der Interdependenzen feststellen.[222]
Wenn man nach diesem Ordnungsgesichtspunkt forscht, bietet sich der soziale Status der Systemeinheiten an, deren Systemposition in der Systemkonstruktion. Der soziale Status einer Systemeinheit im jeweiligen System ist dann gleichsam sowohl der ruhende Pol oder Konstruktionshintergrund für jede der stattfindenden Interrelationen als auch gleichzeitig das Ergebnis früherer Konstruktionen der sozialen Wirklichkeit.
Wenden wir uns nun den Systempositionen zu, so kommen wir zu der ersten Selbstverständlichkeit, die es herauszustellen galt: Wir können feststellen, dass diese Systempositionen als in einem vieldimensionalen sozialen Bewertungsraum liegend dargestellt werden können, und weiterhin, dass die Streuung – nicht jedoch der Grad der Streuung sowie die Zahl und Art der Bewertungsdimensionen – charakteristisch für jedes soziale System ist. In anderen Worten, wir können die UBIQUITÄT von Systempositionen feststellen.[223]
Betrachten wir dann die Systempositionen in einem beliebigen sozialen System und vergleichen sie miteinander, so stellen wir als erstes fest, dass sie sich hierarchisieren lassen, d. h., dass sie sich in einem Bewertungsraum von wenigen Dimensionen in höhere oder niederrangigere Systempositionen sei es gruppieren, sei es ordnen lassen, soweit man gewisse Unschärfen in Kauf zu nehmen gewillt ist. Diese Vorgehensweise ist uns von der gesamtgesellschaftlichen Betrachtungsweise von sozialen Systemen vertraut; denn dort sind wir es gewohnt, von sozialen Kasten, von sozialen Klassen oder auch von Grobunterteilungen wie „Selbständige, Angestellte, Arbeiter“ zu sprechen und mit diesen Gruppierungen zu operieren. Aber auch auf der Kleingruppen-Ebene gebrauchen wir Hierarchisierungen von Systempositionen. So sprechen wir dort vom „Führer, Mitläufer, Außenseiter“[224] oder etwa vom „dominanten“ Teil einer Dyade.[225]
Wenn wir aber für jede soziale Gruppierung irgendeine soziale Hierarchisierung der Systempositionen aufstellen können und immer irgendeine dieser Hierarchisierungen sei es für uns als Mitglieder dieser Gruppierung, sei es für uns als Außenstehende, die soziale Wirklichkeit der jeweiligen Gruppierung darstellt, können wir feststellen, dass keine dieser Systempositionen in unbeschränkter Zahl in dem jeweils untersuchten System vorhanden ist. Damit haben wir die zweite Selbstverständlichkeit herausgestellt, um die es uns in dieser Arbeit geht: Ein Merkmal eines jeden sozialen Systems ist die RARITÄT der Systempositionen.
Die dritte Selbstverständlichkeit ergibt sich dann aus den beiden ersten: Es ist die RELATIVITÄT von Systempositionen und damit die Relativität ihrer sozialen Perzeption. Denn: Vergleichen wir die Systempositionen eines sozialen Systems mit denen eines anderen – und dies mag ein System gleicher Allgemeinheit oder auch ein übergeordnetes bzw. untergeordnetes System sein – dann stellen wir fest, dass bei gleichem Bewertungsmaßstab eine Systemposition in dem einen System einmal einen höheren einmal einen geringeren Rang hat als in einem anderen System. Diese „objektive“ Betrachtungsweise ist aber nicht typisch für unseren Alltag, in dem wir selbst Mitglied von sozialen Systemen sind. Dort vielmehr richten wir unseren Bewertungsmaßstab nach dem Systemhorizont, d. h. wir perzipieren jede Systemposition, eingeschlossen unserer eigenen, relativ zum System.
Nach Klärung der drei „Selbstverständlichkeiten“, nämlich 1. Ubiquität sozialer Differenzierung, 2. Rarität von Systempositionen und 3. Relativität von sozialer Position und deren Perzeption, können wir uns nun der Frage widmen, wie sich der kriminelle Status in das soziale System einpasst.
Wie wir im vorigen Abschnitt festgestellt haben, gibt es nicht nur ein soziales System, sondern eine Vielzahl von sozialen Systemen, die jeweils ineinander geschachtelt oder nebeneinander existierend in einer Vielzahl von Interrelationen miteinander stehen. Berücksichtigen wir diese Feststellung, so müssen wir unsere Frage weiter dahingehend spezifizieren, in welches dieser Systeme sich der kriminelle Status wie einpasst. Die Antwort darauf ist wiederum eine „Selbstverständlichkeit“: Krimineller Status ist ein Status im gesamtgesellschaftlichen System.[226] Dies entspricht seiner Feststellungsweise, oder genauer: seiner Konstruktionsweise, durch gesamtgesellschaftlich autorisierte Organe, nämlich die Polizei, Staatsanwaltschaften und die Gerichte in einem gesetzlich geregelten Zusammenwirken.
Beließen wir es bei der Feststellung, dass Kriminalität ein Status im gesamt-gesellschaftlichen System ist, so liefe unsere Abgrenzung Gefahr, ungenau, zumindest aber missverständlich zu sein, denn ein Status, der dem der Kriminalität im gesamtgesellschaftlichen System entspricht, findet sich in jedem der Subsysteme, und zwar in einer vergleichbaren Bandbreite.[227] Im Unterschied zum Status der Kriminalität wollen wir deshalb diese Art von Status als Status des Abweichers oder Außenseiters bezeichnen. Auch dieser Status ist das Ergebnis einer sozialen Konstruktion von Verhalten auf der Grundlage einer Statusposition quo ante. Im Unterschied zum Status der Kriminalität geht aber diese soziale Konstruktion der Wirklichkeit nicht in einem durch das Strafrecht geregelten und formalisierten „Prozess“ vor sich.
Bestehen zwar Unterschiede in der Form, wie der Status festgestellt wird, sowie im Bezugssystem, so gibt es doch andererseits eine Menge Parallelen zwischen dem Status Kriminalität und dem Status „Abweicher“, die denn wohl auch dazu geführt haben, dass im sozialwissenschaftlichen Schrifttum diese Unterscheidung als „juristisch“ abgelehnt wird. Ein Bezug zwischen diesen beiden Arten von Status ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der eine kriminelle Statusposition im gesamtgesellschaftlichen System innehat, auch in einer Vielzahl von Subsystemen, und zwar vor allem in denen, die im Gesamtsystem selbst als Niedrigstatus-Systeme angesehen werden, die Statusposition eines „Abweichers“ einnimmt. Ein weiterer Bezug besteht, wenn man umgekehrt auf die Position der „Abweicher“ in Subsystemen abstellt; auch hier ist die Wahrscheinlichkeit für denjenigen größer, der in einem oder mehreren Subsystemen die Position eines Abweichers hat bzw. nur wenigen Subsystemen angehört, dass für ihn der gesamtgesellschaftliche Status Krimineller festgestellt wird, als für jemanden, der in Subsystemen andere Positionen als die des „Abweichers“ innehat.[228]
Gemeinsam schließlich ist der Statusposition „Kriminalität“ und der Statusposition „Abweicher“, dass beides Marginalpositionen in ihren jeweiligen Systemen sind. Dabei ist unter einer Marginalposition nicht eine Position zu verstehen, die unter Zugrundelegung einer verkürzten eindimensionalen Betrachtungsweise „besser“ oder „schlechter“ als eine andere Position ist, sondern, im Sinne des oben postulierten Systemverständnisses, ist damit eine Systemposition gemeint, die sich vor anderen dadurch auszeichnet, dass sie als am Rande des für das jeweilige System bestehenden multidimensionalen Bewertungsraums angesiedelt gesehen („sozial als Wirklichkeit konstruiert“) wird.
Dass der „Abweicher“ in seinem System eine Marginalposition einnimmt, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Aber es lässt sich auch leicht nachweisen, dass der Status „Kriminalität“ ein Marginalstatus im gesamtgesellschaftlichen System ist; denn würden wir einen beliebigen Bevölkerungsquerschnitt wählen und jeden einzelnen darin befragen, wie er die soziale Wirklichkeit seiner Stellung im gesamtgesellschaftlichen System gegenüber jemanden beurteilt, dem der Status „Kriminalität“ durch ein strafgerichtliches Urteil zuerkannt worden ist, so besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die große Mehrheit der Befragten ihren Status als weniger marginal ansehen würden.[229]
Als Zwischenergebnis können wir also festhalten, dass der Status „Kriminalität“ eine Art des sozialen Status im gesamtgesellschaftlichen System ist, und weiterhin, dass er sich von anderen Arten von Status unter anderem dadurch unterscheidet, dass er ein Marginalstatus ist. Diese Feststellungen sowie diejenigen im vorhergehenden Abschnitt, nämlich 1. die Ubiquität sozialer Differenzierung, 2. die Rarität von Systempositionen und 3. die Relativität von sozialer Position und deren Perzeption, sind so selbstverständlich, dass sich dafür in der Literatur kaum „Fundstellen“ nachweisen lassen. Soweit sie überhaupt erwähnt werden, befasst sich die sozialwissenschaftliche und kriminologische Literatur nur mit dem „Wie“, nicht aber mit dem „Ob“.[230] Dies kennzeichnet diese „Selbstverständlichkeiten“, wie wir sie bisher genannt haben, als unausgesprochene und leider auch bisher unbeachtete Grundannahmen.
Wie wir im Folgenden zeigen werden, lässt sich aus ihnen ein Bezugsrahmen entwickeln, innerhalb dessen u. a. die von POPITZ[231] gezeigten scheinbaren Systeminkonsistenzen sich erklären lassen und aufgrund dessen das traditionelle Modell vom Wirken und der Wirklichkeit von Normen dahingehend erweitert wird, dass auch die sozialen Grenzen institutioneller Regelungen in diesem Modell berücksichtigt werden. Mit diesem Bezugsrahmen werden wir dann zum Abschluss der Arbeit die Möglichkeiten rechtspolitischer Maßnahmen zur Verkehrsregelung erörtern können.
4.4 Die Grenzen institutioneller Sanktionen
Nachdem wir uns die Elemente für unseren Bezugsrahmen zusammengesucht haben, geht es in diesem Abschnitt darum, sie zusammenzufügen. Wir werden damit beginnen, indem wir die vorhin herausgestellten Merkmale einer jeden Position in einem sozialen System, nämlich 1. Ubiquität, 2. Rarität und 3. Relativität, für den Fall der Marginalposition „Kriminalität“ in ihren Konsequenzen darstellen. Dort werden wir zeigen, dass institutionelles Strafen ein Unterfall von sozialer Marginalisierung ist, und zwar derjenige, der dann eingreift, wenn andere Arten von sozialer Marginalisierung als nicht ausreichend oder als nicht-existent angesehen werden. Aus diesen Überlegungen, und zwar insbesondere aus der Tatsache der Rarität von Marginalpositionen in sozialen Systemen, werden wir dann ein gegenüber dem traditionellen Modell erweitertes Modell von der Wirklichkeit und vom Wirken von Normen entwickeln. Dies bringt uns zum Abschluss dieses Kapitels zu den Alternativen einer Rechtspolitik aus phänomenologischer Sicht.
Oben haben wir festgestellt, dass eine jede Systemposition in einem sozialen System drei Eigenschaften hat, nämlich 1. Ubiquität, 2. Rarität und 3. Relativität. Weiterhin sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass „Kriminalität“ eine Art von sozialem Status ist und sich unter den anderen Arten von sozialem Status als Marginalstatus auszeichnet. Wir können also schließen, dass Kriminalität durch diese drei Eigenschaften gekennzeichnet ist, wobei eine dieser Eigenschaften, die Rarität, in besonderem Masse die soziale Wertigkeit von Kriminalität bestimmt. Es geht nun im Folgenden darum, zu zeigen, was dies für unser Verständnis der Kriminalität und für die Administration sozialer Marginalisierung bedeutet.
Soweit es um Ubiquität und Relativität geht, können wir uns dabei auf einen in der Kriminologie immer wieder erwähnten aber dennoch in Bezug auf die praktischen und theoretischen Konsequenzen vernachlässigten Gedanken DURKHEIMs[232] zurückbesinnen, auf den Gedanken, dass Kriminalität ein normales soziales Phänomen ist und die gesamtgesellschaftliche Parallele zum Status des (relativen) Außenseiters in sozialen Systemen kleineren Umfangs darstellt. Aus dieser Sicht ist eine Rechtspolitik, die sich auf eine Beseitigung des Status „Kriminalität“ und damit des phänomenalen Verhaltens, das seiner Konstruktion zum Teil zugrunde liegt, durch Strafverfolgung richtet, nicht das „aktive“, soziales Geschehen beeinflussende, gesamtgesellschaftliche Element, als das sie sich versteht, sondern ein „passives“ Rädchen im System strukturierter sozialer Ungleichheiten.
Berücksichtigen wir die Ubiquität und Relativität von gesamtgesellschaftlichen Marginalpositionen, so können wir feststellen, dass eine Rechtspolitik, die sich aktiv an dem Prozess der Konstruktion sozialer Wirklichkeit durch dynamische Bestimmung der Grenzen des für das jeweilige System Zulässigen beteiligen will, nur dann vorliegt, wenn sie sich als Administrator des Status „Kriminalität“ versteht. Wie eine solche Administration durchgeführt werden kann, ist eine Frage, die in dieser Arbeit insoweit aufgeklärt werden soll, als die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eingegrenzt werden und bestimmt wird, wo eine der sozialen Grenzen einer solchen Administration liegt. Worum es uns also geht, ist eine negative Bestimmung der Möglichkeiten einer Administration des Status „Kriminalität“. Dazu werden wir das dritte Merkmal einer Marginalposition, deren Rarität im jeweiligen System, benutzen.
POPITZ hat in seinem Vortrag „Über die Präventivwirkung des Nichtwissens“[233] schon implizit auf einen Aspekt hingewiesen, der bei einer Erörterung der Rarität von Marginalpositionen berücksichtigt werden muss: Wie auch sonst im sozialen Leben geht es bei der Rarität von Marginalpositionen nicht um das, was wirklich „ist“, sondern um das, was als wirklich perzipiert bzw. konstruiert wird;[234] denn, wenn wir der Argumentation von POPITZ folgen, ist es nicht nur die Strafe selbst, die einer Norm ihre Gültigkeit verleiht, sondern auch sowohl die Nicht-Perzeption von Normverstößen wie die Nicht-Perzeption der beschränkten Kapazität der Normenvollstreckungssysteme.
Die von POPITZ gezeigten scheinbaren Systeminkonsistenzen lassen sich auflösen, wenn wir die Rarität von sozialen Marginalpositionen und gleichzeitig die Vielheit sozialer Systeme berücksichtigen. Dann nämlich ist die Kriminalstrafe die Verleihung eines kriminellen Status, der, soweit er seinen Charakter als Marginalstatus bewahren will, nur in beschränktem Umfang im gesamtgesellschaftlichen System vorhanden sein darf und deshalb nur verliehen werden darf, wenn Maßnahmen gesamtgesellschaftlicher Subsysteme entweder unwirksam sind bzw. sich so erwiesen haben oder aus rechtsstaatlichen Gründen unerwünscht sind.
Rarität ist dabei etwas, was unter Berücksichtigung der begrenzten sozialen Transparenz gesehen werden muss; denn die limitierte soziale Transparenz wirkt sich in zweifacher Hinsicht auf die Aufrechterhaltung der Rarität der kriminellen Statuspositionen im gesamtgesellschaftlichen System aus. Einmal bewirkt die beschränkte Verhaltenstransparenz,[235] dass nicht ein jedes phänomenale („tatsächliche“) Verhalten, das als Normbruch konstruiert werden könnte, auch als solcher sozial konstruiert wird. Zum anderen bewirkt die vor allem von BRAUNECK erwähnte[236] beschränkte Statustransparenz, dass „die Bevölkerung die Zahl der Bestraften in ihrer Mitte unterschätzt“.
Wenn nun zwar Rarität von Marginalpositionen unter Berücksichtigung des „Puffers“ der begrenzten sozialen Transparenz gesehen werden muss, und damit der Rechtpolitik ein weiter Freiheitsraum bei der Normsetzung und bei der Normvollstreckung zur Verfügung steht, so gibt es jedoch andererseits Situationen, in denen sich die Pufferwirkung der beschränkten sozialen Transparenz in das Gegenteil verkehrt. Zwei Arten von Situationen, in denen das eintritt, lassen sich unterscheiden.
Der eine Fall liegt vor, wenn ein Verhalten, das gesamtgesellschaftlich als normwidrig stigmatisiert ist, in der Strafrechtswirklichkeit offensichtlich nicht oder nicht oft durch Marginalisierung verfolgt wird. Der andere Fall liegt vor, wenn ein Verhalten so oft zur Verleihung kriminellen Status führt, dass niemand sich mehr scheut, eine solche Statusverleihung zuzugeben.
In beiden Fällen ist sowohl tatsächlich wie auch perzeptionell eine Rarität nicht mehr gegeben und in beiden Fällen erweist sich eine Norm als unwirksam und unwirklich. Beispiele für die erste Fallgruppe sind bzw. waren etwa Wirtschaftsvergehen, Homosexualität und Abtreibung, Beispiele für die zweite Fallgruppe sind bzw. waren etwa Verkehrsverstösse und Prohibition. Beiden Fallgruppen gemeinsam ist, dass sie zum Teil durch Überprüfung der Wertentscheidung am sozialen Wertverständnis, zum Teil durch Intensivierung der Strafverfolgung im Rahmen des traditionellen Modells gelöst werden können bzw. gelöst wurden. Klare Beispiele dafür sind die gesetzgeberische Handhabung der Kriminalgesetze gegen Homosexualität und der Prohibitionsgesetze.
Übrig bleibt jedoch eine Reihe von Fällen, die sich einer Lösung durch das traditionelle Modell verschließen. Das sind die Fälle, in denen eine Wertentscheidung orientiert am sozialem Wertverständnis eine Beibehaltung der Kriminalisierung zu verlangen scheint, aber eine Intensivierung der Strafverfolgung zu einer weiteren Schwächung des die Rarität erhaltenden Puffers „soziale Transparenz“ führt. Es ist an diesem Punkt, wo das traditionelle Modell vom Wirken und von der Wirklichkeit einer Norm ergänzungsbedürftig erscheint.
Wir müssen uns hier auf eine Grundlage des traditionellen Modells zurückbesinnen, die in der Diskussion über die Form seiner praktischen Verwirklichung leicht in Vergessenheit gerät. Das ist die Tatsache, dass die Verleihung von kriminellem Status primär eine gesamtgesellschaftliche Marginalisierung bedeutet und typischerweise nur subsidiär dann eingreift, wenn eine Verhaltensregelung durch, sei es positive, sei es negative, Marginalisierung in gesamtgesellschaftlichen Subsystemen nicht erfolgen kann. Sozialisation, soziale Belohnung und soziale Bestrafung führen im Alltag dazu, dass strafrechtliche Normen weitgehend Verhaltensgeltung haben,[237] und typischerweise nur „der Andere“, der schon fruchtlos sozial sanktionierte, für eine Marginalisierung im gesamtgesellschaftlichen System übrigbleibt.[238]
In den Fällen jedoch, wo Verhaltensweisen einer gesamtgesellschaftlichen Marginalisierung freigegeben wurden, ohne dass gleichzeitig ein „Unterbau“ von Verhaltensregelungen und Verhaltenssanktionen in gesamtgesellschaftlichen Subsystem besteht, also in den Fällen, wo das Strafrechtssystem nicht mehr subsidiär das Verhalten zu regeln sucht, kommt es zu einer Durchlöcherung der beschränkten sozialen Transparenz, und damit zu einer Beseitigung der Perzeption der Rarität von Marginalpositionen im gesamt-gesellschaftlichen System. Die als Marginalpositionen konzipierten und so verliehenen Statuspositionen verlieren mit ihrer Rarität ihren Charakter des Marginalen.
Nach POPITZ stellt sich diese wie folgt dar:
„Wenn auch der Nachbar zur Rechten und zur Linken bestraft wird, verliert die Strafe ihr moralisches Gewicht. Etwas, das beinahe reihum passiert, gilt nicht mehr als diskriminierend. Auch die Strafe kann sich verbrauchen. Wenn die Norm nicht mehr oder zu selten sanktioniert wird, verliert sie ihre Zähne, muss sie dauernd zubeißen, werden die Zähne stumpf. Selbst der praktische Nachteil, den die Strafe bringt, schwächt sich in dem Grade ab, in dem er allgemein wird. Aber nicht nur die Sanktion verliert ihr Gewicht, wenn der Nachbar zur Rechten und zur Linken bestraft wird. Es wird damit auch offenbar – und zwar in denkbar eindeutiger Weise -, dass auch der Nachbar die Normen nicht einhält. Diese Demonstration des Ausmaßes der Nichtgeltung der Norm wird sich aber ebenso wie der Gewichtsverlust der Sanktion auf die Konformitätsbereitschaft auswirken. Werden allzu viele an den Pranger gestellt, verliert nicht nur der Pranger seine Schrecken, sondern auch der Normbruch seinen Ausnahmecharakter und damit den Charakter einer Tat, in der etwas „gebrochen“, zerbrochen wird“.[239]
Als Zwischenergebnis unserer Überlegungen zum Wirken und zur Wirklichkeit sozialer Normen, insbesondere institutioneller Normen, können wir aufgrund unserer bisherigen Überlegungen festhalten, dass das traditionelle Modell eine unvollkommene Konzeptualisierung darstellt. Nach dem traditionellen Modell besteht grundsätzlich eine lineare Beziehung zwischen der Häufigkeit von Sanktionierung und der Effektivität von Normen,[240] die im institutionellen Bereich lediglich etwa durch den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und die Kapazität der Verfolgungsorgane begrenzt wird. Wir können das traditionelle Modell deshalb vereinfacht wie folgt darstellen:
Demgegenüber haben wir, vor allem unter Berufung auf POPITZ,[241] her- ausgearbeitet, dass von einem theoretisch bestimmbaren Punkt an jede weitere Sanktion die Effektivität der Verhaltensregelung verringert, dass also die Beziehung zwischen Häufigkeit von Sanktionierung und Effektivität von Normen eher als kurvilineare verstanden werden kann. Schematisch lässt sich diese Erweiterung des traditionellen Modells wie folgt darstellen:
Grundsätzlich wird diese Erweiterung des traditionellen Modells wohl auch von seinen oben genannten neueren Vertretern HASSEMER und KAISER an- erkannt.[242]
Würde man es bei dieser Feststellung belassen, so besäße man zwar eine Beschreibung der sozialen Wirklichkeit, wäre jedoch von einem Verständnis ihres Konstruktionsprozesses – und nur dieses erlaubt ja eine Rekonstruktion – noch weit entfernt. Wir werden deshalb die dargestellte Erweiterung des traditionellen Modells als konzeptualisierungsbedürftig ansehen. Es geht also in diesem Abschnitt um die Frage, was die Gründe für die kurvilineare Beziehung zwischen Häufigkeit und Effektivität im erweiterten Modell sind.
Grundsätzlich haben wir schon geklärt, dass das Wirken und die Wirklichkeit einer Norm eine Funktion der Rarität der auf ihrer Grundlage verliehenen Statuspositionen ist. Bei einer Untersuchung der Rarität sind wir dann darauf gestoßen, dass es sich dabei grundsätzlich um sozial perzipiert Rarität handelt, die zwar von der tatsächlichen Rarität von Marginalpositionen ab- hängig, jedoch nicht mit ihr identisch ist. Ausgleichender und die Rarität aufrechterhaltender Puffer ist die limitierte soziale Transparenz. Bei dem Versuch, die Verhaltensgeltung durch Ausdehnung der Verhaltenskontrolle zu erhöhen, bröckelt jedoch dieser Puffer ab und als Marginalpositionen verliehene Statuspositionen verlieren den Charakter ihrer Marginalität.
Es stellt sich nun die Frage, wie dieses Abbröckeln des Puffers mit der Feststellung vereinbar ist, dass eine soziale Transparenz nur in begrenztem Masse in der sozialen Wirklichkeit vorhanden ist. Eine Antwort darauf stellt, wie es scheint, gleichzeitig eine Konzeptualisierung des Wirkens und der Wirkungskraft institutioneller Normen dar.
Den Ansatzpunkt für eine Konzeptualisierung bietet POPITZ, wenn er sagt: „Wenn nun die Sanktionsgeltung durch Ausdehnung der Verhaltenskontrolle erhöht wird, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass verhältnismäßig statushohe Sünder aus der Dunkelziffer-Gruppe in die Gruppe der Sanktionierten abwandern.”[243] Überlegen wir uns einmal, was dies für die die Marginalität erhaltende limitierte soziale Transparenz bedeutet.
Aufgrund unserer bisherigen Argumentation können wir zwei kumulativ wirkende Aufweichungen der limitierten sozialen Transparenz bei der „Änderung der Verhaltenskontrolle“ und damit bei der Einbeziehung „statushoher Sünder“ erwarten. Die eine ergibt sich aus der differenziellen sozialen Wirkung von Statusveränderungen bei Personen, die in einem sozialen System einen nicht-marginalen Status einnehmen, die andere aus dem differenziellen Erfolg eines Normenvollstreckungssystems, welches statushohen Personen einen Marginalstatus zu verleihen sucht.
Wenden wir uns der ersten Aufweichung zu, so können wir unsere Analyse einmal auf die allgemeine Beobachtung aus der Soziologie und Sozialpsychologie der sozialen Differenzierung stützen, dass sozialer Kontakt vor allem zwischen statusgleichen Mitgliedern eines sozialen Systems stattfindet und die Wahrscheinlichkeit eines sozialen Kontaktes mit dem Statusabstand abnimmt.[244] Zum anderen können wir unsere Analyse auf die weitere allgemeine Beobachtung stützen, dass in einem jeden sozialen System die Tendenz besteht, dass statushöhere Positionen in geringerem Masse vorhanden sind als statusniedrigere. Kombinieren wir nun diese Beobachtungen mit unserer Feststellung, dass Kriminalisierung eine Form von Marginalisierung ist, so ergibt sich daraus, dass der Versuch einen „statushohen Sünder“ zu marginalisieren eine umso größere Unruhe in den sozialen Systemen, die davon betroffen sind, verursacht, je höher sein Status ist; denn jede negative Statusveränderung oder der Versuch, eine solche durchzuführen, bedeutet gleichzeitig eine Statusveränderung bzw. den Versuch davon zumindest für viele Statusniedrigere. Diese Aufweichung der sozialen Transparenz ist ohne weiteres einsichtig, wenn wir ein konkretes Beispiel wählen, etwa, auf eine Organisation bezogen, die Verurteilung jeweils eines Direktors, eines Abteilungsleiters und eines Hilfsarbeiters wegen Unterschlagung und die jeweilige Entlassung dieser Organisationsmitglieder.
Aber nicht nur die differenzielle Wirkung von Statusveränderungen bewirkt eine Aufweichung der limitierten sozialen Transparenz in Fällen, in denen versucht wird, „statushohe Sünder“ zu marginalisieren, sondern kumulativ dazu kommt der differenzielle Erfolg solcher Versuche. So sind Marginalisierungen bei gleichem phänomenalen Verhalten desto weniger erfolgreich, je höher der Status des Handelnden ist; denn nicht zuletzt die eigene oder „erkaufte“ Fähigkeit,[245] soziale Spiele um Status durchzuführen, hatte zur Folge, dass die gegenwärtigen Statuspositionen in den verschiedenen sozialen Systemen, denen der Handelnde angehört, erhalten bzw. erwirkt werden konnten.[246] Da aber ein Misserfolg – und sei es auch nur ein „nicht-voller“ Erfolg – der Verfolgungsorgane bei dem Versuch der Marginalisierung „statushoher Sünder“ einen Erfolg aus der Sicht dieser „Sünder“ bedeutet, ist auch insoweit die sonst bei Misserfolgen streng limitierte soziale Transparenz durchlässiger.
Ein Beispiel für diese Zusammenhänge bietet die jüngste Geschichte des Verkehrsrechts. Dort konnten wir nach einer Phase, in der versucht wurde, Quantität und Qualität der zu verleihenden Marginalpositionen zu steigern (d. h. nach einer Phase, in der versucht wurde, strengere Strafen anzudrohen und zu vollstrecken), eine weitere Phase beobachten, in der Qualität zugunsten von Quantität aufgegeben wurde. Zwischen diesen beiden Phasen aber lag die öffentliche und private Kritik durch „statushohe Sünder“, die dadurch, dass sie zugaben, die Verkehrsnormen verletzt zu haben oder sogar wegen eines Verkehrsdelikts verurteilt worden zu sein,[247] und gleichzeitig dadurch, dass sie zeigen konnten, wie wenig ein solches Handeln bzw. eine solche Verurteilung ihrem sozialen Status geschadet hat, die zweite Phase sei es einleiteten, sei es ihren Beginn anzeigten.
Aufgrund dieser Überlegungen können wir deshalb feststellen, dass, wenn „verhältnismäßig statushohe Sünder aus der Dunkelziffer-Gruppe in die Gruppe der Sanktionierten abwandern“,[248] die den Eindruck der Rarität von Marginalpositionen bewahrende limitierte soziale Transparenz durchlöchert wird und damit die als marginale konzipierten Positionen diesen Charakter verlieren. Dies ist jedoch nicht das einzige Ergebnis für ein Modell vom Wirken und der Wirklichkeit sozialer Normen, welches aus der Beobachtung gezogen werden kann, dass ein institutionelles System auf Schwierigkeiten bei dem Versuch stößt, statushohe Sünder zu marginalisieren. Bisher haben wir nur den Teil unseres erweiterten Modells konzeptualisiert, der vom traditionellen Modell abweicht. Übrig bleibt die Erklärung des Teils, der mit dem traditionellen Modell übereinstimmt.
Dort haben wir implizit die Annahme gemacht, dass bei geringer Häufigkeit von Sanktionierung verhältnismäßig statushohe Sünder sich in der Dunkelziffer-Gruppe befinden.
Auch dies lässt sich recht einfach konzeptualisieren,[249] wenn wir die Marginalisierung vom Standpunkt des Agenten des Strafrechtssystems betrachten. Dann können wir davon ausgehen, dass dieser mehr Möglichkeiten hat, Normverletzungen zu verfolgen, als er tatsächlich in der Lage ist. Da er weiterhin weiß, dass statushohe Systemmitglieder sich oft durch ihre besondere Fähigkeit auszeichnen, soziale Spiele um Status zu ihrem Erfolg (und damit nicht selten zum Misserfolg des Gegners) zu wenden, wird er immer eher dazu geneigt sein, Verhalten von statusschwachen Systemmitgliedern „aufzuklären“ und damit seine persönlichen Erfolgsaussichten in den gegebenen Kapazitätsschranken zu vergrößern. Tut er es nicht, so wird sich das wegen der häufigen „Misserfolge“ schon bald auf seine Berufsaussichten auswirken.[250]
Zusammenfassend können wir deshalb die kurvilineare Beziehung zwischen Häufigkeit von Sanktionierung und Effektivität von Normen (jeweils auf der institutionellen Ebene) damit erklären, dass das gesamtgesellschaftliche System jeweils nur im Zusammenwirken mit seinen Subsystemen das Wirken und die Wirklichkeit von Normen erreichen kann. Soweit durch Marginalisierung Verhaltensgrenzen abgesteckt werden sollen, so kann dies wirksam nur geschehen, wenn die Marginalisierten statusniedrige bzw. in ihren Subsystemen schon marginalisierte Personen sind. Werden, sei es durch die Art der Normen, sei es durch die Intensität der „Aufklärung“ von Normverletzungen, statushohe „Sünder“ marginalisiert, so leiden mit dem Maße, in dem ihr Anteil unter den Marginalisierten steigt, das Wirken und die Wirklichkeit der betroffenen Normen. Die Gründe dafür liegen, wie wir gezeigt haben, in der Durchlöcherung der normalerweise limitierten sozialen Transparenz und damit in der Schwächung des Eindrucks der Rarität von Marginalpositionen.
Es lässt sich deshalb feststellen, dass institutionelle Normen den höchsten Grad von Wirksamkeit und Wirklichkeit erreichen, soweit sie die Parallele zu Normen in Subsystem darstellen und durch Marginalisierung im gesamt-gesellschaftlichen System parallele Maßnahmen der Statusdegradation für nicht-konformes Verhalten in Subsystem sozusagen extrapoliert werden.[251]
Im Gegensatz dazu sind das Wirken und die Wirklichkeit gesamtgesellschaftlicher Normen dann am geringsten, wenn versucht wird, durch institutionelle Marginalisierung ein Verhalten zu regeln, das in sozialen Subsystemen nicht zur Statusdegradation führt bzw. führen kann, also wenn versucht wird, Marginalisierung sozusagen in soziale Subsysteme hineinzuinterpolieren. Schematisch lässt sich dieser Zusammenhang an dem folgenden „sozialen Kräfteparallelogramm“ darstellen.
In dieser Darstellung ist das Wirken und die Wirklichkeit einer Norm (c) das Resultat von „sozialen Kräften“ (die wir in dieser Arbeit als die positive oder negative Marginalisierung eines Handelnden verstanden haben) im gesamtgesellschaftlichen System (b) und in seinen Subsystemen (a).
Aus dem bisher Dargelegtem lassen sich die Alternativen einer Rechtspolitik (- eines gewillkürten Normwandels)[252] auf dem Gebiet des Straßenverkehrs idealtypisch entwickeln: Wollen wir das Wirken und die Wirklichkeit von Normen des Straßenverkehrsrechts erhöhen, so müssen wir zu erreichen versuchen, dass die Rarität der für Fehlverhalten verliehenen Marginalpositionen wiederhergestellt wird.
Wie oben bei der Analyse der Marginalität gezeigt, könnte dies auf zweierlei Weise geschehen. Einmal könnte man daran denken, die tatsächliche Quantität der Sanktionen zu beschränken, zum anderen könnte man erwägen, die Perzeption der Rarität von Sanktionierungen für Verkehrsfehlverhalten zu variieren. Beide Möglichkeiten führen theoretisch dazu, dass man das Maximum in der kurvilinearen Beziehung zwischen Häufigkeit von Sanktionierung und Effektivität von Normen in dem erweiterten Modell des Wirkens und der Wirklichkeit von Normen erreicht. Würden wir jedoch beide Möglichkeiten als gleichwertig betrachten, so würden wir die im vorangegangenen Abschnitt erfolgte Konzeptualisierung der Häufigkeit von Marginalisierung außer Acht lassen. Dort haben wir nämlich entwickelt, dass die Perzeption der Häufigkeit von institutioneller Marginalisierung eine Funktion der Häufigkeit von Marginalisierung in gesamtgesellschaftlichen Subsystemen ist.
Legen wir deshalb unser „soziales Kräfteparallelogramm“ den Überlegungen zu einer Verkehrspolitik zugrunde, und berücksichtigen wir, dass in der Verkehrswirklichkeit – wie sie im 3. Kapitel dieser Arbeit sich darstellte – eine Marginalisierung in gesamtgesellschaftlichen Subsystem für Fehlverhalten im Verkehr praktisch kaum stattfindet, so ergibt sich als Stoßrichtung der Verkehrspolitik die Übertragung von Aufgaben sozialer Kontrolle auf die sozialen Gemeinschaften.[253] Im gewissen Sinne handelt es sich dabei auch um die Rückübertragung staatlicher Aufgaben auf die sozialen Gemeinschaften.[254]
Zwar hat im Automobilverkehr noch nie eine soziale Kontrolle von Bedeutung bestanden, wie wir sie in anderen Lebensbereichen gewohnt sind oder waren, aber trotzdem kann man auch hier, vielleicht aber auch gerade hier, von einer Rückübertragung staatlicher Aufgaben sprechen, da sich bei der Verkehrsregelung in besonderem Maße eine Tendenz des modernen Staats äußert, möglichst viele Aufgaben an sich zu ziehen, ohne zu berücksichtigen, dass dabei die Kontrollmechanismen in gesamtgesellschaftlichen Subsystemen geschwächt oder verdrängt werden. Die Verkehrsregelung kann damit als Paradigma für die wachsende Zahl staatlicher Regelungen verstanden werden, durch die die soziale Landschaft von der Gemeinschaft zur Gesellschaft[255] und schließlich hin zur Massen-Gesellschaft[256] verkarstet, als Paradigma dafür, dass im sozialen Bereich ein „Mehr“ nicht unbedingt ein „Besser“ bedeutet, dass wir im sozialen Bereich zwischen Handlungsrationalität und Systemrationalität unterscheiden müssen.[257]
Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir sowohl die situative Lage des Menschen im Automobilverkehr wie auch die grundsätzlichen Möglichkeiten institutioneller Regelungen von Verhalten als für die Zwecke unserer Arbeit hinreichend geklärt ansehen können. Bevor wir unsere Analysen im Aufbau eines rechtspolitischen Konzepts zur Verkehrsregelung benutzen, wollen wir unsere Ergebnisse hier noch einmal kurz rekapitulieren.
Wie wir gezeigt haben, konnten wir uns bei beiden Analysen nicht mit einer Zusammenfassung der Literatur begnügen, da die bisherigen Konzeptualisierungen in ihren Konsequenzen widersinnig erschienen. So entpuppte sich die populäre These vom Verkehrsverhalten als aggressives Verhalten in ihrer Konsequenz als unhaltbar, da sie auf die Erklärung hinausläuft, dass der autofahrende Mensch sich während eines Achtels der wach verbrachten Zeit (also in der Zeit, in der er sich am Lenkrad befindet) persönlichkeitsfremd verhält. Dieser These vom Autofahrer als „Buschmann im Smoking“ setzten wir eine Konzeptualisierung des Verkehrsverhaltens als System von Person-Objekt Interaktionen entgegen, mit der, von der Position des symbolischen Interaktionismus, das persönlichkeitsfremd anmutende Verkehrsverhalten als Verhalten gegenüber und mit einem Quasi-Objekt erklärt wurde.
Für die soziale Kontrolle im Automobilverkehr ergab sich aus dieser Konzeptualisierung des Verkehrsverhaltens, dass die Last der Verhaltenskontrolle dem formellen Kontrollsystem, d. h. der Verkehrsrechtspflege, zu obliegen scheint. Ein weiteres Ergebnis schien zu sein, dass, wenn schon eine Qualitätssteigerung an der Kapazität des formellen Normenvollstreckungssystems scheitert, zumindest eine quantitative Steigerung der Strafen für Fehlverhalten im Automobilverkehr zu erreichen gesucht werden sollte; denn die bisherige Sanktionspraxis hat, wie unsere Analyse zeigte, in der Verkehrsrealität bisher nicht zur Unterscheidung von Unfallrisiko und Strafrisiko geführt und institutionelle Strafen scheinen keinen durchgreifenden Einfluss auf das Verkehrsverhalten zu zeigen.
Aber auch diese, auf die populäre These von der direkten Beziehung zwischen Verhalten und Strafe gründende Schlussfolgerung stellte sich in ihren Konsequenzen als unhaltbar heraus, da sie letztlich auf eine Problemlösung im Sinne eines „Big-Brother“ Staates[258] hinausläuft. Das war für uns der Anlass, das Wirken und die Wirklichkeit insbesondere von institutionellen Normen zu untersuchen. Dabei stießen wir darauf, dass Kriminalität als Status verstanden werden kann, und zwar als Marginalstatus. Aus der Ubiquität, Rarität und Relativität von Marginalpositionen in sozialen Systemen kamen wir dann dazu, dass eine kurvilineare Beziehung zwischen Häufigkeit und Effektivität institutioneller Sanktionierungen besteht, institutionelle Sanktionen also nicht unbeschränkt erfolgen können, ohne dass ihr Wirken und ihre Wirklichkeit abnimmt. Die Konzeptualisierung dieser Zusammenhänge auf dem Hintergrund der vor allem von POPITZ[259] herausgestellten Beobachtung der „Präventivwirkung des Nichtwissens“ brachte uns dazu, ein System sozialer Systeme mit jeweils eigenen Marginalpositionen zu unterscheiden. Grundsätzlich ergab sich daraus für das Wirken und die Wirklichkeit institutioneller Normen, dass die letztlich auf die Rarität der verliehenen Marginalpositionen zurückzuführende Verhaltensgeltung institutioneller Normen nur dann gewährleistet ist, wenn die Hauptlast der Verhaltenssanktionierung bei gesamtgesellschaftlichen Subsystemen liegt und das institutionelle Sanktionierungssystem nur in den Fällen eingreift, in denen eine „Vor“-Marginalisierung durch Subsysteme erfolgt ist, sich aber als nicht ausreichend erwiesen hat. Im Ergebnis heißt das für eine Verkehrsrechtspolitik, dass zur Steigerung der Verhaltensgeltung von Verkehrsvorschriften eine Rückübertragung staatlicher Aufgaben auf die sozialen Gemeinschaften versucht werden sollte.
Dies scheint aber im Widerspruch mit unserer Konzeptualisierung des Verkehrsverhaltens zu stehen; denn dort sah es so aus, als ob aus dem Charakter des Verkehrsverhaltens als Person-Objekt Interaktion nur ein formelles Kontrollsystem möglich sei. Wie in diesem Kapitel gezeigt werden soll, lässt sich diese Kontradiktion jedoch als scheinbare auflösen, wenn man zwischen phänomenaler („tatsächlicher“) und perzipierter (- konstruierter) sozialer Wirklichkeit unterscheidet.
Wir beginnen unsere Erörterung rechtspolitischer Möglichkeiten der Verkehrsregelung mit einer Diskussion der Grundfrage rechtspolitischer Entscheidungen: der Rationalität von Entscheidungen. Mit der Unterscheidung zwischen Handlungsrationalität und Systemrationalität werden wir dabei herausarbeiten, dass eine institutionelle Verkehrsregelung sich die Dynamiken einer Person-Objekt Interaktion zunutze machen sollte, statt gegen sie anzukämpfen. Aus diesen Überlegungen entwickeln wir dann den Vorschlag, dass die Verkehrsrechtspolitik sich verstärkt der Schaffung von Leitsystemen zuwenden sollte, bei denen die formellen Normen des Verkehrsrechts nach Möglichkeit durch die Institutionalisierung eines quasiinformellen Sanktionssystems abgesichert werden.
Dieser Vorschlag führt uns dann im abschließenden Kapitel dieser Arbeit zurück zu dem Grundproblem institutioneller Regelung von Verhalten, dem Paradoxon der Freiheit, und den Möglichkeiten seiner Auflösung durch Transzendenz des „gesunden Menschenverstandes“, d. h. durch die Konstruktion von Konstruktionen der sozialen Wirklichkeit.
5.1 Rationalität rechtspolitischer Entscheidungen: Handlungsrationalität und Systemrationalität
Wie schon zweimal in dieser Arbeit, nämlich bei der These vom Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen und bei unserer These vom Phänomen der Marginalität, müssen wir auch hier, bevor wir unsere Vorschläge über die rechtspolitische Stoßrichtung bei der Verkehrsregelung ausbreiten, mit der Infragestellung eines nach dem „gesunden Menschenverstand“ scheinbar selbstverständlichen Begriffs beginnen: Wir müssen uns fragen, was „Rationalität rechtspolitischer Entscheidungen“ eigentlich bedeutet.
Sicher können wir davon ausgehen, dass Rationalität nichts mit dem „Finden“ von Werten und deren Verhältnis zueinander zu tun hat, sondern mit der Hierarchisierung von Wertordnungen und den daraus folgenden Handlungsalternativen. Schwierig wird die Frage aber schon, wenn wir zu ermitteln suchen, welche Wertordnungen welcher Systeme in die Betrachtung einfließen sollen oder dürfen.
Die Problematik der Rationalität rechtspolitischer Entscheidungen tritt uns in besonders komplexer Form bei dem Versuch der Verhaltensregelung durch Strafrechtsnormen entgegen. Dort hat nach Abklingen der Vergeltungsidee in der Strafrechtslehre und nach dem „Funktionswandel der vergeltenden Strafe von der Bestimmung des Mindestmaßes, ‚dass jeglicher das empfange, was seine Taten wert sind‘, zu der des allenfalls zulässigen Höchstmaßes“[260] die Strafrechtslehre damit „begonnen, dem Strafrecht gesellschaftliche Aufgaben zuzuweisen und seine Legitimation neu zu formulieren. Es geht nicht mehr um die Durchsetzung von Gerechtigkeit oder Sittlichkeit oder Schuldvergeltung, sondern konkret um Ermöglichung sozialen Zusammenlebens, um Eindämmung von Verbrechen, um Abwehr von Friedensstörung. „[261]
Dieses Neuverständnis der Aufgaben und Ziele des Strafrechts hat Folgen, die bisher nur unzureichend erkannt bzw. diskutiert worden sind. In der strafrechtlichen Literatur werden diese Folgen zwar unter dem Stichwort „systemimmanente und systemtranszendente Konzepte“ erörtert,[262] jedoch bleibt dabei weitgehend im Dunkel, dass mit der Neuorientierung auch verschiedene Argumentationsebenen unterschieden werden müssen; denn ist es eine Aufgabe des Strafrechtssystems, soziales Zusammenleben zu ermöglichen, so kann man sich nicht mehr darauf beschränken, die einzelne Maßnahme auf der Grundlage des Strafrechts nur auf ihre Systemkonkordanz innerhalb des Strafrechtssystems zu überprüfen, sondern das Strafrechtssystem mit seinen Maßnahmen muss darüber hinaus auch ständig auf seine Systemkonkordanz innerhalb des jeweils bestehenden gesellschaftlichen Systems sondiert werden.
Für die Rationalität rechtspolitischer Entscheidungen bedeutet dies, dass, wo früher bei der Annahme eines in sich geschlossenen Systems (des Strafrechtssystems) eine Unterscheidung zwischen Handlungsrationalität und Systemrationalität weitgehend überflüssig war, dieser Unterscheidung heute eine zentrale Bedeutung zukommt.[263] Es reicht dann nicht mehr, die Zweckrichtung einer Maßnahme a) abstrakt zu befürworten und ihre Konsistenz mit der Maßnahme b) innerhalb des Subsystems festzustellen, sondern darüber hinaus muss auch ihre Konkordanz in Bezug auf Zweckrichtung, Realisierbarkeit und Realisierungsfolgen innerhalb des Gesamtsystems überprüft und bejaht werden. Dabei kann das Ergebnis sein, dass einem Tun die Alternative des Nichts-Tuns (in Bezug auf rechtliche Zwangs-mittel) oder des Weniger-Tuns vorzuziehen ist, wie unliebsam dies auch erscheinen mag.[264]
Untersuchen wir mit diesem Verständnis von Rationalität die Alternativen einer Verkehrsrechtspolitik, so können wir für das geltende Verkehrsrecht, soweit wir von dem dogmatischen Streit um die Einordnung des Ordnungswidrigkeitenrechts absehen, seine Konsistenz mit sonstigen Maßnahmen zur Verhaltensregelung feststellen. Geschützt werden sollen mit dem Verkehrsrecht Leib, Leben und Eigentum der Verkehrsteilnehmer sowie der Verkehrsfluss,[265] also Rechtsgüter, deren Schutz durchaus handlungsrational ist. Dies geschieht auch mit den klassischen Mitteln der institutionellen Regelung von Verhalten, nämlich durch Vorschriften für das Verhalten gegenüber anderen und durch die Androhung von institutionellen Sanktionsmaßnahmen bei Fehlverhalten. Stellen wir deshalb auf die Zweckrichtung des Straßenverkehrsrechts ab und beurteilen wir den Versuch der Verwirklichung dieser Zweckrichtung an der Konsistenz mit anderen institutionellen Regelungen, so können wir sicherlich die Handlungsrationalität des Straßenverkehrsrechts bejahen und weiterhin auch seine Systemrationalität, soweit wir uns auf das institutionelle Verhaltensregelungssystem beschränken.
Keine Systemrationalität der gegenwärtigen institutionellen Verkehrsregelung liegt aber vor, wenn wir, auf der Grundlage unserer Analyse des Verkehrsverhaltens und seiner Sanktionierung, die Realisierbarkeit und die Realisierungsfolgen der gegenwärtigen institutionellen Verkehrsregelung von einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive betrachten. Dies lässt sich klarstellen, wenn wir die Verkehrsregelung und die Sanktionierung für Verkehrsregelverstöße unterscheiden.
Wenden wir uns zunächst der Verkehrsregelung zu, so können wir konstatieren, dass durch die gegenwärtigen Normierungen ein personales Verhalten erreicht werden soll. Menschliches Versagen im Umgang mit seinem „Nächsten“ und moralische Qualitäten wie Rücksicht, Anstand, Verantwortung für andere usw. bilden den Bedeutungshintergrund, vor dem das geltende Verkehrsrecht steht.[266] Eine solche Deutung steht auch im Einklang mit dem Alltagsverständnis des Verkehrsverhaltens, allerdings, wie wir gezeigt haben, nur so lange das Verhalten nicht aus der Perspektive des Handelnden, des Autofahrers, gesehen wird.
Wählt man die Perspektive des Normadressaten in der aktuellen Entscheidungssituation, so stellt sich das im Alltagsverständnis als Person-Person Interaktion begriffene Verhalten als das weitgehend anderen sozialen Dynamiken unterliegende Verhalten in Person-Objekt Interaktionen dar. In einer Situation also, in der bei systemrationaler Betrachtungsweise das Sollengebot lauten müsste: „Du sollst keine andere (Quasi-) Sache verletzen, gefährden oder behindern, denn dies würde auf eine Eigenverletzung, Eigengefährdung oder Eigenbehinderung hinauslaufen“, stellte der Gesetzgeber das Sollengebot auf: „Du sollst im Automobilverkehr keine andere Person verletzen, gefährden oder behindern. “
Das Sollengebot des Gesetzgebers und seine Ausgestaltung in den Verkehrsgesetzen läuft dann auf eine, wenn auch ungewollte, Personalisierung hinaus, die sich nicht sozialer Dynamiken bedient, sondern, einem unrealistischen (- nicht der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit entsprechenden) Postulat folgend, die bestehenden sozialen Dynamiken durch den hartnäckigen Versuch der Umdefinition in Verwirrung bringt. Es ist nicht systemrational.
Zu dem gleichen Ergebnis kommen wir, wenn wir auf die institutionelle Sanktionierung von Verkehrsregelverstößen abstellen. Dies folgt zwar nicht schon aus der Überlegung, dass die bestehende Verkehrsregelung nicht systemrational ist; denn theoretisch könnte man sich auch bei dem vorgeschlagenen neuen Verständnis des Verkehrsverhaltens als System von Person-Objekt Interaktion ein Sanktionierungssystem vorstellen, das sich ebenso wie das bestehende Sanktionierungssystem auf rein-institutionelle Sanktionierung beschränkt. Jedoch folgt die fehlende Systemrationalität eines Sanktionierungssystems wie dem bestehenden aus unseren Überlegungen zu den Grenzen institutioneller Sanktionen und dort insbesondere aus dem Phänomen der Rarität von Marginalpositionen und aus der die Rarität bewahrenden sozialen Transparenz.
Nicht systemrational an einem Sanktionierungssystem, wie es auf dem Gebiet des Verkehrsrechts besteht, ist dann der Versuch, unter Ausschluss von Marginalisierungen durch gesamtgesellschaftliche Subsysteme eine Verhaltenskontrolle lediglich durch institutionelle Marginalisierung zu erreichen; denn wie wir in dem Modell vom Wirken und der Wirklichkeit von Normen gezeigt haben, ist ein solcher Versuch nur dazu geeignet, das Stigma der Strafe, oder in der von uns vorgeschlagenen Terminologie: den Charakter der Marginalisierung, zu verringern.[267]
Mit der Feststellung, dass weder die bestehende Verkehrsregelung noch das bestehende Sanktionierungssystem für Verkehrsregelverstöße rationale Lösungen für das Problem Straßenverkehr sind, wenn man auf ihre Realisierbarkeit und ihre Realisierungsfolgen im gesamtgesellschaftlichen System abstellt, haben wir bisher nur negativ an der bestehenden Verkehrspolitik entwickelt. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels wenden wir uns jetzt der positiven Bestimmung zu.
Soweit es um eine systemrationale Verkehrsregelung geht, werden wir diese im Folgenden in der Hinwendung zu einer Versächlichung und Vereinfachung der Verkehrsregelung sehen. Und eine systemrationale Verkehrsverstoßsanktionierung werden wir in der subjektiven „Vergefährlichung“ von Verkehrsverstößen durch die Institutionalisierung eines quasi-informellen Sanktionierungssystems zur Absicherung der formellen Normen erblicken.
Wenn wir in diesem Abschnitt als systemrationale Auflösung des Kontrolldilemmas im Straßenverkehr die „Versächlichung“ und Vereinfachung der Verkehrsregelung durch Ausweitung bestehender und durch Schaffung neuer Leitsysteme[268] zur Diskussion stellen, so geschieht das in Hinblick auf ein Verständnis des Straßenverkehrs als eines dialektischen Prozesses: „Zu seiner Verbesserung und Flüssigmachung bedarf es leicht einer Kontrolle, die zusätzlich eingeschaltet auch hemmend wirken kann. „[269]
Aufgrund unserer Analyse des Verkehrsverhaltens und des Wirkens und der Wirklichkeit institutioneller Normen konnten wir herausstellen, dass die einseitige Lastenverteilung für das Verkehrsgeschehen durch die Betonung des „menschlichen Versagens“ im Straßenverkehrsrecht deshalb nicht systemrational ist, weil sie, sei es bewusst, sei es unbewusst, vom Paradigma des personalen Verhaltens ausgeht und die Ist-Welt der sozialen Wirklichkeit, die Person-Objekt Interaktion im Straßenverkehr, aufgrund eines fast mystischen Verständnisses der Soll-Welt des Straßenverkehrs, der Person-Person Interinteraktion, auf das Prokrustesbett der Straßenverkehrsrechtspflege zu spannen sucht.[270] Dass eine solche Kontrolle, die soziale Dynamiken zu schaffen sucht, anstatt vorhandene anzuerkennen und zu benutzen, in gröbster Weise gegen die demokratische Freiheitsmaxime verstößt, sollte eigentlich offensichtlich sein, wenn man das Verkehrsverhalten als Person-Objekt Interaktion begreift. Ebenso aber auch die Lösung des Kontrolldilemmas: Eine systemrationale Verkehrsregelung kann nur darin liegen, dass man unter Anerkennung des Verkehrsverhaltens als Person-Objekt Interaktion diese Art von Interaktion zu steuern sucht, dass man Leitsysteme für sie schafft, die internalisierbar sind und im Endeffekt zu einer zwangsfreien Anerkennung, d. h. zur Verhaltensgeltung, von Verkehrsnormen führen.
Auch in der bestehenden Verkehrsregelung finden sich schon eine Großzahl von Leitsystemen. Beispiele dafür sind etwa Verkehrsampeln, Straßenmarkierungen, die 130 km/st Richtgeschwindigkeit ebenso wie andere Geschwindigkeitsbegrenzungen und Geschwindigkeitsempfehlungen, Autobahnen aber auch die 0, 8 %o Grenze für Alkohol im Verkehr. Unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsverhaltens als Person-Person Interaktion und des menschlichen Versagens als Hauptfaktor für Verkehrsunfälle haben sie sich aber einer systematischen Ordnung verschlossen. Die bisher bestehenden Leitsysteme sind ad-hoc Maßnahmen ohne theoretischen Hintergrund und damit ohne die Möglichkeit einer theoretischen Hierarchisierung und Weiterentwicklung.
Verstehen wir das Verkehrsverhalten als Person-Objekt Interaktion, so öffnen sich die Leitsysteme im Straßenverkehr für ein Neuverständnis. Bestehende Leitsysteme können dann aufeinander abgestimmt werden und neue können systemkonform hinzugefügt werden. Die Zweckrichtung der Verkehrsregelung, der Schutz von Leib, Leben und Eigentum der Verkehrsteilnehmer vor Verletzung, Gefährdung oder Behinderung, wird aber bei dem Neuverständnis des Verkehrsverhaltens als „Umgang mit gefährlichen Quasi-Sachen“ nicht aufgegeben.
Die erste, aber durchgreifendste Folgerung, die man aus einem Neuverständnis des Verkehrsverhaltens als Person-Objekt Interaktion ziehen kann, ist die Forderung nach einfachen und undifferenzierten Leitsystemen. Dies ergibt sich einmal aus der Tatsache, dass die Sozialrelevanz von Verhaltensformen der Person-Objekt Interaktion erst mit der Technisierung des Alltags in Erscheinung getreten ist,[271] und eine Sozialisation in sozialadäquate Verhaltensformen, wie wir sie bei der Person-Person Interaktion kennen, dort bisher nicht erfolgt ist, vielleicht auch gar nicht erfolgen kann. Zum anderen ergibt sich das gerade für den Automobilverkehr auch aus der drängenden Entscheidungssituation; denn einerseits wechseln die Verkehrssituationen schnell und können „im Augenblick der Entscheidung nur begrenzt realitätsgerecht überschaut werden“,[272] andererseits helfen bei solchen Entscheidungen nicht Automatismen, wie sie im Sozialisationsprozess zur Person-Person Interaktion typischerweise erworben werden.
Als weitere Folgerung aus einem Neuverständnis des Verkehrsverhaltens als Person-Objekt Interaktion ergibt sich die Forderung nach „versächlichten“ Leitsystemen. Mit einer „Versächlichung“ von Leitsystemen ist dabei gemeint, dass, statt unter ständigem Rekurs auf personales Verhalten und moralische Qualitäten (Rücksicht, Anstand, Verantwortung, usw.)[273] die Verhaltensformen der Person-Person Interaktion anzustreben, man versuchen sollte, ein „anonymes, möglichst stereotypes und weitgehend versachlichtes Rollenverhalten“ durch Unterstützung der „Habitualisierung von technisch-funktionalen Handlungsabläufen“ zu erreichen,[274] um damit den Charakter an möglichen Interaktionsbeziehungen als Person-Objekt Interaktion gerecht zu werden.
Sehen wir in der Vereinfachung und Versächlichung der Verkehrsregelung durch Leitsysteme eine rationale Verkehrspolitik, dann haben wir nicht nur eine neue Diskussionsgrundlage bei der Bewertung bestehender Leitsysteme, sondern auch bei der Würdigung etwa der neu vorgeschlagenen Leitsysteme: generelle Geschwindigkeitsbeschränkung und Entmischung des Verkehrs durch steuerliche Maßnahmen. Heide Vorschläge stützen sich auf das wohl mächtigste Leitsystem im Straßenverkehr, nämlich den Verkehrsfluss. Sie regeln das Verkehrsverhalten durch „Selbstregelung“ und machen damit institutionelle Maßnahmen weitgehend überflüssig. Am wichtigsten ist jedoch der Effekt der Versächlichung, der durch eine solche Regelung bewirkt würde.
Beide Vorschläge können deshalb aufgrund einer Sicht des Verkehrsverhaltens als Person-Objekt Interaktion und aufgrund der Überlegungen zu den Grenzen institutioneller Sanktionen grundsätzlich nur befürwortet werden. Wo das generelle Tempolimit festgesetzt werden sollte und welche steuerlichen Maßnahmen eine hinreichende Entmischung des Straßenverkehrs zur Folge hat, ist damit aber noch nicht geklärt. Das ist eine Frage der politischen Durchsetzbarkeit[275] und der „Opfergrenze“, die man im Straßenverkehr zu setzen gewillt ist.
Bei der Erörterung von Leitsystemen müssen wir im Auge behalten, dass die Forderung danach nicht zum Selbstzweck wird und aus Leitsystemen Zwangssysteme werden. Dies folgt einmal aus der Freiheitsmaxime. Aber auch pragmatische Erwägungen sprechen dafür; denn wie wir bei der Diskussion zum Phänomen der Marginalität herausgearbeitet haben, lässt sich die Verhaltensgeltung von Normen nicht so sehr durch eine unbeschränkte Steigerung der Anzahl institutioneller Sanktionen erreichen, als dadurch, dass die Hauptaufgabe der Verhaltenskontrolle bei gesamtgesellschaftlichen Subsystemen liegt und institutionelle Sanktionen grundsätzlich nur dort angewandt werden, wo Subsysteme eine Verhaltenskonformität bei einer Minderheit ihrer Mitglieder nicht zu erreichen vermochten. Leitsysteme im Straßenverkehr sind deshalb nur dann und nur insoweit systemrational, als sie Mittel zur Internalisierung von Straßenverkehrsnormen sind, d. h. insoweit sie zu einer zwangfreien Normanerkennung führen und institutionelle Einzelmaßnahmen weitgehend überflüssig machen.[276]
Zwei sich gegenseitig ergänzende Wege bieten sich an, wenn man eine Internalisierung von verkehrsrichtigem Verhalten durch Leitsysteme erreichen will. Einmal müssen Leitsysteme so beschaffen sein, dass sie eine Habitualisierung von Verhalten fördern; zum anderen sollte ihre Verhaltensgeltung so stark sein, dass nur noch ausnahmsweise institutionelle Sanktionen für ein Fehlverhalten erfolgen müssen.
Zwei Charakteristika eines Leitsystems, das Habitualisierung fördert, haben wir schon erwähnt: Die Regelung muss einfach und möglichst wenig differenziert sein und weiterhin sollte sie das Verhalten gegenüber Sachen zum zentralen Gegenstand einer Regelung machen, d. h. sie sollte das Verkehrsverhalten „versächlichen“. Diese beiden Merkmale eines systemrationalen Leitsystems im Straßenverkehr bilden das Verhaltensgerüst für die Habitualisierung von technisch-funktionalen Handlungsabläufen. Ihre Parallele beim personalen Verhalten sind etwa die Anstandsregeln, der „Knigge“.
Wie aber bei der Person-Person Interaktion die Anstandsregeln die soziale Wirklichkeit „anständiges Verhalten“ nur zu schaffen vermögen, wenn sie durch ein Sanktionssystem unterstützt werden, bedarf es auch zur Internalisierung von Verkehrsregeln eines Sanktionierungssystems. Da aber ein Sanktionierungssystem der Art, wie wir es bei der Person-Person Interaktion kennen, weder besteht[277] noch bestehen kann,[278] wir aber andererseits auf eine Regelung des Verkehrsverhaltens nicht verzichten können, scheint es aus dem Dilemma: Zwangssystem statt Steuerungssystem und institutionelle Sanktionierung in dem Maße, wie sie heute gehandhabt wird, keinen Ausweg zu geben. Und doch ist dieses Dilemma nur wirklich, wenn wir das Verkehrsverhalten als Person- Person Interaktion auffassen.
Begreifen wir nämlich das Verkehrsverhalten als System von Person-Objekt Interaktionen, so steht uns in diesem System eine Variable zur Verfügung, die der sozialen Sanktionierung von Normabweichungen bei Person-Person Interaktionen entspricht. Wir können diese Variable als „Perzeption der (Eigen-) Gefährdung bei normabweichendem Verhalten“ oder als „Perzeption der ‚Unfall‘-Gefahr“ bezeichnen.[279] Wie ein Vergleich unserer Situation mit der in den Vereinigten Staaten zeigt, ist die Perzeption der Eigengefährdung einmal eine Funktion der Selbstregulierung des Straßenverkehrs durch Verkehrsdichte und Leitsysteme wie Geschwindigkeitsbeschränkung.[280] Beeinflussen können wir sie also einmal, indem durch Leitsysteme eine Vereinfachung und Versächlichung der Verkehrsregelung erwirkt wird. Aber wir können die Perzeption der Eigengefährdung auch dadurch beeinflussen, dass in konzertierter Aktion von Verkehrserziehung, Verkehrspropaganda, Verkehrsregelnormierung und institutioneller Verhaltenssanktionierung die Gefährlichkeit, und zwar die Eigengefährdung, bei Verkehrsregelverstößen in den Vordergrund gerückt wird.
„Sanktionsgeber“ bei einer solchen subjektiven „Vergefährlichung“ ist bei Verkehrsregelverstößen dann primär nicht mehr „der andere“ (also nach unserer Analyse das institutionelle Sanktionierungssystem) sondern der jeweilige Verkehrsteilnehmer: Er fühlt sich unwohl und unsicher bei einer Verkehrsregelüberschreitung. Nur sekundär und subsidiär, braucht das institutionelle Sanktionierungssystem einzugreifen.[281]
Wie unsere Analyse des Wirkens und der Wirklichkeit von Normen gezeigt hat, bedeutet eine solche Entlastung des institutionellen Sanktionierungssystems durch die Rückübertragung staatlicher Aufgaben auf die soziale Gemeinschaft eine Erhöhung der Wirkungskraft institutioneller Normen.
Zusammenfassend können wir also als Ergebnis unserer Analyse der Möglichkeiten und Grenzen institutioneller Regelung des Straßenverkehrs festhalten, dass eine phänomenologische Betrachtung des Verkehrsverhaltens und der institutionellen Verkehrsregelung eine Neuorientierung erforderlich macht. War bisher „menschliches Versagen“ der pivotale Punkt der Verkehrspolitik, so ergibt eine Infragestellung der damit implizierten Annahmen, dass die Theorie vom menschlichen Versagen das Pivot für die Misere der Verkehrspolitik ist. Was Not tut, ist eine systemrationale Verkehrspolitik, die unter Anerkenntnis des Verkehrsverhaltens als einer besonderen Interaktionsform, als System von Person-Objekt Interaktionen, sich auf die Regelungsmacht der sozialen Gemeinschaften zurückbesinnt und statt strafend zu regeln, steuernd einzugreifen sucht. Im Ergebnis heißt das, dass eine systemrationale Verkehrspolitik ihre primäre Aufgabe in der Einrichtung und Unterhaltung von Leitsystemen sieht und mit der Hilfe von Leitsystemen darauf hinwirkt, das Verkehrsverhalten zu vereinfachen, zu versächlichen und schließlich auch subjektiv zu gefährlichen. Mit dieser neuen Stoßrichtung lassen sich dann bestehende Leitsysteme systematisieren und neue können hinzugefügt werden, ohne dass damit im subjektiven Empfinden der persönliche Freiheitsraum der Verkehrsteilnehmer eingeschränkt wird.
„Freiheit“, so heißt es, „ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“. Übertragen auf die institutionelle Regelung von Verhalten könnte dieser Satz lauten: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andershandelnden“. Für das Strafrecht bedeutet dies, „dass Normen, die durch Gebote und Verbote Handlungsfreiheit einschränken – und diese Einschränkung sanktionieren – nur so legitimiert werden können, dass sie durch Einschränkung von Handlungsfreiheit Handlungsfreiheit ermöglichen“.[282]
Messen wir an dieser Freiheitsmaxime unsere Vorschläge zu einer Neuorientierung des Verkehrsrechts, so scheint es fast, als hätten wir die Freiheitsmaxime verletzt, wenn wir eine Vereinfachung, Versächlichung und Vergefährlichung der Verkehrsregelung durch Leitsysteme befürworten. Es sieht beinahe so aus, als ob wir entgegen der Wertentscheidung des Grundgesetzes[283] empfohlen hätten, den einzelnen vom Staat her zu funktionalisieren, indem wir auf die Rechtsgüter Verkehrssicherheit und Verkehrsfluss abgestellt haben.
Eine solche Beurteilung würde jedoch verkennen, dass Freiheit zunächst einmal die Chance ist, die möglichen Alternativen zu erkennen und zu formulieren, deren für und wider abzuwägen – und dann erst die Möglichkeit, eine dieser Alternativen zu wählen.[284] Wie wir zeigen konnten, ist diese Chance aber im Straßenverkehr grundsätzlich nicht gegeben. Vielmehr fällt dort in der Handlungssituation die phänomenale und die konzipierte Wirklichkeit der Handlungsobjekte auseinander; das phänomenale Handlungsobjekt, der Andere, wird nicht als Person, sondern als Quasi-Sache wahrgenommen, als Objekt, das Achtsamkeit nicht aber Achtung erfordert.
Besteht aber nicht die Chance, Handlungsalternativen gegenüber dem phänomenalen Handlungsobjekt und deren für und wider abzuwägen, oder alternativ: sind phänomenales und konzipiertes Handlungsobjekt nicht gleichwertig, so kann von einer Handlungsfreiheit nicht die Rede sein. Der Vorschlag, institutionelle Verkehrsregelung über Leitsysteme zu betreiben, bedeutet dann nicht eine Einschränkung der Handlungsfreiheit, sondern, wenn überhaupt, deren Wiederherstellung im Rahmen des sozial Möglichen.
Das Paradoxon der Freiheit tritt uns hier in einer neuen Form entgegen; denn hier scheint sich plötzlich eine Möglichkeit aufzutun, unter Beibehaltung der demokratischen Freiheitsmaxime „nach Herzenslust“ Verhalten zu reglementieren. Dass dem nicht so ist, dass Grenzen für institutionelle Regelungen von Verhalten nicht nur aufgrund unseres Verständnisses der Freiheit des Individuums bestehen, sondern auch aufgrund der Dynamiken in sozialen Systemen, konnten wir durch die Darstellung des Phänomens der Marginalität aufweisen. Dort kamen wir besonders unter Berücksichtigung der Rarität von Marginalpositionen zu dem Ergebnis, dass gesamtgesellschaftliche Regelungen von Verhalten nur dann ihre Wirksamkeit erhalten bzw. behalten, wenn die Hauptlast der Verhaltensüberwachung und Verhaltenssanktionierung gesamtgesellschaftlichen Subsystemen obliegt und das Gesamtsystem nur subsidiär-sanktionierend eingreift.[285] Für die institutionelle Regelung des Verkehrsverhaltens bedeutete dies die Notwendigkeit der Rückübertragung staatlicher Aufgaben auf die sozialen Gemeinschaften.
Mit diesem Ergebnis, dass institutionelle Regelung von Verhalten nicht unbeschränkt erfolgen kann, ist das Paradoxon der Freiheit jedoch nicht gelöst. Eher stellt es sich in verschärfter Form; denn zwar haben wir mit der Konzeptualisierung des Wirkens und der Wirklichkeit von Normen aufgezeigt, wo theoretisch der Punkt liegt, an dem die Effektivität von Normen am größten ist, zwar haben wir dargestellt, wie sich die Summe der Beschränkungen in einem sozialen System auf einem Minimum halten lässt, aber wir sind dabei auch auf zwei weitere Merkmale der Marginalität gestoßen, die Ubiquität und Relativität von Marginalpositionen, und haben diese in unserer Konzeptualisierung benutzt. In letzter Konsequenz zeichnet sich deshalb bei der vorgeschlagenen systemtheoretischen Problemsicht und Problemlösung ab, dass das Paradoxon der Freiheit unlösbar mit der strukturierten sozialen Ungleichheit[286] verbunden ist.
Wählen wir diese Betrachtungsweise, so bietet unsere Arbeit auch keine „Lösung“ zu dem Problem der institutionellen Regelung von Verhalten, sondern sie ist der Versuch auf dem Wege dorthin. Ein Versuch, den zu machen es sich zumindest deshalb lohnte, weil inzidenter gezeigt werden konnte, dass bei der Analyse von sozialen Zusammenhängen auch das „Offensichtliche“ fragwürdig ist.
ANMERKUNGEN
[1] Amtliche Begründung, 1970: Nr. 1
[2] Vgl. etwa Meyer/Jacobi, 1959 (I): 9 f. ; dieselben, 1961 (III): 35 ff.; Meyer, 1961: 17
[3] Meyer/Jacobi, 1961 (III): 35; vgl. a. Wimmer, 1960: 247; ders. , 1961: 35
[4] Vgl. dazu schon Marx, 1842 in seinen Artikeln über das Holzdiebstahlsgesetz. Dort wendet sich Marx gegen jene „Lehre, welche … dem Gesetzgeber predigt, bei einem Holzgesetz nur an Holz und an Wald zu denken und die einzelne materielle Aufgabe nicht politisch, d. h. nicht im Zusammenhang mit der ganzen Staatsvernunft und Staatssittlichkeit zu lösen. “ (Marx, 1842: 147) (Für eine eingehende Analyse der Marx‘ – schen Artikel üb r das Holzdiebstahlsgesetz, insbesondere in Hinblick auf die Labeling-Theorie, vgl. Blankenburg, 1974). Neuere Bestrebungen, die dem Marx‚schen Postulat Rechnung tragen, finden sich z. B. im Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuchs, besonders im Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl – AE-GLD (Arzt u. a., 1974) und im Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz – AE-BJG (Arzt u. a. , 1975). Beide Entwürfe berücksichtigen bei ihrer vorgeschlagenen Regelung des Sollens zunächst das Sein, nämlich bei der Regelung der Betriebsjustiz die „tatsächliche Existenz verschiedenartiger innerbetrieblicher Sanktionierungssysteme in einer großen Zahl von Unternehmen und Betrieben„ (Arzt u. a. , 1975: 15 ff.), bei der Regelung des Verfahrens bei Ladendiebstahl einerseits die Tatsache, dass Ladendiebstahl eine „Massenerscheinung„ (Arzt u. a., 1974: 8) ist, und andererseits, dass die gegenwärtig praktizierte Käuflichkeit der Einstellung von Verfahren in mancher Hinsicht rechtspolitisch problematisch ist (vgl. Arzt u. a., 1974: 9). Unter anderem mit dem u. E. irreführenden Schlagwort „Entkriminalisierung„ (Arzt u. a. , 1974: 10; dies. 1975: 17) tritt besonders der AE-GLD „für einen offenen und damit geordneten teilweisen Rückzug des Strafrechts vom Kampf gegen Ladendiebe ein„ (Arzt, 1976: 54); der AE-BJG andererseits ist vor allem bestrebt, die „Möglichkeiten einer Betriebsjustiz … aufzugreifen und ins Positive zu wenden„ (Arzt u. a., 1975: 17). Gegenstimmen dazu konnten nicht ausbleiben. Obwohl, wie auch die Diskussion um die Regelung des Straßenverkehrs zeigt, es zu erwarten war, dass die Gegenargumente sich vor allem auf den „gesunden Menschenverstand„ stützen würden, überrascht dabei dennoch manchmal die hausbackene Argumentationsebene und der stammtischartige Argumentationsinhalt (vgl. z. B. Schoreit, 1976: 49 ff.; anders dagegen Carstens, 1975: 268)
[5] Von dieser Problemstellung ist die andersartige Problemstellung bei Neopositivisten wie z. B. bei Opp zu unterscheiden. Dort wird untersucht, „unter welchen Bedingungen ein Gesetz in mehr oder minder hohem Grade befolgt wird„(Opp, 1973: 126). Im Gegensatz zu Opp ist Gegenstand dieser Arbeit nicht „eine Theorie über die Befolgung von Gesetzen„ (Opp, 1973: 193), sondern, soweit man eine entsprechende Terminologie wählt, primär eine „Theorie„ über die Möglichkeiten und Grenzen institutioneller Regelung von Verhalten. Zwar behandeln auch wir die „Befolgung von Gesetzen„ unten im Kapitel 33. 3, allerdings unter dem Gesichtspunkt der Individual-Entscheidung und nicht, wie Opp es in empiristischer Manier tut, unter Auflistung von „Variablen„ (vgl. Opp, 1973: 199 ff.). Ein Unterschied zu Opp liegt ferner vor allem in der gewählten Perspektive. Während Opp die Perspektive des „unbeteiligten Dritten„ (Tertius) gewählt hat, wird hier versucht, die Perspektive des Handelnden (Ego) zu untersuchen.
[6] Für diese Begriffe vgl. Lange, 1974: 3
[7] Eine Änderung dieses Zustandes zeichnet sich für den Bereich der Bagatellkriminalität in der durch den Alternativ-Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl – AE-GLD (Arzt u. a. , 1974) hervorgerufenen Diskussion ab. (Zum Diskussionsstand vgl. Arzt, 1976; zum Inhalt vgl. Anm. 4) Inzwischen bemühen sogar konservative Stimmen die „moderne Opferforschung„ (Schoreit, 1976), allerdings nicht ohne auf so liebgewordene Topoi wie „Kriminalstatistik„, Kriminalität als „echte Volksseuche„, kriminalitäts-„anfällige Personen und Personenkreise„ u. a. m. (vgl. Schoreit, 1976: passim) verzichten zu wollen. Auch der Alternativ-Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz – AE-BJG (Arzt u. a. , 1975) ist einen Schritt in die Richtung des Verständnisses eines Lebenssachverhalts von der sozialen Dynamik her gegangen, da man sich dort bemüht, die Entwicklung der Betriebsjustiz zu kanalisieren sowie materiell und prozessual zu institutionalisieren
[8] Amtliche Begründung, 1970: Nr. 13
[9] Dass auch in der Diskussion um das Straßenverkehrsrecht Emotionalität oft Rationalität verdrängt, soll damit nicht geleugnet werden. Beispiele dafür waren etwa die Diskussionen um eine „Promillegrenze„ und die Auseinandersetzungen um ein „Tempolimit„ („Freie Bürger fordern freie Fahrt„). Jedoch verglichen mit den öffentlichen Diskussionen etwa um die Frage der Regelung von „Homosexualität„, „Abtreibung„ oder „Ladendiebstahl„ wurde und wird die öffentliche Diskussion um eine institutionelle Verkehrsregelung eher „rational„ als „emotional„ geführt. In diesem Zusammenhang soll dabei unter einer „rationalen„ Diskussion eine Erörterung verstanden sein, bei der die Teilnehmer Argumente für eine bestimmte Werthierarchie mit Argumenten für ihre Verwirklichung vermischen, ohne auf die verschiedenen Argumentationsebenen einzugehen, bzw. sich ihrer bewußt zu sein. Als Beispiel für einen emotional bestimmten Diskussionsbeitrag im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl – AE-GLD – sei etwa ein Beitrag von Schoreit (1976) genannt.
[10] Das von uns im Ergebnis vorgeschlagene Modell steht nicht im Widerspruch etwa zu den Alternativ-Entwürfen eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl – AE-GLD (Arzt u. a., 1974) und eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz – AE-BJG (Arzt u. a., 1975), vielmehr ließen sich diese Entwürfe aus dem hier entwickelten Modell ableiten. Im Gegensatz zu diesen Entwürfen wird in dieser Arbeit versucht, Zusammenhänge aufzuweisen, aus denen sich rechtspolitische Handlungsanweisungen nicht erst dann ergeben, wenn ein Lebensbereich bereits zum Problemfall geworden ist, wie es beim „Ladendiebstahl“ und bei der „Betriebsjustiz“ der Fall ist, sondern schon dann, wenn es darum geht, das Entstehen neuer Problembereiche zu vermeiden.
[11] vgl. z. B. Möllers-Oberück, 1975: 188; Jagusch, 1972: passim; Baumann, 1971: 173; Jagusch, 1971: 1; Gunzert, 1964: 114; Winkler, 1962: 39; Lehmann, 1962: 7; Luff, 1959: 94; Munsch, 1956: 268; Grossjohann, 1953: 141
[12] Berger/Luckmann, 1967; Schütz, 1932
[13] In der englischsprachigen Literatur entspricht dieser Begriff dem „common sense„. Vgl. dazu z. B. Garfinkel 1967a; Schütz, 1962a; ders. , 1962b; Garfinkel 1959
[14] Schütz, 1953: 59
[15] Vgl. Popitz, 1967: 3
[16] Vgl. z. B. Garfinkel‚s ethnomethodologischen Problemansatz: „Common sense knowledge of the facts of social life for the members of society is institutionalized knowledge of the real world. Not only does common sense knowledge portray a real society for members, but in the manner of a self-fulfilling prophecy the features of the real society are produced by persons‘ motivated compliance with these background expectancies. “ (Garfinkel, 1967: 53) Der damit hier vorgeschlagene Ansatz steht in scharfem Gegensatz zu einem Ansatz des „Zählens, Messens, Wiegens„ der empirischen Sozialwissenschaft, wie er etwa von Opp (1973) vertreten wird. Opp eulogisiert zwar seinen Ansatz als „empirisch-theoretisch„ (Opp, 1973: 15), zwar usurpiert und monopolisiert er für die von ihm betriebene Art der Soziologie das Epitheton: „analytisch„ (Opp, 1973: 65 ff.), von der hier vorgeschlagenen Perspektive aus jedoch sind beide Adjektive unzutreffend; denn ausgehend von einer Position, die den „sinnhaften Aufbau der sozialen Welt„ (Schütz, 1932) postuliert, wie wir es in dieser Arbeit vorschlagen, ist eine solche Art von Sozialwissenschaften „aus der Arena alltäglichen Handelns ausgestiegen .. . (und betrachtet) … mit ihren reifizierten Konstrukten … das … , was ‚da unten‘ vor sich geht„ (Weingarten/Sack, 1976: 20), ohne auf den „Zusammenhang zwischen theoretischem Räsonieren und praktischem soziologischen Forschen … (einzugehen, d. h. darauf) … , dass jede Untersuchung der Prozesse des Verstehens und Herstellens von Sinn selbst wieder ein zu analysierender Vorgang eines solchen Prozesses ist„ (Weingarten/Sack, 1976: 8). Die Gemeinsamkeiten unserer Arbeit mit der von Opp (1973) beschränken sich deshalb (fast) nur auf die Terminologie: auch hier geht es um eine Standortbestimmung der „Soziologie im Recht„, allerdings wird dabei unter „Soziologie„ etwas anderes verstanden als bei Opp.
[17] Vgl. dazu besonders die Untersuchungen richterlichen Handelns durch Lautmann, 1972, und D. Peters, 1973
[18] Die Rolle der Kriminologie wird in Deutschland und in Europa oft in ihrer Funktion als Clearing-Zentrale gesehen, in der Aufgabe, „zu strafrechtlich relevanten Beziehungen das Wissen der einzelnen Erfahrungswissenschaften zu sammeln, zu ordnen und zu koordinieren. “ (Kaiser, 1970: 16) Im Gegensatz dazu soll in dieser Arbeit Kriminologie als selbständige Wissenschaft vom Verbrechen und vom Verbrecher (im Sinne von beispielsweise Sellin (1938) oder neuerdings Turk (1969) oder Quinney (1970)) verstanden werden, die im Verband der Gesellschaftswissenschaften nicht nur eine Hilfswissenschaft des Strafrechts darstellt, sondern grundsätzlich unabhängig (von rechtswissenschaftlichen Definitionen von Verbrechen und Verbrecher) als analytische Wissenschaft gleichrangig und ergänzend neben der normativ ausgerichteten Rechtswissenschaft steht.
[19] Sack/König, 1968
[20] Vgl. dazu vor allem die Kontroverse im Kriminologischen Journal 1972 – Sack, 1972: 3 ff. vs. Opp, 1972: 32 ff. Für eine Übersicht zum Labeling-Ansatz siehe Rüther, 1975. Im Übrigen für die „interaktionistische„ Richtung vgl. Kriminologisches Journal: passim. Auch der Versuch der Ausweitung des Labeling Ansatzes durch Werkentin u. a. (1972) ist durch die Abwendung von Tat und Täter gekennzeichnet. Die-se Autoren wenden sich mit dem Vorwurf des mangelnden gesellschaftstheoretischen Bezuges der „neuen Kriminologie„ (Kriminalsoziologie) und mit ihrer Charakterisierung als Polizeiwissenschaft gegen die „bürgerliche Kriminologie„ (Werkentin u. a., 1972: 252). Verstanden werden unter diesem Sammelbegriff dort alle Ansätze der Kriminologie, sei es die der „greisen Patriarchen des Faches„ (Werkentin u. a. , 1972: 221), sei es die der „jungen Kriminologen„ (Werkentin u. a., 1972: 221), einbegriffen natürlich des von Sack propagierten Ansatzes und ausgenommen (natürlich) des eigenen Ansatzes.
[21] Die Betohnung des „bemerkensweten“ ist eine durchaus gängige und legitime Methode in der Soziologie. Ihre Bedeutung soll nicht bestritten werden. Stattdessen richten sich die Bedenken gegen die Ausrichtung einer ganzen Wissenschaft ausschließlich auf das „Bemerkenswerte“, da dann das Alltägliche an den untersuchten Vorgängen über-sehen wird, wie es der gesunde Menschenverstand „gebietet“. Ein Beispiel, wie vom „Bemerkenswerten“ die soziale Wirklichkeit der Alltagswelt in Frage gestellt werden kann, gibt Goffman: “ … assumptions about human nature, however, are not easy to uncover because they can be as deeply taken for granted by the student as by those he studies. And so an appeal is made to extraordinary situations wherein the student can stumble into awareness. For example, during periods of marked social change, when individuals acquire rights or lose them, attention is directed to properties of individuals which will soon become defined as simply human and taken for granted. “ [Goffman, 1969. 3 f. ]
[22] In diese Richtung gehen anscheinend auch die neueren Arbeiten von Sack: Lüderssen/Sack (1975a; 1975b) sowie Weingarten/Sack/Schenkein (1976). Dort wird die Notwendigkeit betont, „soziale Ordnung und gesellschaftliche Struktur als eine Funktion des tagtäglichen Routinehandelns der Mitglieder einer Gesellschaft zu betrachten, als gleichsam permanente Inszenierung interagierender Individuen„ (Sack in Lüderssen/ Sack, 1975b: 134 f.).
[23] Vgl. dazu Luhmann, 1967: 107
[24] Sack, 1969a: 2; ders. 1975: 35 – „Kriminalität … ist die unentrinnbare Kehrseite sozialer Existenz des Menschen. “
[25] Vgl. zu dieser Problemanalyse: Kaiser, 1970: 366 – „Vor allem fehlt die systematische Erforschung des sogenannten Verkehrsunauffälligen … Gerade der Fragenkreis dieser erwartungswidrigen Verläufe bei an sich Lebensbewährten ist weithin unaufgeklärt, ja wird als Forschungsaufgabe überwiegend gar nicht gesehen. “
[26] Popitz, 1967; vgl. aber auch Kaiser, 1970: 143 ff.; Brauneck, 1965
[27] Zu diesem Resultat kommt man aufgrund folgender überschlägiger Rechnung: Nimmt man als durchschnittliche jährliche Fahrleistung für PKW in der Bundesrepublik 18 000 km an (die Fahrleistung – PKW – 1966 betrug 16 770 km), unterstellt man ferner, dass ein PKW durchschnittlich an 300 Tagen im Jahr, also etwa an 6 Tagen in der Woche, benutzt wird, so ergibt sich eine durchschnittliche Tageskilometerfahrleistung von 60 km. Berücksichtigt man schließlich, dass im Stadt-verkehr die Durchschnittsgeschwindigkeit 15 km/h beträgt und schätzt deshalb die im Allgemeinen erreichte Durchschnittsgeschwindigkeit auf 30 km/h, so ergibt sich als durchschnittlich im Auto verbrachte Zeit zwei Stunden pro Fahrtag (nach unserer Annahme oben wird das Auto an fünf von sechs Tagen benutzt) oder etwa zwölf Stunden pro Woche. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Grymer (1971: 66 Anm. 64). Von ihm „wurde für Ballungsgebiete folgende, aufgrund einiger Fallstudien geschätzte Rechnung aufgemacht:
wöchentlich im Auto verbrachte Stunden fuer:
Fahrten vom und zum Arbeitsplatz 5
Einkauf, Besorgungen 3
Ausflug (am Wochenende) 4
Vergnügen, Besuche, Sonstiges 4
16
Dies entspricht ungefähr der durchschnittlich in 24 Stunden verbrachten wachen Zeit. “
[28] Für diese Berechnung wurde von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ausgegangen und angenommen, dass im Durchschnitt mindestens 10 %, also vier Stunden, durch Urlaub, Krankheit oder sonstige Verhinderung entfallen.
[29] Wichtig ist der empirische Befund bei Hartenstein/Liepelt (1961: 72 f. ), dass das private Kraftfahrzeug gegenüber anderen Verkehrsmitteln Zeit spart.
[30] Kob, 1966: 185
[31] Schmidt-Relenberg, 1968: 213; vgl. auch Kob, 1966: 190
[32] Kob, 1966: 185
[33] Vgl. dazu z. B. Deutsch/Collins, 1951; Homans, 1950; Newcomb, 1956; ders., 1961; Penny/Robertson, 1962; Thibaut/Kelley, 1958: 39-42
[34] Vgl. dazu Bossard, 1932; Davie/Reeves, 1939; Festinger/Schachter/ Back, 1950
[35] Smerk, 1965; Taafe u. a., 1963; Smith, 1961; Lansing, 1967
[36] „Für die Schlüsselindustrie Automobilbau einschließlich Zuliefererindustrie und Service ist jeder siebente bis achte aller Arbeitnehmer tätig. “ aus: Die Sorge: Ein gesättigter Markt. In: Wirtschaftswoche Nr. 50 vom 11. 12. 1970, S. 37, o. V.
[37] Bei genauerer Betrachtung sind vom Automobil nicht nur die Arbeitsplätze in der „Autoindustrie„ im engeren Sinne abhängig, sondern wegen des veränderten Freizeitverhaltens Arbeitsplätze im Gaststättengewerbe, wegen der veränderten Wohngewohnheiten Arbeitsplätze im Baugewerbe, ebenso wie etwa Arbeitsplätze im Justizsystem wegen der mit dem Auto entstandenen „Verkehrsdelinquenz„.
[38] „Waren schlechthin, nicht mehr Kleider, machen Leute, … wie man einst, allerdings ironisch, noch konstatierte. “ (Horn, 1969: 345) „‚Warenidentität‘ heißt, dass Waren … sich zum Symbol für die gesamte Identität aufschwingen und die Verhältnisse der Menschen zueinander auch unmittelbar psychologisch zu bestimmen beginnen. “ (Horn, 1969: 342, Anm. 99)
[39] Schmidt-Relenberg, 1968: 213
[40] Schmidt-Relenberg, 1968: 213; vgl. auch Claessens, 1966: 41; Reichardt, 1969: 188
[41] Claessens, 1966: 41
[42] Hartenstein/Liepelt, 1961: 103
[43] Dahl, 1971
[44] Vgl. auch Buchanan, 1964; dort wird gezeigt, dass durch den Bau einer Autobahn zur Bewältigung einer bestehenden ungünstigen Verkehrssituation ein so starker Sog erzeugt wird, dass die durch ihn geschaffene zusätzliche Verkehrsnachfrage neue Stauungsprobleme entstehen lässt. So gibt es denn inzwischen schon Städte, bei denen in der City die Verkehrsmöglichkeiten für den motorisierten Verkehr verschlechtert wer-den (Jacobs, 1963: 180 ff.).
[45] Michalski, 1966
[46] Traffic in Town, 1963
[47] Pell, 1966
[48] Eine solche Unterscheidung wird implizit auch von Opp (1973: 33 ff. und 75 ff.) getroffen. Im Gegensatz zu Opps Ansatz des „Zählens, Messens, Wiegens„ geht es uns jedoch in dieser Arbeit darum, festzustellen, wie die Mitglieder der Gesellschaft die Aufgabe lösen, die Welt, in der sie leben, zu sehen, zu beschreiben und zu erklären. Auch die von uns so bezeichnete „Entscheidungsgrundlage„ enthält somit wieder-um „Entscheidungsmaßstab„ und „Entscheidungsgrundlage„, sowohl der Untersuchten wie auch der Untersuchenden. Sehen wir die soziale Wirklichkeit als soziale Konstruktion ihrer Akteure und Soziologie als einen Versuch der Konstruktion der Konstruktion, so geht es uns bei der getroffenen Unterscheidung zwischen Entscheidungsmaßstab und Entscheidungsgrundlage um die Herausstellung des Umstandes, dass eine rechtspolitische Entscheidung einerseits zwar wiederum den Versuch der Konstruktion einer sozialen Welt darstellt und deshalb grundsätzlich frei in ihren Konstruktionsmethoden sein könnte, andererseits aber, soweit das Konsistenzpostulat, mit dem sich die Rechtspolitik zu umgeben pflegt, ernst genommen werden soll, sie bei ihrer Konstruktion die Konstruktionen der sozialen Akteure und damit die Konstruktionsmöglichkeiten berücksichtigen sollte.
[49] vgl. dazu Hassemer, 1973: bes. 151 ff. und 221 ff.; zur juristischen Entscheidungsfindung vgl. Schlinck, 1972.
[50] Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Gliederung eines Entscheidungsproblems in Entscheidungsmaßstab und Entscheidungsgrundlage und die Definition des Entscheidungsmaßstabs als wertende Ordnung der Problemgesichtspunkte soll nicht etwa bedeuten, dass postuliert wird, es gebe „Daten„, die ohne Wertungen zusammengestellt werden könnten; vielmehr wird davon ausgegangen, dass es möglich und für eine Entscheidungsfindung auch zweckmäßig ist, Wertungen von als feststehend betrachteten „Daten„ von dem „Finden„ dieser „Daten„ zu-mindest theoretisch zu trennen. Der damit angesprochene Gedanke entspricht der Forderung nach „Wertneutralität„ (vgl. Max Weber, 1917) und steht in scharfem Gegensatz zu dem etwa neuerdings vertretenen Postulat der Wertorientierung auch bei der „Datenfindung„ (Gouldner, 1970).
[51] In scheinbar eleganterer Form, nämlich in der Platitüde von der Entfremdung des Menschen von seinen selbst geschaffenen Werken, findet sich der Gesichtspunkt auch z. B. bei Schelskys Beschreibung des Straßenverkehrs: „Was hier vor sich geht in dem Gemetzel des Guerilla-Krieges, den wir euphemistisch Verkehr nennen, ist ein allgemeiner, weltweiter und in allen industriellen Gesellschaften erkennbarer Tatbestand, nämlich dass der Mensch den Auswirkungen seiner eigenen technischen Erfindungen und ihres Fortschrittes in seinem sozialen Verhalten nicht gewachsen ist. “ (Schelsky, 1970: 455)
[52] Im Gegensatz zu dem hier geprägten Begriff der Person-Person Interaktion als Interaktionstyp wird der Begriff Person-Objekt Interaktion in der Folge dann gebraucht, wenn aus der Perspektive des jeweils Handelnden der Andere als Objekt oder Quasi-Objekt erscheint, der Handelnde selbst sich als Person versteht und die Perzeption des An-deren vom Handelnden sich spiegelbildlich dazu verhält. Die an sich begrifflich bei der gewählten Dichotomie möglichen weiteren vierzehn Kombinationen sollen in der Folge unberücksichtigt bleiben.
[53] Vgl. Kaiser, 1970: 28 f. und die ausführlichen Nachweise dort.
[54] Vgl. Krech u. a., 1969: 488 f.
[55] Vgl. dazu: Plack, 1973: passim
[56] Die Bedeutung der Situation als perzeptionalle Bühne für Interaktionen wird auch von den traditionellen Kommunikationswissenschaften noch nicht hinreichend gewürdigt. So wird von dem in Deutschland weitgehend als Standardwerk über Kommunikation angesehenen Buch von Watzlawick u. a. (1971) primär verbales, personales Verhalten behandelt. Die Forderung nach einer Situationsanalyse, allerdings nicht einmal der Ansatz der Durchführung dazu, findet sich z. B. bei Milgram in der Besprechung der Ergebnisse seiner Experimente (vgl. dazu auch unten Kapitel 32. 1) : “ … social psychology would like to have a compelling theory of situations that will first present a language in terms of which situations can be defined, then proceed to a typology of situations, and then point to the manner in which definable properties of situations are transformed into psychological forces in the individual. “ (Milgram, 1965: 261)
[57] Kob, 1966: 189
[58] Vgl. z. B. Goffman, 1963: 51
[59] Goffman, 1959: 170. Ein anderes Beispiel für einen „Abwesenden„ ist etwa der Patient, sei es in der Narkose auf dem Operationstisch, sei bei vollem Bewußtsein in einem medizinischen Kolloquium.
[60] Festinger u. a., 1952: 290 f.
[61] Festinger u. a., 1952: 290
[62] Gemäß der in dieser Arbeit gewählten Methode des symbolischen Interaktionismus werden wir den Begriff der Deindividuation von Ego her verstehen und ihn für Situationen gebrauchen, in denen für Ego ein Alter seine Person-Qualität mehr oder weniger verloren hat. Besonders in den unten in Abschnitt 32. 2 erwähnten Studien zur Deindividuation wird jedoch auf die Sichtweise eines Tertius abgestellt, der sowohl Ego wie auch Alter „objektiv„ beobachtet, und es mag deshalb zunächst so erscheinen, als ob der dort gebrauchte Begriff der Deindividuation mit dem hier vorgeschlagenen nichts gemein habe. Übersehen würde dabei, dass sich die Unterschiede aus der verschiedenen Sichtweise er-klären. Bei dem Begriff der Deindividuation handelt es sich auch durch-aus nicht um einen sozialwissenschaftlichen Neologismus. Vielmehr findet sich der Begriff der Individuation als principium individuationis nach Schopenhauer (1818: 166) schon bei den Scholastikern (Suarez, Disp. 5, sect. 3) und bezog sich auf Zeit und Raum; „denn Zeit und Raum allein sind es, mittelst welcher das dem Wesen und dem Begriff nach Gleiche und Eine doch als verschieden, als Vielheit neben- und nacheinander erscheint„ (Schopenhauer, 1818: 166). Bei Nietzsche dann findet sich in Fortführung des Schopenhauerschen Gedankens eine Darstellung des Zustandes der Deindividuation: Schopenhauer “ . hat uns … das ungeheure Grausen geschildert, welches den Menschen ergreift, wenn er plötzlich an den Erkenntnisformen der Erscheinung irre wird, indem der Satz vom Grunde, in irgendeiner seiner Gestaltungen eine Ausnahme zu erleiden scheint. Wenn wir zu diesem Grau-sen die wonnevolle Verzückung hinzunehmen, die bei demselben Zerbrechen des principii individuationis aus dem innersten Grunde des Menschen, ja der Natur emporsteigt, so tun wir einen Blick in das Wesen des Dionysischen, das uns am nächsten noch durch die Analogie des Rausches gebracht wird. Entweder durch den Einfluß des narkotischen Getränkes, von dem alle ursprünglichen Menschen und Völker in Hymnen sprechen, oder bei dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjective zu völliger Selbstvergessenheit hinschwindet. “ (Nietzsche, 1871: 24)
[63] Milgram, 1965; Zimbardo, 1969
[64] Milgram, 1965
[65] Eine deutsche Studie von Mantell (1971) etwa (missversteht sich als „Replikation und Erweiterung des Milgramschen Experiments„, ob-wohl sich diese Arbeit lediglich auf eine (methodisch anfechtbare) Untersuchung des „Gehorsam„-Verhaltens beschränkt. Mantell variiert in dieser Studie den Autoritätsdruck auf die Versuchspersonen und kommt zu dem zu erwartenden Ergebnis: Der Abhängigkeit des Gehorsams vom Grad der ausgeübten Autorität.
[66] Milgram, 1965: 63
[67] Tillman/Hobbs, 1949
[68] Festinger u. a., 1952
[69] Singer u. a. , 1965
[70] Festinger u.a., 1952
[71] Singer u. a., 1965: 366
[72] Goffman, 1959
[73] Ziller, 1964
[74] Erikson, 1959
[75] Ziller, 1964: 345
[76] Ziller, 1964: 344
[77] Zimbardo, 1969
[78] Milgram, 1965
[79] Singer u. a., 376
[80] Zum Begriff vgl. etwa Reichenbach, 1951: 260
[81] Zimbardo, 1969: 52 f.
[82] Festinger u. a., 1952
[83] Zimbardo, 1969
[84] Bei der Erörterung der Ergebnisse des ersten Experiments heißt es etwa: „These results clearly support two of our hypotheses relating anonymity, aggression intensity and stimulus control of aggression. We were also encouraged by the trend of increasing aggression over repeated trials. It must be remembered that there was no prior aggression arousal nor victim-instigated provocation to aggress. “ (Zimbardo, 1969: 31) Das Autostripper-Experiment andererseits führt er als eine Demonstration dafür ein „that aggression observed under our contrived laboratory conditions of anonymity or non-identifiability is really a genuine phenomenon of the human condition“. (Zimbardo, 1969: 46 f. )
[85] Festinger u. a. , 1952
[86] Vgl. oben Anm. 62
[87] Vgl. Blumer, 1954; ders., 1956; ders., 1962; Steinert, 1973; Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen, 1973; Weingarten/Sack/Schenkein, 1976; für die verkehrssoziologische Literatur: Schmidt-Relenberg, 1968: 212
[88] Milgram, 1965: 261
[89] Milgram, 1965: 250. Milgram stellt damit eine Forderung auf, die der symbolische Interaktionismus zu verwirklichen sucht. Dort wird die „Situation zum Ausgangspunkt der soziologischen Analyse gemacht und dies folgendermaßen begründet: (a) Die Bedeutungen von Handlungen, Handlungsmustern (Rollen) und Requisiten ist kontextabhängig (’situiert‘); (b) das Aushandeln der sozialen Realität geschieht anhand konkreter Situationen; Strukturen, Organisationen u. ä. sind Abstraktionen und lassen sich immer in typische Situationen und ihre Abfolge auflösen; (c) auch die Einheit des subjektiven Erlebens und der Per – sönlichkeitsbeschreibung ist die Situation mit den Strategien ihrer Bewältigung. “ (Falk/ Steinert, 1973: 35)
[90] Milgram, 1965: 260
[91] Zum Begriff der „Nähe„ vgl. Sommer, 1969. Dort wird Nähe als relativ und als abhängig von der jeweiligen sozialen Situation verstanden.
[92] Vgl. Ross, 1967: 310
[93] Time Magazin, 11. Mai 1970, o. V.
[94] Man könnte dagegen einwenden, dass der Andere nicht als Person, sondern als Funktion (Verkehrsteilnehmer), als bewegliches Objekt wahr-genommen wird. Ein solcher Einwand würde jedoch zum einen übersehen, dass die bei unserer These getroffene Unterscheidung zwischen Person und Objekt idealtypischer Natur ist. Insoweit kann auf den ersten Teil der Milgram Experimente verwiesen werden. Zum anderen würde ein solcher Einwand unberücksichtigt lassen, dass die im Fußgängerverkehr gezeigten Reaktionen eher personentypisch als sachtypisch sind, da sie verbaler Natur sein können. Zwei Beispiele vom „sprechen-den„ Auto mögen dies veranschaulichen: (a) Jemand hatte in sein Fahr-zeug versteckt einen Lautsprecher eingebaut. An einem belebten Fußgängerüberweg erklang dann plötzlich die sonore Stimme des „Autos„: „Bitte räumen Sie den Überweg! “ Die Reaktion war die Erwartete. Der Autor konnte beobachten, dass dem so personifizierten Objekt „Fahr-zeug„ in der ersten Überraschung widerspruchslos der Weg freigegeben wurde. (Ein entsprechendes ethnomethodologisches Experiment könnte man etwa mit einer an einem Fußgänger versteckten Autohupe in einer Fußgängerzone durchführen!) (b) Eine dementsprechende Überlegung unterliegt anscheinend auch dem Einbau von Lautsprechern auf Polizeieinsatzfahrzeugen. Bestünde kein Unterschied zwischen Interaktionen mit Personen und Objekten, so wäre gerade bei Polizeifahrzeugen, die ohnehin besonders kenntlich gemacht sind und darüber hinaus sogar mit mannigfachen Warn- und Befehlssignalen ausgerüstet sind, zu einer solchen Maßnahme kein Anlaß. Anscheinend ist es aber aus polizeilicher Sicht für manche Situationen zweckmäßig, das grundsätzlich nur als Objekt wahrgenommene Polizeifahrzeug durch „Verleihung„ der Fähigkeit der sprachlichen Kommunikation zu personifizieren.
[95] Ein Beispiel für jemanden in der Rolle des Tertius ist der „Wilde„ in Aldous Huxleys Roman: „Schöne, neue Welt. “
[96] Vgl. dazu Schmidt-Relenberg, 1968: 212; Blumer, 1954; ders., 1956; ders., 1962; Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen, 1973; Steinert, 1973; Weingarten/Sack/Schenkein, 1976. Blumer erklärt diese Methode der Analyse der Interaktion von der Position des Handelnden aus wie folgt: „Da die Handlung des Handelnden aus seinen Wahrnehmungen, seinen Deutungen und seinen Urteilsbildungen heraus entsteht, muß die sich aufbauende Handlungssituation durch die Augen des Handelnden gesehen werden, – müssen die Objekte dieser Situation wahrgenommen werden, wie der Handelnde sie wahrnimmt, – müssen die Bedeutungen dieser Objekte so ermittelt werden, wie sie sich für den Handelnden darstellen, – müssen die Leitlinien des Handelns nachvollzogen werden, wie sie der Handelnde entwickelt. Kurz: man muß die Rolle des Handelnden übernehmen und die Welt von seinem Standpunkt aus sehen. “ (Blumer, 1966: 542) Vgl. auch Anm. 89 oben.
[97] Kob, 1966: 186 f.; Spörli, 1972: 137 f.
[98] Sievers, 1960: 479
[99] Grymer, 1971: 78 Anm. 90
[100] Kob, 1966: 187
[101] Schmidt-Relenberg, 1968: 213
[102] Horn, 1969: 345; Packard, 1957; Dichter, 1964
[103] Gießler, 1970: 11
[104] Spörli, 1972: 139
[105] Hartenstein/Liepelt, 1961: 104
[106] Nicht nur der blinde Alter liefe bei dieser Situation Gefahr, Ego anzurempeln, sondern auch derjenige Alter, der die Intentionsbewegungen mißversteht. Diese Situation lässt sich im Fußgängerverkehr leicht er-proben, indem man den im kontinentalen Europa üblichen Seitschritt bei einer Begegnung statt nach rechts nach links macht.
[107] Spörli, 1972: 122
[108] So ist der BMW etwa das „Wiehernde Ross des rauhbeinigen Asphalt-Cowboys„, der Ford Capri der „Ferrari des kleinen Mannes„ und der 2 CV die „Lahme Ente für linke Spießer„. Die Zeitschrift KONKRET veröffentlichte 1971 eine Artikelserie, in der solche mit den Autotypen verbundenen Stereotype nachgewiesen wurden: Konkret Nr. 8 vom 8.4. 1971 (BMW), Konkret Nr. 6 vom 11. 3. 1971 (2 CV) und Konkret Nr. 10 vom 6. 5. 1971 (Ford)
[109] Schmidt-Relenberg, 1968: 214
[110] Diese „unstrukturierten„ Beobachtungen wurden vom Autor auf zahl-reichen Autofahrten gemacht. Das Ergebnis bestätigt die Beobachtungen im Milgram Versuch, exemplifiziert etwa durch die protokollierte Äußerung einer Versuchsperson (Milgram, 1965: 63), wonach der Bedeutungsinhalt einer Handlung sich in Abhängigkeit von den räumlichen Gegebenheiten befindet. Im Übrigen ergibt sich die Validität der Beobachtung, wenn man die im obigen Zitat von Schmidt-Relenberg (1968: 214) getroffene Beschreibung der „Markenkämpfe„ als adäquat ansieht; denn aus dieser Beschreibung ergibt sich, dass als Gegner des „Kampfes„ nicht eine Person, nämlich der Fahrer des anderen Wagens, sondern ein Objekt, nämlich die „Marke„, wahrgenommen wird.
[111] Kob, 1966: 185
[112] Vgl. Feest, 1968: 457 f. : „Our data indicate that most drivers regard the strict version of the stop regulation as unreasonable. In order to see whether there is any danger, the driver has to proceed into the intersection, and if there is no visible danger, there is no good reason to stop. “
[113] Kaiser, 1970: 43; vgl. a. die dort zitierte Literatur zum Verkehrsverhalten als Risikoverhalten, bes. Hoyos, 1964.
[114] Im Gegensatz zu dem hier durch diese Fragestellung gewählten Ansatz beschränkt sich z. B. Opp (1973) ebenso wie Kaiser (1970) auf die Untersuchung der Perspektive des Tertius (vgl. a. Anm. 5 oben)
[115] „Soziale Sanktionen„ seien hier als Gegensatz zu „institutionellen Sanktionen„ durch das Rechtspflegesystem verstanden.
[116] Eine Ausnahme von dieser Regelsituation ist etwa der sich begegnende Verkehr in der Dunkelheit. Die Vorschrift des § 17 III Satz 3 1. Alter-native StVO („Es ist rechtzeitig abzublenden, wenn ein Fahrzeug entgegenkommt„) ist in der Praxis wohl deshalb so problemlos, weil ihre Befolgung durch entsprechende soziale Sanktionen erzwungen werden kann.
[117] Dagegen scheint vorgebracht werden zu können, dass es „zahlreiche„ Fälle von „Selbstjustiz„ nach Fehlverhalten im Verkehr gibt. Meldungen in der Sensationspresse bestätigen dies scheinbar. So zitiert GRYMER (1971: 80) mit der unreflektierten Einleitung: „Es häufen sich Fälle von Brutalitäten bei Autofahrern, die auf bestimmte Verkehrssituationen reagieren, wie die Fahrer in dem folgenden Fall … “ Gruselmeldungen aus der Münchner Abendzeitung und aus Der Spiegel, die den Straßenverkehr als „Dschungel mit dem Gesetz des Stärkeren„ und den Autofahrer als „Buschmann im Smoking„ erscheinen lassen. Bei der Wertung solcher Meldungen ist jedoch zu bedenken, dass sie zwar sehr wohl einen Stellenwert für die Art der leserschaftlichen Erwartungen haben mögen, nicht jedoch auch einen Stellenwert in der empirischen Wirklichkeit.
[118] Vgl. dazu OPP, 1973: 199: „An einer breiten Bundesstrasse bei Nürnberg ist durch mehrere Schilder eine Geschwindigkeitsbegrenzung an-gezeigt, die jedoch von kaum einem Autofahrer eingehalten wird. Zu einer bestimmten Zeit machte die Polizei Radarkontrollen. Eine grosse anzahl von Autofahren wurde angezeigt. Zwei Reporter einer Nürnberger Zeitung sellten sich dann einige hundert Meter vor der Polizei ohne deren Wissen auf, sie trugen ein grosses Schild, auf dem stand, dass die Polizei eine Radarkontrolle durchfuehrt. Das Ergebnis war, dass fast alle Autofahrer ihre Geschwindigkeit auf die erlaubte Höhe drosselten. Durch das Schild wurde offenbar für die meisten Autofahrer das Eintreten einer negativen Sanktion bei Nichteinhaltung der Norm völlig sicher.“ Ferner: Biehl u. a. , 1970
[119] Das Problem der Erkennbarkeit eines Verhaltens als normwidrig (vgl. BOCKELMANN, 1960: 1280; Gunzert 1964: 118; KAISER, 1970: 41) ist sowohl bei dem Verkehrsteilnehmer wie auch bei den Verfolgungsorganen erheblich.
[120] KAISER, 1970: 43
[121] KAISER, 1970: 44
[122] Milgram, 1965: 63
[123] vgl. etwa SCHUMANN, 1968
[124] Auch der Sanktionsgeber unterliegt seinerseits der Kontrolle durch Sanktionen anderer, und zwar sowohl wenn seine Sanktionen abweichend von der Erwartung zu schwach wie auch wenn sie zu stark ausfallen.
[125] MUELLER/THOMAS, 1974: 77; HOMANS: 1950
[126] vgl. SACK, 1969: 982 ff.; zur Externalität MUELLER/THOMAS, 1974: 69 ff.
[127] vgl. PARSONS/SHILS, 1951
[128] vgl. MITSCHERLICH/MUCK, 1969: 116 ff.
[129] vgl. SACK, 1969: 982 ff.
[130] vgl. GÖPPINGER, 1959: 2283; BOCKELMANN, 1960: 1281; GUNZERT, 1964: 116;
[131] FRANCKE, 1955; BOCKELMANN, 1960: 1280; BAUMANN, 1961: 166; KAISER, 1970: 40; LANGE, 1966: 171;
[132] vgl. BLUMER, 1973: 81 f. zu der Prämisse des symbolischen Interaktionismus, dass Menschen ‚Dingen‚ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutungen handeln, die diese Dinge für sie besitzen, und zu der Nichtbeachtung dieses Gesichtspunktes durch die empirische Soziologie und die Psychologie: „Beiden Bereichen gemeinsam ist die Tendenz, menschliches Verhalten als das Produkt verschiedener Faktoren zu betrachten, die willkürlich auf die Menschen einwirken; das Interesse gilt dem Verhalten und den Faktoren, die man als verursachend ansieht. Daher wenden sich Psychologen solchen Faktoren wie Stimuli, Einstellungen, bewußten oder unbewussten Motiven, verschiedenen Arten psychologischen Inputs, Wahrnehmung und Erkennen von verschiedenen Merkmalen personaler Organisation zu, um gegebenen Formen oder Ausprägungen menschlichen Handelns Rechnung zu tragen. Ähnlich stützen sich Soziologen auf solche Faktoren wie soziale Position, Statusanforderungen, soziale Rollen, kulturelle Vorschriften, Normen und Werte, soziale Zwänge und den Anschluss an soziale Gruppen, um derartige Erklärungen bereitzustellen. Sowohl in solch typisch psychologischen wie soziologischen Erklärung werden die Bedeutungen, die diese Dinge für die Menschen in ihrem Handlungsprozess haben, entweder umgangen oder sie werden von den Faktoren vereinnahmt, die man zur Erklärung ihres Handelns heranzieht. Postuliert man, dass die vorliegenden Verhaltensweisen das Ergebnis der besonderen Faktoren sind, als deren Produkt man sie betrachtet, so besteht keine Notwendigkeit, sich mit der Bedeutung der Dinge auseinanderzusetzen, auf die hin Menschen ihre Handlungen ausrichten; man braucht dann nur die auslösenden Faktoren und das daraus resultierende Verhalten zu bestimmen. Oder man kann, wird man dazu gedrängt, das Element „Bedeutung“ dadurch unterzubringen suchen, dass man es in den auslösenden Faktoren verortet, oder dass man es als ein neutrales Bindeglied betrachtet, das zwischen den auslösenden Faktoren einerseits und dem durch diese angeblich produzierten Verhaltensweisen andererseits vermittelt. In der ersten der zuletzt genannten Möglichkeiten verschwindet die Bedeutung, indem sie mit den auslösenden oder ursächlichen Faktoren vermengt wird; im zweiten Fall wird die Bedeutung ein reines Element der Übermittlung, das man zugunsten der auslösenden Faktoren unberücksichtigt lassen kann. Im Gegensatz dazu wird in symbolischen Interaktionen den Bedeutungen, die die Dinge für die Menschen haben, ein eigenständiger zentraler Stellenwert zuerkannt. Das Nichtbeachten der Bedeutung der Dinge, auf die hin Personen handeln, wird als eine Verfälschung des untersuchten Verhaltens gewertet. Die Vernachlässigung der Bedeutung zugunsten der Faktoren, denen man die Hervorbringung des Verhaltens einnimmt.“ (BLUMER, 1973:81f.)
[133] Die Untersuchung der Verkehrsauffälligen als Individuen erweist sich bei der Psychologie als das Katastrophengebiet für das Selbstverständnis.
Das offensichtliche Versagen der Verkehrspsychologie, einen Beitrag zum Verständnis des Straßenverkehrs zu leisten (vgl. ZELINKA, 1974: 750), ist ein Menetekel für die Neubesinnung auf die soziale Umweit des Individuums, für die Sozialpsychologie. Individualpsychologie und Individualpsychiatrie haben zwar ein Netzwerk con „Verkehrspsychologischen Instituten“ und „Verkehrspsychologischen Eignungsstellen“ aufgezogen, die meist meist auf offizielles Verlangen und mit offiziellen Konsequenzen eine Unzahl von Gutachten erstellen. Zwar gibt es eine inzwischen unübersehbare Literatur zum Straßenverkehr, aber diese Anstrengungen haben bisher ein über die Beschäftigung von Psychologen hinausgehendes Ergebnis kaum erbracht. So kommt denn eine weltweite Sichtung verkehrspsychologischer Forschungsergebnisse (LITTLE 1966) zu dem Ergebnis, dass die Suche nach Persönlichkeitsfaktoren, welche zur Unterscheidung von Verkehrsauffälligen dienen sollen, bisher nur sehr beschränkten Erfolg aufweisen konnte.
Aber immer noch gehört die Annahme der funktionalen Abhängigkeit des Verkehrsverhaltens von Bedingungen in der Person des Fahrzeugführers zu den festen Überzeugungen in der Psychologie des Straßenverkehrs (vgl. HOYOS, 1965, 10; ders. 1965a, 95), und noch immer beruhen verkehrspsychologische Forschungen implizit oder explizit auf der gängigen, gesunden-Menschenverstand-Formel von TILL MANN und HOBBS (TILLMANN/HOBBS, 1949), dass jemand so fahre, wie er lebe („a man drives as he lives„), also der Annahme, dass Lebenslauf, Verkehrseinstellung und Persönlichkeitsstruktur aussagekräftige Faktoren für die Analyse des Verkehrsverhaltens seien (vgl. MACFARLAND/MOSELEY, 1954). Die Ursachen des Fehlschlagens, von manchen Psychologen immer noch hartnäckig in den benutzten Erkenntnismitteln gesehen, dürften aber wohl einmal bei dem Vorverständnis der Individualpsychologie zu suchen sein, nämlich der Annahme, dass die Eigenart des Individuums dessen Verhalten bestimme, zum anderen in dem nicht nur für die Verkehrspsychologie typischen Ansatzpunkt der Untersuchungen beim Verkehrsauffälligen statt beim Unauffälligen.
Die Kalamität der empirischen Sozialwissenschaften ist der der Individualpsychologie nicht unähnlich. Auch sie vermögen mit dem ihnen eigenen Vorverständnis, der Annahme der sozialen Determiniertheit menschlichen Verhaltens durch „soziale„ Faktoren wie z. B. Alter, Berufsausbildung, Sozialschichtzugehörigkeit oder Einkommen, das Verkehrsverhalten theoretisch nicht aufzuhellen.
So war z. B. das Ergebnis der groß angelegten empirischen Untersuchung von SPIEGEL und GUNZERT (SPIEGEL/GUNZERT, 1963) der Gemeinplatz: Fehlverhalten im Straßenverkehr verhält sich proportional zur Jahreskilometerleistung und in etwa umgekehrt zur Fahrerfahrung. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt KAISER (KAISER, 1970) in seiner kriminologischen Untersuchung nach eingehender Sichtung der empirischen Literatur.
Die von ihm wohl angenommene weitergehende direkte Abhängigkeit der Verkehrsdelinquenz von sozialen Faktoren und der Täterpersönlichkeit ist, wie von KAISER selbst auch gesehen (S. 286), problematisch wegen des mehrstufigen Ausleseprozesses; denn entgegen der von KAISER S. 311 vertretenen Meinung („Klassenblinder Selektionsprozeß„) ist wegen der begrenzten Kapazität der Verfolgungsorgane wohl gerade bei der Verkehrsdelinquenz eine Verzerrung der Kriminalitätsstruktur anzunehmen.
Mit LANGE (LANGE, 1968: 65; vgl. a. KAISER, 1971: Rdnr. 452) lässt sich deshalb für den Bereich der empirischen Wissenschaften, und zwar sowohl für Psychologie wie auch für Soziologie, als deren Beitrag zum Wissen über das Phänomen Automobilverkehr feststellen: „In kaum einem Sozialbereich hat sich in den letzten Jahren eine ganze Phalanx von empirischen Wissenschaften mit gleicher Intensität betätigt wie in dem des Straßenverkehrs und insbesondere der Unfallursachen. Dennoch ist die Lage alles andere als geklärt oder auch nur befriedigend„.
[134] Zum Verkehrsverhalten als Risikoverhalten vgl. GRASSBERGER, 1958: 303; MIKOREY, 1960: 868; HOYOS, 1964: 14 ff.; NESS-HAEBERLI, 1967: 63; LANGE, 1968: 60; KAISER, 1970: 30;
[135] vgl. BERNOULLI, 1738 ; LUCE/RAIFFA, 1957 ; RAPOPORT, 1966. Für eine ausführliche Diskussion, bes. des Postulats der Rationalität, siehe GREWE, 1974: 45 ff.
[136] CLAUSEN, 1968; ERICKSON, 1950; FLAVELL, 1963; PIAGET, 1948; ders. 1954;
[137] vgl. MÜLLER-THOMAS, 1974: 201 ff. sowie die dort besprochene Literatur zum Sozialisationsprozess.
[138] KAISER, 1970: 40
[139] Scheinbar wäre ein solches Vorgehen durch die Fallstudie zur gesetzlichen Einführt ng des Rechtsverkehrs in Schweden von PERSSON BLEGVAD/MÜLLER NIELSEN (1972) gedeckt. Diese Autoren hatten die Hypothese aufgestellt, „dass ein gewisser Grad von Befolgung bestimmter Arten von Gesetzen ohne den vollständigen Wandel der inneren Einstellung, den ein Sich-zu-eigen-Machen (internalization) dieser Gesetze nach sich zieht, erreicht werden kann“ (S. 431) und „dass ein Wandel in den zweckfreien Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wahrscheinlich eher einen gemeinschaftlichen Widerstand gegen die Rechtsordnung hervorrufen würde als ein Wandel im Bereich der zweck-gerichteten Normen“ (S. 440). Beide Hypothesen sahen sie durch ihre Untersuchung als bestätigt an und postulierten, „dass Behörden, die einen sozialen Wandel in einem Lebensbereich planen, in dem es unter-schiedliche soziale Beziehungen gibt und die zu regelnden Tätigkeiten zweckgerichtet sind, sich darauf konzentrieren können, die nötigen Informationen weiterzugeben, und den Wandel in der Einstellung der Bevölkerung als sekundär betrachten können. “ (S. 445 f.) Problematisch ist bei dieser Abhandlung u. a. einerseits die Anwendung des von den Autoren definierten Begriffs des sozialen Wandels auf die Umstellung vom Linksverkehr auf den Rechtsverkehr. Die Autoren hatten z. B. zu Beginn ihrer Arbeit sozialen Wandel definiert als „bedeutsame Veränderung der Sozialstruktur (d. h. von Strukturen sozialen Handelns und sozialer gegenseitiger Beeinflussung) einschließlich der Folgen und Symptome solcher Strukturen, die in Normen (Verhaltensregeln), Wertvorstellungen und Kulturprodukten sowie Symbolen verkörpert sind (S. 430). Diese an sich schon schwammige Definition dissipiert am En-de ihrer Abhandlung zu: „Unserer Meinung nach bedeutet ein Wandel im Verhalten der Menschen, ein zweckgerichteter Wandel, gleichzeitig einen sozialen Wandel“ (S. 445). Mit Hilfe dieser zweiten, nunmehrvoellig nichtssagenden Definition sehen sie in der Umstellung vom Links-verkehr auf den Rechtsverkehr ihre These bestaetigt, dass „Recht einen sozialen Wandel herbeifuehren oder ihn widerspiegeln“ kann (S. 444). Selbst wenn man von diesen und anderen schwerwiegenden methodischen Bedenken gegen die Arbeit absieht, entwertet jedenfalls ein weiterer Umstand die Aussage dieser Arbeit. Die Autoren haben übersehen, dass hier durch das Recht Leitsysteme geschaffen wurden, die den Verkehrsteilnehmer die Handlungsalternative des „Linksfahrens“ im Rechtsverkehr unter den meisten Umständen schon physisch unmöglich machen. Bedenkt man diesen Umstand, so ist sogar schon fraglich, ob man im Zusammenhang mit der Umstellung des Straßenverkehrs überhaupt von einer Verhaltensänderung sprechen kann. (Der Gedanke, dass durch „Recht“ physische und soziale Leitsysteme geschaffen werden können, die ihrerseits Verhalten bestimmen, wird unten in Kap. 5. 2 noch ein-mal ausführlich behandelt. )
[140] In etwas differenzierterer Form als PERSSON BLEGVAD/MOLLER NIELSEN (1972) vertritt auch SCHOREIT (1976) in seinem ablehnenden Aufsatz zu dem Alternativentwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl (ARZT u. a., 1974) den Standpunkt, dass gegen die „echte Volksseuche“: Ladendiebstahl (SCHOREIT, 1976: 53) nur mit formellen Kontrollen vorgegangen werden könne und dürfe. Parallelen bestehen insoweit, als es auch hier um die Frage von formellen und informellen Kontrollen geht. SCHOREIT berücksichtigt die sozialen Dynamiken bei dem Delikttypus Ladendiebstahl insoweit, als er die „moderne Opferforschung“ bemüht, wenn auch nur mit der Platitüde von der „Ursächlichkeit des Opferverhaltens“ beim Ladendiebstahl. Seine Vorschläge zielen dementsprechend auch nicht so sehr auf eine formelle Regelung des Delinquentenverhaltens als des Opferverhaltens ab. Wie ARZT (1976) in seiner Stellungnahme zu SCHOREIT (1976) gezeigt hat, sind SCHOREITS Vorschläge zum Teil in sich widersprüchlich und laufen zum größeren Teil sogar auf eine formelle Kontrolle hinaus, die konsequent durchgeführt ebenso unrealistisch ist wie die gegenwärtig praktizierte. Die Alternative des „offenen und damit geordneten teilweisen Rückzugs des Strafrechts“ (ARZT, 1976: 54) statt des ansonsten eintretenden versteckten Rückzugs mit allen seinen Imponderabilien will SCHOREIT nicht anerkennen.
[141] KAISER, 1970: 347
[142] KAISER, 1970: 346
[143] EGOWIGE-Begründung, 1966: 88; siehe auch HASSEMER, 1973: 217 ff.; BAUMANN, 1974: 39. Die früher vertretene qualitative Abgrenzungstheorie wird zunehmend von der quantitativen Abgrenzungstheorie verdrängt. Dogmatisch wird dies u. a. mit dem Vorrang des Gesetzgeberverhaltens begründet.
[144] vgl. BAUMANN: 1974: 39. Der ad-hoc-Charakter ist auch der „Vorwurf“, der etwa dem Alternativ-Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl (ARZT u. a., 1974) und dem Alternativ-Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz (ARZT u. a., 1975) gemacht werden kann. Mit Recht gebraucht deshalb ARZT (1976) in seinem erklärenden Aufsatz zum AE-GLD die im ersten Augenblick befremdlich anmutende militärische Metapher vom „offenen oder versteckten Rückzug des Strafrechts vom Kampf (sic!) gegen Ladendiebstahl“ (ARZT, 1976: 54); denn voraus-gegangen ist eine „verlorene Schlacht gegen“ den Ladendiebstahl, so dass es nunmehr darum geht, durch geordneten teilweisen „Rückzug“ die „strafrechtliche Verteidigungslinie“ neu zu formieren. Zur Klarstellung: Kritisiert werden soll hier nicht die Art der Problemlösung durch die obengenannten Alternativentwürfe. Noch soll etwa behauptet werden, dass das rechtspolitische Klima Entwürfe dieser Art schon früher zugelassen hätte. Vielmehr soll hier nur hervorgehoben werden, dass auch diese Alternativentwürfe reaktiven Charakter haben und Überlegungen grundsätzlicher theoretischer Art vermissen lassen: sie sind systemkonservierend nicht aber systemstrukturierend.
[145] Amtliche Begründung, 1970 Nr. 13
[146] KAISER, 1970 bes. 143 ff.; POPITZ, 1967; BRAUNECK, 1965
[147] KAISER, 1970: 147
[148] GEIGER, 1947
[149] PACKER, 1968; KAISER, 1970; HASSEMER, 1973
[150] GEIGER, 1947. Vgl. auch OPP (1973), der in typisch empirischer Problemverkürzung folgende Hypothese aufstellt:
„Je höher der Grad der Informiertheit einer Person über ein Gesetz ist,
je geringer der Grad der normativen Abweichung einer Person von einem Gesetz ist,
je höher der Grad der erwarteten negativen Sanktionen bei einer Nichtbefolgung des Gesetzes ist,
je höher der Grad der erwarteten positiven Sanktionen bei der Befolgung des Gesetzes ist,
desto eher wird die Person das Gesetz einhalten„. OPP, 1973: 199
[151] GEIGER, 1947: 216
[152] POPITZ, 1967: 3 f.
[153] Vgl. z. B. : Herwig, 1961: 271; Jagusch, 1972: IX; Kaiser, 1970: 47; Luff, 1960: 330; Meyer/Jacobi, 1961, III: 31; Munsch, 1956: 271.
[154] Vgl. z. B. : Claessens, 1966: 157; Schmidt-Relenberg, 1968: 217; Spörli, 1972: 33, 164.
[155] Zu diesem Stichwort gibt e seine umfangreiche Diskussion, vor allem im normativen Schrifttum, die sich zwischen den Polen „Problem der Überforderung des Menschen durch Komplexität“ (Luhmann, 1967: 105) und der Überforderung als einer „verhängnisvollen Irrlehre“ (Wimmer, 1960: 247; 1961: 35) abspielt. Vgl. z. B. : Bolte, 1966: 48, 57; Council of Europe, 1967: 123; Flitner, 1967; Francke, 1955: 215; Kaiser, 1970: 46 ff.; Lange, 1964: 213; Meyer/Jacobi, 1961, III: 35; Middendorf, 1967: 248; Nass, 1963: 271; Nass, 1968: 15; E. Schmidt, 1957: 383. Einigkeit besteht wohl insofern, als die situative Komponente der Überforderung im Verkehr abgebaut werden sollte (Kaiser, 1970: 47; Spörli, 1972: 190 ff.).
[156] Lange, 1968: 57
[157] Kaiser, 1971: Rdnr. 427
[158] Göppinger, 1959: 2282
[159] Göppinger, 1959: 2282
[160] Kohlrausch, 1910: 208 f.; Gallimer, 1910: 18 ff. (29); Baumgarten, 1913: 210 f.;
[161] Göppinger, 1959: 2282; Peters, 1960: 307 f.; Hall, J., 1960: 133 ff. Hall, J., 1963; Stratenwerth, 1966: 72 ff.; Baumann, u. a., 1966: § 16 II; Baumann, 1967: 338; Bockelmann, 1967: 218; Nowakowski, 1967: 171, 173; Krumme, 1968: 120 ff.
[162] Vgl. z. B. : Gunzert, 1964, bes. 117 ff.; Schmidt-Relenberg, 1968: 215 f.
[163] Amtliche Begründung, 1970: Nr. 13
[164] Packer, 1968; Kaiser, 1970; Hassemer, 1973. Bezeichnenderweise entwickeln sowohl Packer wie auch Kaiser ihre Forderungen nach einer Beschränkung strafrechtlicher Normen weitgehend unter Rekurs auf das „Katastrophengebiet: Verkehrsrechtspflege„.
[165] Packer, 1968: 366 – „The criminal sanction is at once prime guarantor and prime threatener of human freedom. Used providently and humanely it is guarantor; used indiscriminately and coercively, it is threatener. The tensions that inhere in the criminal sanction can never be wholly resolved in favor of guaranty and against threat. But we can begin to try.
[166] Packer, 1968: 249
[167] Packer, 1968: 366
[168] Siehe Anm. 165 oben, vgl. Packer, 1968: 246
[169] Packer, 1968: 287 – „ Making and retaining criminal laws that can be only sporadically enforced not only is something of an exercise in futility but also can result in actual harm. It approaches futility because the knowledge that a given criminal proscription will be enforced in only a small proportion of the cases to which it applies is bound to affect the deterrent efficacy of the proscription. Among the harmful consequences, four are especially noteworthy. First, respect for law generally is likely to suffer i fit is widely known that certain kinds of conduct, although nominally criminal, can be practiced with relative impunity. Second, enforcement officers aware that the enforcement rate for a particular offense is undesirably low may be tempted to use unsavory methods to raise the rate. Third, lack of full enforcement necessarily involves discretion in the choice of targets; this disretion is unlikely to be exercised in any but an arbitrary kind of way. Finally, this arbitrariness is bound to contribute to the unfortunate sense of alienation on the part of those who see themselves as victims. “
[170] Packer, 1968: 296
[171] Packer, 1968: 259 – „In the end, the question of alternatives, including the alternative of doing nothing (or less), is a question of resource allocation. We cannot have everything we want of the good things of this world; and that includes, unfortunately, the prevention of bad things. We must weigh costs and assign priorities. “
[172] Kaiser, 1970
[173] Kaiser, 1972: 1; vgl. auch Kaiser, 1970: 354 f.
[174] Kaiser, 1971: Rdnr. 417
[175] Kaiser, 1970
[176] Kaiser, 1970: 147 ff.
[177] Baumann, 1968a: 128; Kaiser, 1970: 418
[178] Kaiser, 1970: 19
[179] Kaiser, 1970: 348
[180] Kaiser, 1970: 348 ff.
[181] Kaiser, 1970: 363
[182] Feuerbach, 1801: §§ 12 f., 16 f., 21
[183] Kaiser, 1970: 362
[184] Kaiser, 1970: 363 f. – Mit diesem Verständnis der Generalprävention bleibt Kaiser daher in dem traditionellen Modell des Wirkens und der Wirkungskraft staatlicher Normen. Neu ist bei ihm der von Popitz, 1967, übernommene Gedanke, dass vor allem die Größe e nicht unbeschränkt variiert werden kann.
[185] Kaiser, 1970: 414
[186] Kaiser, 1970: 422 – zu diesem Thema: “ … es gilt, die Verkehrssicherheit zu steigern und den Verkehrsfluß zu gewährleisten. Freiheitsgrundsatz und rechtsstaatliche Erfordernisse müssen mit den Gesichts-punkten der Strafökonomie, Effektivität, der Verhältnismäßigkeit (u. a. des Schuldprinzips) und der Suche nach einem praktikablen Verfahren ,verknüpft und zum Teil auch versöhnt werden. “
[187] Kaiser, 1970: 148 f., 414, 429. Die Implikationen eines solchen Vorschlags, nämlich die „Vorverlegung der strafrechtlichen Verteidigungslinie„ (Kaiser, 1970: 346 f., 421) bei einer gleichzeitigen, durch die systematische Einordnung des Ordnungswidrigkeitenrechts in das all-gemeine Verwaltungsrecht bedingten Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten, werden von Kaiser jedoch kaum andiskutiert. Damit übersieht Kaiser eine gerade für den Bereich der Kriminalpolitik wichtige Unterscheidung bei der Erörterung der Rationalität rechtspolitischer Entscheidungen: die Unterscheidung zwischen Handlungsrationalität und Systemrationalität. Vgl. zu dieser Unterscheidung Kapitel 5. 1, unten.
[188] Hassemer, 1973
[189] Vgl. Hassemer, 1973: 9 – „Die Untersuchung zeigt, dass die praktische Wirkungslosigkeit der Rechtsgutlehre nicht nur darauf beruht, dass man sich nicht einigen konnte, was unter einem Rechtsgut zu verstehen sei, sondern vor allem darauf, dass man sich auf theoretisch schlüssige Systemkritik am Strafrecht beschränkte, ohne auf die gesellschaftlichen Mechanismen der Kriminalisierung zu achten, von denen die Kriminalpolitik abhängt. Diese Mechanismen sind empirisch kaum erforscht. Unter Weiterführung soziologischer sowie tiefen- und völkerpsychologischer Ansätze wird deshalb versucht, Leitlinien einer Kriminalpolitik und ein Verständnis vom strafrechtlichen Rechtsgut zu erarbeiten, das auf die Fundierung strafrechtlicher Verhaltensnormen in gesellschaftlichen Kriminalisierungsfaktoren achtet. “
[190] Packer, 1968: 306 f. – „The first essential step is to determine what values might rationally be protected by the criminal law and what their relative importance is … . The second step is to relate these values to the structure of a criminal code. “
[191] Kaiser, 1970: 19 – „Ziel dieser Untersuchung ist … die Herausarbeitung von empirisch orientierten Möglichkeiten und Grenzen der Gene-r alprävention und damit einer rationalen Verkehrskriminalpolitik. “
[192] Hassemer, 1973: 105 – „Wenn es stimmt, dass die Norm auf regelbare Wirklichkeit hin konzipiert ist und deshalb von dieser Wirklichkeit her selber beeinflußt wird, wie die neuere Rechtstheorie behauptet, dann heißt das für die Rechtsgutlehre zuerst einmal, dass die strafgesetzlich sanktionierten Schutzobjekte (als Norminhalt oder Normhintergrund, Normzweck) nur von dem her verstanden werden können, was als Objekt des Schutzes tatsächlich gesellschaftlich realisiert wird. Inhalt und Grenzen des vom Strafgesetz bezeichneten Rechtsguts ergeben sich nicht aus dem Gesetz allein, sondern erst in dessen Anwendung auf die soziale Wirklichkeit. “
[193] Auffallend ist hier, wie auch bei Kaiser, eine gewisse Gläubigkeit an das Erklärungsvermögen und die Beweismacht der Empirie, wobei deren wissenstheoretische Grundlagen weder an- noch ausdiskutiert werden. Während KAISER (1970: 16 ff.) die Kriminologie als Erfahrungswissenschaft begreift, scheint es HASSEMER mehr darum zu gehen, die Empirie als Methode zur Feststellung des Grades von sozialem Konsens bzw. Dissens über Inhalt und Wertigkeit eines Rechtsguts einzusetzen.
[194] Hassemer, 1973 :9
[195] Hassemer, 1973 : 16
[196] Hassemer, 1973 : 17-97
[197] Hassemer, 1973 : 104
[198] Hassemer, 1973 : 233
[199] Hassemer, 1973: 212
[200] Hassemer, 1973: 213
[201] Hassemer, 1973: 117 f.
[202] Packer, 1968: 364 f.
[203] Popitz, 1967; Brauneck, 1965
[204] Kaiser, 1970: 147; vgl. auch Kaiser, 1971: Rdnr. 418 – „Offenbar hängt der soziale Rangwert einer Rechtsverletzung nicht allein von der ihr zu-gesprochenen sozialethischen Qualität ab, sondern auch und vor allem von der sozialen Bedeutung und der als potenziellem Täterkreis in Betracht kommenden Bevölkerungsgruppe. Bedenken gegen die gesellschaftliche Zurückweisung und Diffamierung einer normwidrigen Verhaltensweise vermindern sich anscheinend, wenn sich die Pönalisierung in erster Linie gegen eine soziale Minderheit oder gar Randgruppe richtet. Umgekehrt gilt entsprechend, dass die Kriminalisierung weithin üblicher Verhaltensweisen in der Majoritätsgruppe voraussichtlich mit Erschwerungen und Widerständen zu rechnen hat.“
[205] Hassemer, 1973: 117
[206] Hassemer, 1973: 106
[207] Popitz, 1967; Brauneck, 1965
[208] Popitz, 1967: 4
[209] Popitz, 1967: 20
[210] Popitz, 1967: 20
[211] Lange, 1972: 102
[212] Sellin, 1938; Sutherland, 1945
[213] Sack, 1972: 11 f.
[214] Vgl. Quinney, 1970: bes. 15 ff. ; sowie die Literatur zum labeling Ansatz: siehe dazu den Überblick bei Taylor u. a., 1973: 139 ff.
[215] Sack, 1968: 442; vgl. auch Hassemer, 1973: 141 ff.
[216] Vgl. dazu ausführlich: Grewe, 1974
[217] Vgl. z. B. Kleinknecht, 1975: Einl. 2B und Anm. § 157
[218] Turk, 1969: 9 ff.
[219] Für die ausführliche Untersuchung des Konstruktionsprozesses vgl. Grewe, 1974
[220] Parsons/Shils, 1951: 107
[221] Vgl. dazu bes. Buckley, 1967, die Zusammenstellung bei Tjaden, 1971 und die Übersicht bei Opp/Hummell, 1973: 63 ff.
[222] Luhmann drückt diese Zusammenhänge wie folgt aus: „Soziale Systeme gewinnen eine über die Situation hinausreichende, die Systemgrenzen definierende Systemstruktur durch Generalisierung der Erwartungen für systemzugehöriges Verhalten. Generalisierung bedeutet im Kern unschädliche Indifferenz gegen Unterschiede, Vereinfachung, und insofern Reduktion von Komplexität. Durch Generalisierung der Verhaltenserwartungen wird die konkrete Abstimmung des sozialen Verhaltens mehrerer erleichtert, indem schon vorher typisch festliegt, was er-wartet werden kann und welches Verhalten die Grenzen des Systems sprengen würde. Diese Vorauswahl des im System Möglichen kommt auf der Ebene des Erwartens, nicht des unmittelbaren Handelns, zustande, weil nur so die Situation im Vorgriff auf die Zukunft transzendiert werden kann. “ (Luhmann, 1970a: 121)
[223] Diese mehr von der „verhaltenstheoretischen Soziologie„ (zum Begriff: Opp/Hummell, 1973: 39 ff.) und der Organisationssoziologie herkommende Analyse lässt sich auch dann aufrechterhalten, wenn man sich lediglich auf das Postulat der Struktur sozialer Systeme beschränkt. In allgemeinerer Form würde deshalb unsere Feststellung lauten: Jedes soziale System ist charakterisierbar durch eine wie immer auch geartete Struktur.
[224] Vgl. Mueller/Thomas, 1974: 327; Nehnevajsa, 1967
[225] Vgl. Mueller/Thomas, 1974: 63 ff.
[226] Vgl. Turk, 1969: 8 ff. Turk ist der erste Autor, der klarstellt, dass „Kriminalität„ ein Status und nicht ein Verhalten ist.
[227] Mit dem Ausdruck „Bandbreite„ soll ausgedrückt werden, dass es nicht nur einen Status Kriminalität im gesamtgesellschaftlichen System gibt, sondern dieser Status eine ähnliche Bandbreite wie etwa der Status „Unterklasse„ aufweisen kann; denn wir unterscheiden im gesamtgesellschaftlichen System beim Status Kriminalität durchaus etwa den „Dieb„ vom „Raubmörder„.
[228] Vgl. dazu die Analyse des Erwerbs oder Verlusts von Status, insbesondere von kriminellem Status, bei Grewe, 1974
[229] Die Relevanz und Aussagekraft eines solchen Ergebnisses beruht auf der Grundannahme, dass die Wirklichkeit sozial konstruiert ist und des-halb „nur durch die Perspektive der alltagsweltlich handelnden Gesellschaftsmitglieder erfaßt werden„ kann (Schütze u. a. , 1973: 433). Dem-entsprechend wird hier, wie auch an anderen Stellen in dieser Arbeit (vgl. insbesondere das Eingangskapitel), davon ausgegangen, „dass (a) die gesellschaftliche Wirklichkeit durch sprachlich vermittelte Wissensbestände mitkonstituiert ist, (b) soziales Handeln weitgehend als implizite oder explizite Kommunikation abläuft, in der Wissensbestände zur Anwendung gelangen und Situationsdefinitionen entwickelt wer-den, und dass (c) deshalb wichtige Teilbereiche des soziologischen For- chungshandelns als kommunikativ-wissenssoziologische Feldforschung angesehen werden müsse. “ (Schütze u. a., 1973: 433)
[230] Vgl. z. B. : Faris, 1964; Sack, 1968; Wolfgang, u. a. : 1970
[231] Popitz, 1967
[232] Durkheim, 1885
[233] Popitz, 1967
[234] Der Ansatz von Popitz ist in der juristischen Kriminologie zwar beachtet, aber, wie es scheint, unter Verkürzung der Problemlage mißverstanden worden. Insbesondere LtiDERSSENs (Lüderssen, 1972: besonders S. 7) Aufsatz mit dem Titel „Strafrecht und ‚Dunkelziffer “ zeigt, dass gegenwärtig noch nicht verstanden zu werden scheint, dass der Ansatz von Popitz in zwei zu trennende Teile zerfällt; nämlich einmal in die Beobachtungen, dass Nichtwissen eine soziale Funktion zu haben scheint, und zum anderen in den Versuch, „einen Bezugsrahmen für Erklärungsmöglichkeiten zu finden„ (Popitz, 1967: 20). Das von Lüderssen kritisierte Fehlen „einer systematischen Verarbeitung der verschiedenen Daten„ (Lüderssen, 1972: 7) setzt nämlich, selbst wenn man mit Lüderssen an die „Erklärungsmacht der Empirie„ glaubt, eine Konzeptualisierung der Dunkelziffer-Problematik voraus. Diesen Bezugsrahmen hat aber Popitz weder geschaffen, noch hat er behauptet, ihn geschaffen zu haben. Er hat vielmehr nur „Einsichten … (auf-gezeigt) … , die uns auf den Weg führen„ (Popitz, 1967: 20) können.
[235] Popitz, 1967: 6 ff.
[236] Brauneck, 1965: 25
[237] Vgl. die Schätzungen bei Popitz, 1967: 22 f.
[238] Das ist zumindest die Situation, wie sie sich unter Berücksichtigung der limitierten sozialen Transparenz darstellt. Dass in einer konkret bekannten Situation der Marginalisierte als „Opfer der Gesellschaft„ gesehen werden mag, widerspricht dem nicht. Vor allem deshalb, weil dem Großteil der Bevölkerung Menschen, deren krimineller Status fest-gestellt wurde, nicht bekannt ist bzw. diese Menschen im Bekannten-kreis nur selten auftreten. Perzeptionell kann deshalb die Trennung zwischen dem bekannten Fall und „den Anderen„ aufrechterhalten wer-den.
[239] Popitz, 1967: 17; vgl. dazu auch die folgende Zeitungsmeldung (tzmünchen, 7. 5. 1974, S. 8) : „Der ADAC hat errechnet, wie teuer die gängigsten Autos ihrem Besitzer kommen. In der Kalkulation wurden Wagen-pflege, Reparaturkosten, Reifen, Garage, Parkkosten und eventuelle Strafzettel mit eingerechnet, auch die Zinskosten für den Anschaffungskredit. “
[240] Bei genauerer Betrachtungsweise müßte man wohl von einer Kurve sprechen, deren erste Ableitung f‘ >= 0 ist. Aus Gründen der Darstellung soll aber davon abgesehen werden. Stattdessen wurde eine Kurve gewählt, deren f‘ = c ist mit c > 0
[241] Popitz, 1967
[242] Vgl. dazu besonders: Kaiser, 1970: 144 ff., 421
[243] Popitz, 1967: 17 f.
[244] Vgl. z. B. Svalastoga, 1964: bes. 551 ff.; Barber, 1957: bes. 121 ff.
[245] Mit dem Begriff „erkaufte Fähigkeit„ ist jede Koalition, einschließlich der mit dem „Gegner„, gemeint, deren Zugang durch den Status quo ante ermöglicht ist. Vgl. Grewe, 1974: 66 ff., 119 ff.
[246] Als Beispiel mag der differenzielle Erfolg dienen, der dem Versuch der Marginalisierung bei Verkehrsverstößen beschieden ist. Eine Durchsicht von Akten bei der Münchener Verkehrspolizei durch den Autor für die Fälle, in denen das Tatfahrzeug nicht aber der Täter feststand, ergab, dass eine faktisch „wirksame„ Verteidigung (z. B. : „Ich weiß nicht, wer das Fahrzeug zur Zeit der Tat gefahren hat. Zu dieser Zeit hatte ich Besuch aus dem Ausland, der auch mein Auto benutzte, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass mein Besucher da-mals der Fahrer war. „) bei weitem öfter von statushohen als von statusniedrigen Fahrzeughaltern benutzt wurde.
[247] Vgl. z. B. die Artikelserie des Chefredakteurs der Intellektuellen- Wochenzeitung „Die Zeit„, Josef Müller-Marein, 1967: 38; Müller-Marein’s Artikelserie erschien dann im selben Jahr als Buch mit dem bezeichnenden Titel „Wer zweimal in die Tüte bläst„ Untertitel: „Ballade vom Einsitzen„
[248] Popitz, 1967: 18
[249] Vgl. Grewe, 1974: 130 ff.
[250] Eine solche Konzeptualisierung bietet sich an, wenn man die Arbeit eines Agenten des Strafrechtspflegesystems beobachtet bzw. selbst ausführt. Dann ergibt sich aus der Zuteilung des Arbeitsgebiets und aus der beschränkten Arbeitskapazität die Verfolgungsintensität.
[251] Im Ergebnis ebenso Hassemer, 1973: bes. 100 ff.
[252] Bei der Erörterung der Ubiquität und Relativität von Marginalpositionen haben wir schon einen Teil der Definition des Begriffs „Rechtspolitik„ herausgearbeitet. Kriminalrechtspolitik ist die Administration von Marginalisierung in der Gesellschaft. Nach der Analyse der Rarität von Marginalpositionen lässt sich diese Definition jetzt erweitern und gleichzeitig spezifizieren: Rechtspolitik ist gewillkürter Normwandel.
[253] Soziale Gemeinschaft soll hier als offener Begriff verstanden sein. Ein-mal sind damit bestehende soziale Gemeinschaften gemeint, etwa die Familie, die Beifahrer oder die „Nachbarschaft„, zum anderen die „unvollkommen-soziale„ (vgl. Ausführungen in Kap. 3) Gemeinschaft der jeweils tatsächlich in einer Verkehrssituation Anwesenden, schließlich aber auch Gemeinschaften, die als solche erst geschaffen werden müßten. Als (hypothetisches) Beispiel für eine Gemeinschaft der letzteren Art könnte man etwa an Gemeinschaften denken, die dadurch entstehen, dass Anfänger ihr Fahrzeug besonders kennzeichnen müssen, sei es wie in England durch ein besonderes Zeichen, sei es wie in Frankreich durch eine Plakette über die für sie zulässige Höchstgeschwindigkeit. Der Fantasie sind insofern keine Grenzen gesetzt. Von der Frage, welche sozialen Gemeinschaften als Träger sozialer Kontrolle in Frage kommen, ist jedoch die weitere Frage zu unterscheiden, ob und in welchem Maße die jeweils ins Auge gefaßte Gemeinschaft die ihr zugedachten Aufgaben wahrnehmen kann. Da es nicht Aufgabe und Ziel der vorliegenden Arbeit ist oder sein kann, ein Konzept der praktischen Verkehrs rechtspolitik zu entwickeln, vielmehr lediglich die Stoßrichtung der Verkehrspolitik geklärt werden soll, werden diese Fragen der Klärung durch eine besondere Arbeit überlassen.
[254] Im Ergebnis steht das damit vorgeschlagene Modell betreffend die Möglichkeiten institutioneller Regelung von Verhalten nicht im Widerspruch zu dem Alternativ-Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl – AE-GLD (Arzt u. a. , 1974; vgl. a. Arzt, 1976) oder zu dem Alternativ-Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz – AE-BJG (Arzt u. a. , 1975). Beide Entwürfe lösen das Problem des Sollens nach vorhergegangener Analyse des Seins, indem sie bestehende soziale Dynamiken identifizieren, sich zunutze machen und sozialen Gemeinschaften Aufgaben übertrage, die bisher als Domäne des Strafrechtsapparates galten. Im Falle des Ladendiebstahls sind es die Ladeninhaber bzw. deren Angestellte, die nunmehr zivilrechtliche Sanktionen verhängen können sollen. Entsprechend den mannigfachen sozialen Bezügen zwischen Täter, Opfer und Umwelt bei der Betriebskriminalität ist bei der Regelung der Betriebsjustiz der Schlichtungsgedanke besonders stark ausgeprägt und zur Bewältigung innerbetrieblicher Verfehlungen wird durch den AE-BJG angestrebt, „dass der damit verbundene Konflikt innerhalb der betroffenen sozialen Gruppe verarbeitet wird„ (Arzt u. a., 1975: 18). Hätten somit beide Entwürfe auch aufgrund des hier vorgeschlagenen Modells entstehen können, so muß doch hervorgehoben werden, dass beide Vorschläge ad-hoc-Regelungen sind, die unverkennbar pragmatischen Charakter haben. Daraus erklärt sich auch die verengte Problemsicht bei einem der Mitverfasser des AE-GLD, der nachzuweisen glaubt, es bestehe „nur die Wahl zwischen einem offenen Rückzug oder einem versteckten Rückzug des Strafrechts„ (Arzt, 1976: 55). Von einer solchen Sicht wird wohl der enge Zusammenhang zwischen formellen und informellen Normen und Kontrollen sowie zwischen dem Status in gesamtgesellschaftlichen Systemen und in deren Subsystemen verkannt, den wir in unserer Arbeit aufzuweisen versucht haben. Pivotal ist dabei wohl das im Hintergrund der Entwürfe stehende traditionelle Verständnis von Kriminalität als Verhalten statt als Status. Vgl. dazu auch Peters, 1973.
[255] Tönnies, 1887
[256] Vgl. z. B. Rosenberg, u. a., 1964
[257] Vgl. Luhmann, 1968. Diese Unterscheidung von Luhmann soll hier und in der Folge übernommen werden.
Zur Begriffserklärung: In seiner Arbeit wendet sich Luhmann gegen den Mangel an Theorie bei Parsons, insofern als dort die Konzentration eines Systems auf sich selbst vertreten wird. Luhmann konzipiert dem-gegenüber ein System als ausgerichtet auf die Reduktion von Komplexität und Konflikten, die durch den Umweltbezug bedingt sind.
Pivotaler Begriff bei Luhmann ist der Zweckbegriff. Den Aristotelischen Zweckbegriff versteht Luhmann als ontologisch ausgerichtet, da dort der Zweck einer Handlung als vorgegeben angenommen wird und die Handlung allein im Blick auf den feststehenden Zweck ihren Sinn er-hält (1968: 2). Im neuzeitlichen Denken andererseits sieht Luhmann als die Struktur des Zwecks die durch die Handlung „zu bewirkende Wirkung“ (1968: 3); nur in dieser Wirkung liege der Sinn der Handlung. Luhmann will diese Auffassung nicht als solche widerlegen, sondern versuchen, „sie auf eine andere Verständnisgrundlage hinüberzusetzen“ (1968: 3). Diese Umorientierung nimmt er dadurch vor, dass er „den Zweckbegriff aus der Handlungslehre in die Systemtheorie verlegt“ (1968: 3). Die Bestimmung „Zweck“ wird dann nicht von der Handlungsrationalität her, sondern von der Systemrationalität her erklärt. Dementsprechend fragt Luhmann in seiner Arbeit „nach der Funktion von Zwecken für die Rationalisierung von Systemen“ (1968: 7).
Zum Verständnis des Begriffs „Systemrationalität“ bei Luhmann muß man sich klar machen, was er unter „System“ begreift. Luhmann wendet sich gegen die klassischen philosophischen Systemkonzeptionen, welche „Systeme“ als Ganzheiten verstehen, die mehr sind als die Summe ihrer Teile (1968: 117); denn dies habe dazu geführt, „dass die Versuche des Begreifens auf die Innenordnung der Systeme beschränkt bleiben“ (1968: 120). Diese Beschränkung auf die Innenordnung wirke sich schließlich als Beschränkung der Problemansicht aus. Nach Luhmann hat „die Betrachtung eines Innen … nur Sinn, wenn es ein Außen gibt. Dieses Außen muß im Systembegriff mitthematisiert werden, weil anders das Innen nicht verständlich gemacht werden kann„ (1968: 120). Der Sinn eines Systems liege dementsprechend darin, die Bedrohlichkeit des Außen (der Umwelt) zu reduzieren, um sich als Identität zu erhalten. „Durch Selektionsprozesse, die Ursachen und Wirkungen nach Maßgabe ihres Informationsgehaltes auswählen, ist ein System – immer natürlich nur mehr oder weniger – in der Lage, Umweltskomplexität zu reduzieren, das heißt sich zu erhalten, obwohl es die Umwelt weder überblicken noch ganz beherrschen kann„ (1968: 122). Luhmann bezieht seine Auffassung ausdrücklich auch auf die Situation politischer Systeme und damit auch auf die Rationalität rechtspolitischer Entscheidungen. Er fordert „ein neues Denken, ein Durchdenken des politischen Systems als System„ (1968: 62). Nach Luhmanns Auffassung hat es „die Verwaltung des Staates im weitesten, alle Gewalten einschließenden Sinne … mit der gesamten Gesellschaft zu tun und deshalb mit einer äußerst komplexen, widerspruchsreichen Wertsituation. Sie muß, will sie sich – wie heute selbstverständlich – als demokratisch und sozial-staatlich verstehen, jede wertrelevante Folge ihres Handelns berücksichtigen, soweit ihre Entscheidungskapazität reicht„ (1968: 149).
[258] Vgl. dazu den Roman „1894„ von George Orwell (1948)
[259] Popitz, 1967
[260] Lange, 1970: 267; vgl. auch Lange, 1970: 26 ff., 267 f.
[261] Hassemer, 1973: 119 f.; vgl. auch Roxin, 1970: 14, der für ein straf-rechtliches System neben dem traditionellen Ziel begrifflicher Ordnung und Klarheit als Grundforderungen auch „Wirklichkeitsbezug und Orientierung an kriminalpolitischen Zwecksetzungen„ aufstellt.
[262] Vgl. Hassemer, 1973: 19 ff.
[263] Für die begriffliche Unterscheidung vgl. Luhmann, 1968: passim, so-wie Anm. 257 oben.
In allgemeinerer Form wird das hier angeschnittene Problem bei Luhmanns Erörterung des Übergangs vom Polizeistaat zum Rechtsstaat dargestellt (1968: 58 ff.)
[264] Vgl. Packer, 1968: 366. Ein Ansatz zu der Unterscheidung der Argumentationsebenen Handlungsrationalität und Systemrationalität, wenn auch nicht seine Ausführung, findet sich bei Hassemer, wenn dieser als Instrument der Rechtsgütersicherung neben dem Strafrecht alle an-deren Rechtsgebiete und eine rechtsgütersichernde Sozialpolitik betrachtet: „Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass sich eine Rechtsgut-lehre auf das Strafrecht beschränken muß, wenn es um die sozialen Vorbedingungen wirksamen Rechtsgüterschutzes geht. Diese Lehre, will sie auf diesem Bereich umfassend sein, kann und muß vielmehr relevante Institutionen außerhalb des Strafrechts theoretisch mitverarbeiten. “ Hassemer, 1973: 117
[265] Vgl. Amtliche Begründung, 1970: Nr. 14
[266] Vgl. auch das Straßenverkehrssicherheits-Programm der Bundesregierung vom 23. November 1973 z. B. bezüglich der Änderung der Einstellung des Bürgers zum Straßenverkehr. Als essentielle Elemente werden dort betrachtet:
„- über eine Regelbefolgung hinaus Beachtung der im menschlichen Umgang üblichen Regeln,
– die Sozialbindung innerhalb der ‚Gefahrengemeinschaft der Verkehrsteilnehmer‘ …
– die nüchterne Einstufung des Kraftfahrzeugs als Beförderungsmittel – nicht als Spielzeug, Sportgerät und, wir dürfen hinzufügen, nicht als Statussymbol oder ‚Persönlichkeitsprothese‘ – und
– vor allem das eigene Verhalten – nicht immer nur das von anderen erwartete.
Diese Bausteine sollen den Weg zu einem neuen Sicherheitsbewußtsein, einem Bewußtseinswandel im Sinne eines ‚Klimawechsels im Verkehr‘ eröffnen … “ (Herrmann, 1973: 217 ff.)
[267] Ein solches Verständnis wird durch die Tatsache der Überleitung vieler Verkehrsstraftaten in Ordnungswidrigkeiten gestützt. Vgl. aber die Forderung von Kaiser, (1970: 421), der eine noch weitergehende „Entkriminalisierung„ des Verkehrsrechts fordert. Bei einer solchen Überleitung handelt es sich nicht um eine Problemlösung, sondern um eine Problemverschiebung. Dies wird zunehmend indirekt auch von der Strafrechtsdogmatik anerkannt, wo zwar zunächst eine qualitative Verschiedenheit zwischen Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht postuliert wurde, aber die heute wohl vorherrschende Meinung unter Hinweis auf den Vorrang des Gesetzgeberverhaltens einen quantitativen Unterschied annimmt (vgl. Baumann, 1974: 39 und die dort angegebene Literatur).
[268] Ein, wenn auch ungewolltes (vgl. Anm. 139 oben) Beispiel für ein Leitsystem und dessen Einfluß auf das tatsächliche Verhalten unabhängig von der Einstellung der Betroffenen geben Persson Blegvad/M011er Nielsen (1972) in ihrer Arbeit über die Umstellung vom Linksverkehr auf den Rechtsverkehr: Im Rechtsverkehr fährt man grundsätzlich auf der rechten Straßenseite, ohne dass es besonderer formeller Kontrollen und Sanktionen bedürfte.
[269] Claessens, 1966a: 30. Im Grunde geht es hier also um eine Konkretisierung der demokratischen Freiheitsmaxime: So viel Staat als nötig, aber so wenig davon als möglich.
[270] Vgl. vor allem: Schmidt-Relenberg, 1968: 216; für die allgemeine Kritik an „menschlichem Versagen„ als Ansatzpunkt des Straßenverkehrs-rechts vgl. Jagusch, 1971; Baumann, 1971: 153
[271] Vgl. dazu etwa: Welzel, 1961: 5
[272] Kaiser, 1970: 42; vgl. auch Bockelmann, 1960: 1280
[273] Vgl. etwa: § 1 Absatz 1 StVO: „Die Teilnahme am Straßenverkehr er-fordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme. “ Und dazu die Amtliche Begründung, 1970, zu § lI StVO, in Jagusch, 1972: 38: „Was vor allem not tut . . . : Es bedarf der Hebung der Verkehrsgesittung. Einem volkstümlichen Gesetz, das jeden Einzelnen orientieren will, muß die Mahnung vorangestellt werden, dass der moderne Verkehr voller Gefahren ist und sich auf die Dauer nur dann aufrechterhalten lässt, wenn jeder sich einfügt. Die bisherige Präambel nannte das, in der Sache durchaus zutreffend, Herstellung einer echten Gemeinschaft aller Verkehrsteilnehmer. Jene Formulierung der Präambel war zeit-bedingt. Die Verordnung stellt deshalb den einprägsamen Absatz 1 vor-aus. In seiner Eindringlichkeit kann er sehr wohl dazu beitragen, egozentrischen Verkehrsteilnehmern das Verfehlte ihrer Einstellung vor Augen zu führen. “
[274] Schmidt-Relenberg, 1968: 216
[275] Diese ist wiederum eine Funktion der bisherigen Verkehrsrechtspolitik, die, wie wir gesehen haben, von der Person-Person Interaktion ausgeht und bisher Individualität im Straßenverkehr prämiert. Eine Änderung wird sich nur langsam herbeiführen lassen, und zwar durch eine Politik der „kleinen Schritte„, wie sie etwa durch die „Verordnung über die versuchsweise Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen außerhalb geschlossener Ortschaften, vom 16. März 1972 (BGB1. I S. 461))„ und durch den so-genannten Tempolimit-Großversuch auf einem großen Teil der deutschen Autobahnen unternommen wurde. Vgl. dazu auch den lang andauernden politischen Prozeß, der zur 0, 8 %o Grenze für Alkohol im Verkehr führte.
[276] Ein Beispiel für eine solche Internalisierung ist die Änderung der Einstellung der schwedischen Bevölkerung gegenüber dem Rechtsverkehr vor und nach der Umstellung, vgl. das Schaubild bei Persson Blegvad/ MIller Nielsen, 1972: 437
[277] Ausnahmen sind etwa das Auf- und Abblenden bei Nachtfahrten. Auch bei Alkohol am Steuer lässt sich heute eine ad-hoc Sanktionierung vor Antritt der Fahrt feststellen; denn es gilt nicht mehr so sehr als „tapfer„ wie als „dumm„, alkoholisiert ein Fahrzeug zu führen bzw. sich von einem alkoholisierten Fahrer mitnehmen zu lassen, vgl. z. B. Kaiser, 1970: 88
[278] Vgl. Schmidt-Relenberg, 1968: 216: „Verstärkt wird das abweichende Verhalten noch durch das Fehlen von ad-hoc Sanktionen. Verkehr befindet sich in dauerndem Fluß, die Situationen für den Verkehrsteilnehmer, die Begegnungen und Konstellationen ändern sich fortwährend, die ‚monadische Abgeschlossenheit‚ im Automobil schützt gegen Abwehrreaktionen der anderen Beteiligten, die Fluchtmöglichkeiten sind relativ groß. Die in der Regel spät (wenn überhaupt) erfolgenden Sanktionen haben nicht genügend Durchschlagskraft, um abweichendes Verhalten wirksam zu verhindern. “
[279] Vgl. Spörli, 1972: 137, der die Auffassung vertritt, „dass mancher so-genannte Straßenrowdy weniger durch Rücksichtslosigkeit als vielmehr durch eine Art Angsttaubheit charakterisiert sei, wodurch ihm von seinen Emotionen die Gefährlichkeit von Verkehrssituationen nicht recht-zeitig signalisiert werde. “
[280] Vgl. Schmidt-Relenberg, 1968: 214. Wie sehr die subjektive Einschätzung der Eigengefährdung im Straßenverkehr von dem abhängt, was man tagtäglich als Normalverhalten im Straßenverkehr sieht, wird je-der bestätigen können, der nach Gewöhnung an die Straßenverkehrsverhältnisse in den Vereinigten Staaten nach Deutschland kommt. Gewohnt an die dortigen Geschwindigkeitsbeschränkungen (Autobahn: 65 Meilen – 113 km/st, z. Zt. sogar 55 Meilen = 89 km/st; Stadtverkehr: meistens 25 Meilen = 41 km/st) kommt ihm schon die Autofahrt vom Flughafen wie eine Himmelfahrt vor. Auch die Gewöhnung an die „Höchstgeschwindigkeit„ im Straßenverkehr in Deutschland dauert einige Tage.
[281] Auch innerhalb des institutionellen Sanktionierungssystems ließe sich ein weiterer Abbau und eine zumindest subjektiv so wahrgenommene Rückübertragung staatlicher Aufgaben auf die sozialen Gemeinschaften vorstellen. Z. B. werden durch den Einsatz von Zivilstreifen andere Fahrzeuge bei Übertretungssituationen potenziell gefährlicher: Sie können nicht nur Unfälle „verhängen“ sondern indirekt auch Strafen. Eine weitere Möglichkeit der Rückübertragung staatlicher Aufgaben wäre etwa die Kennzeichnung von Anfängern, etwa wie in Frankreich mit dem Schild der ihnen auferlegten Geschwindigkeit. Oder: Innerhalb des seit 1. 5. 74 geltenden Verkehrspunktesystems könnte man eine „Rückstufung“ in die „Anfängerklasse“ statt der dort vorgesehenen Führerscheinprüfung bzw. „medizinisch-psychologischen“ Untersuchung vor-sehen und dem Straßenverkehr sowie den sozialen Gruppen, denen der Proband angehört, die Verkehrserziehung überlassen. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, sei hier nochmals, wie schon vor-her oben in Anm. 253 hervorgehoben, dass es in dieser Arbeit nicht darum geht, praktische Maßnahmen für eine Verkehrsrechtspolitik zu entwickeln, sondern darum, ihre Stoßrichtung festzulegen. Insofern handelt es sich bei den soeben vorgebrachten Beispielen auch nicht um Vorschläge, sondern um (möglicherweise in der Gesamtheit ihrer Konsequenzen unrealistische) Denkanstöße auf der Grundlage der Untersuchung. Inwieweit sie sich verwirklichen lassen, ohne gleichzeitig das Oger „mieser“ Sozialkontrolle im Stile von „1984“ heraufzubeschwören, kann und soll hier nicht untersucht werden. Diese Selbstbeschränkung der Arbeit hat ihren Grund in der vom Autor vertretenen Ansicht der Notwendigkeit der Trennung von angewandter und nicht angewandter Wissenschaft. Im Gegensatz zu der etwa in der neueren „radikalen“ soziologischen Literatur besonders vehement von Gouldner (1970) vorgetragenen Ansicht, die Aufgabe der Sozialwissenschaften sei „to transform as well as to know“ (Gouldner, 1970: 475) wird in dieser Arbeitder Standpunkt vertreten, dass Änderung und Erkennen der sozialen Welt für wissenschaftliches Arbeiten nach Möglichkeit weitgehend getrennt bleiben sollten, um zu vermeiden, dass „Soll“-Welten statt „Ist‘-Welten erkannt werden. Zuzugeben ist allerdings dem Gegenstandpunkt, dass Wertfreiheit in der Wissenschaft eine gefährliche Illusion ist und eine „Ist“-Welt wissenschaftlich nicht erreichbar bzw. nicht feststellbar ist. Dies rechtfertigt jedoch noch nicht den Schluß, man könne deshalb sogleich mit der Konstruktion und Rekonstruktion von „Soll“- Welten beginnen, vielmehr lässt sich dann eher vertreten, dass, wie hier vorgeschlagen, Wertneutralität durch die Trennung von Erkenntnis und Anwendung an-gestrebt wird.
[282] Hassemer, 1973: 34
[283] Vgl. dazu: Hassemer, 1973: 231; Michael Marx, 1972: 24 ff.; Rudolphi, 1970: 159 ff.
[284] Mills, 1959: 174; vgl. auch Mannheim, 1936: 189 f. “ … it is the one who is ignorant of the significant determining factors and who acts under the immediate pressure of determinants unknown to him who is least free and most thoroughly predetermined in his conduct. Whenever we become aware .of a determinant which has dominated us, we remove it from the realm of unconscious motivation into that of the controllable, calculable, and objectified. Choice of decision are thereby not eliminated; on the contrary, motives which previously dominated us become subject to our domination; we are more and more thrown back upon our true self and, whereas formerly we were servants of necessity, we now find it possible to unite consciously with forces with which we are in thorough agreement. “
[285] Als ad-hoc Vorschlag findet sich dieser Gedanke auch in dem Alternativ-Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl – AE-GLD (Arzt u. a. , 1974) und im Alternativ-Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz – AE-BJG (Arzt u. a., 1975). Für eine kritische Stellungnahme dazu vgl. Anm. 254 oben.
[286] Grewe, 1974: 144
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